Politik Wenn die Auslieferung Krimineller infrage steht

Wie hier Anfang August in Warschau gibt es in Polen immer wieder Proteste gegen die Justizreform der Regierung.
Wie hier Anfang August in Warschau gibt es in Polen immer wieder Proteste gegen die Justizreform der Regierung.

Seit Jahren streiten die EU und Polen über die von der nationalkonservativen PiS-Regierung in Warschau vorgenommene Justizreform. Eine Reform, die auch Folgen über die polnischen Landesgrenzen hinaus hat.

Die Justizreform in Polen hat einen in dieser Form beispiellosen Konflikt zwischen der EU und einem ihrer Mitgliedsländer ausgelöst. Aus Brüsseler Sicht verstößt die Reform gegen EU-Recht, weil sie unter anderem die Unabhängigkeit der Justiz gefährde. Inzwischen laufen mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen; zudem hat die EU-Kommission im vergangenen Dezember erstmals überhaupt ein sogenanntes Rechtsstaatsverfahren eingeleitet. Vertragsverletzungsverfahren sind nichts Außergewöhnliches in der EU. Wenn die Kommission der Ansicht sei, dass ein Land europäische Rechtsakte, also Richtlinien oder Verordnungen, missachte, könne sie ein solches Verfahren einleiten, erläutert Urs Pötzsch vom Centrum für Europäische Politik (CEP) in Freiburg. Auch gegen die Bundesrepublik gab und gibt es solche Verfahren, etwa wegen zu hoher Nitratwerte im Wasser oder wegen zu hoher Feinstaubwerte. In einem der gegen Polen laufenden Verfahren geht es um die Zwangspensionierung von Richtern. Die hält die Kommission für nicht vereinbar mit der Unabhängigkeit der Justiz, zu der auch die „Unabsetzbarkeit von Richtern“ gehöre, ließ die Brüsseler Behörde vergangene Woche wissen. Da die Regierung in Warschau bisher nicht bereit ist, an diesem Punkt ihre Justizreform zu ändern, droht die EU-Kommission jetzt mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), sollte Polen nicht binnen eines Monats „die erforderlichen Maßnahmen“ treffen. CEP-Jurist Pötzsch räumt einer solchen Klage durchaus Erfolgsaussichten ein und verweist auf ein früheres, ähnlich gelagertes Verfahren gegen Ungarn. Das ungarische Beispiel zeige aber auch, dass ein Vertragsverletzungsverfahren „nur punktuelle Interventionen“ zulasse. Das sieht beim Rechtsstaatsverfahren anders aus. Dieses Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge kann im äußersten Fall den Entzug der Stimmrechte für das betreffende Land – im konkreten Fall also Polen – im Rat zur Folge haben. Im Rat sitzen die Vertreter der EU-Mitgliedstaaten zusammen. Zum Stimmentzug kann es kommen, wenn die gemeinsamen Werte der EU schwerwiegend und anhaltend verletzt werden. Dieser Einschätzung müssten allerdings alle EU-Länder zustimmen – und Ungarn hat bereits mehrfach erklärt, dem nicht zustimmen zu wollen. Polen und andere Länder, denen vorgeworfen wird, rechtsstaatliche Grundsätze zu verletzen und damit gegen die gemeinsamen Werte der EU zu verstoßen, verweisen gerne darauf, dass die EU sich aus solchen Fragen rauszuhalten habe. Rechtsstaatlichkeit sei aber keine nationale Frage, hält Urs Pötzsch dem entgegen. Zum einen sei die EU eine Rechtsgemeinschaft. Zum anderen beruhe die grenzüberschreitende Zusammenarbeit von Behörden und Gerichten in der EU auf gegenseitigem Vertrauen, etwa in die Rechtsstaatlichkeit der anderen Seite. Wenn dieses Vertrauen nicht mehr gegeben sei und Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit bestünden, bedeute dies auch das Ende der Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union. Dass dieses Vertrauen gegenüber Polen offenbar nicht mehr uneingeschränkt besteht, zeigt eine Entscheidung des EuGH von Ende Juli. Die Luxemburger Richter hatten sich mit der Klage eines mutmaßlichen polnischen Drogenhändlers zu befassen, gegen den Polen drei Europäische Haftbefehle beantragt hat. Der Mann, der 2017 in Irland festgenommen wurde, klagte dagegen, dass diese Haftbefehle vollstreckt werden und er nach Polen ausgeliefert wird. Er begründete seine Klage mit dem Vertragsverletzungsverfahren der EU gegen Polen und argumentierte, in seiner Heimat sei die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gewährleistet, weshalb er auch sein Recht auf ein faires Verfahren gefährdet sieht. Die irischen Richter wandten sich an den EuGH, damit dieser den Fall europarechtlich klärt. Grundsätzlich, das betont auch der EuGH in seinem Urteil, sind EU-Staaten verpflichtet, Europäische Haftbefehle zu vollstrecken. Ohne konkret auf die Verhältnisse in Polen einzugehen, kam der EuGH zu dem Schluss, dass die Behörden des Landes, das jemanden ausliefern will, zunächst prüfen müssen, ob im Zielland – in diesem Fall also Polen – die Justiz nach rechtsstaatlichen Grundsätzen funktioniert. Sind sie der Ansicht, dass das nicht der Fall ist, muss in einem zweiten Schritt nachgewiesen werden, dass der von der Auslieferung Betroffene dadurch tatsächlich Nachteile erleiden würde. Führt die Prüfung zu dem Schluss, dass eine „echte Gefahr“ vorliegt, dass der Betroffene nicht mit einem fairen Verfahren rechnen kann, darf der Europäische Haftbefehl laut EuGH nicht vollstreckt werden. Der Fall liegt wieder beim zuständigen Gericht in Irland, das nun entsprechend den Vorgaben des EuGH prüfen muss.

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