Politik Unbequeme vor Istanbuler Gericht

Kurz vor dem geplanten EU-Türkei-Gipfel in Varna Ende des Monats wird heute eine Richtungsentscheidung der türkischen Justiz im Umgang mit Regierungskritikern erwartet. Ein Gericht in Istanbul entscheidet über die Freilassung von drei Journalisten der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, die seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft sitzen.

Die EU macht eine Normalisierung ihrer Beziehungen zur Türkei von einer Reform der Antiterror-Gesetze abhängig, die selbst den gewaltlosen Ausdruck von Kritik als Terrorvergehen definieren. Sollten die drei Journalisten der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“ weiter in Haft bleiben, dürfte es für die Türkei schwierig werden, in Varna zu einem Erfolg zu kommen. Den aber braucht die Regierung in Ankara vor allem aus wirtschaftlichen Gründen dringend. In dem Prozess sind insgesamt 17 Mitarbeiter von „Cumhuriyet“ angeklagt, darunter der im Berliner Exil lebende Ex-Chefredakteur Can Dündar. Die meisten Beschuldigten sind für die Dauer des Verfahrens auf freien Fuß gesetzt worden, doch Investigativreporter Ahmet Sik, Chefredakteur Murat Sabuncu und Geschäftsführer Akin Atalay sitzen seit Ende 2016 in Haft. Den Oppositionsjournalisten wird eine Unterstützung des Putschversuchs vom Juli 2016 vorgeworfen, für den Präsident Recep Tayyip Erdogan seinen früheren Verbündeten, den Geistlichen Fethullah Gülen, verantwortlich macht. Während der Zeit des Bündnisses zwischen Erdogan und Gülen saß Sik bereits wegen Kritik an Gülen im Gefängnis. Journalistenverbände in der Türkei und im Ausland sowie Menschenrechtsgruppen wie Amnesty International fordern die Freilassung der Untersuchungshäftlinge, deren Verfahren zu einem Symbol des harten Vorgehens der türkischen Behörden gegen Kritiker geworden ist: Erdogan kritisiert „Cumhuriyet“schon seit Jahren. Beim letzten Verhandlungstag im Dezember wurde der Reporter Sik wegen kritischer Äußerungen in seiner Verteidigungsrede aus dem Gerichtssaal entfernt. „Vergessen Sie nicht, dass Sie eines Tages ebenfalls vor dem Richter stehen werden“, wandte er sich an die Adresse des Gerichts im Gefängniskomplex Silivri außerhalb von Istanbul. Bei einer Verurteilung drohen den Angeklagten jeweils 43 Jahre Haft. Erst im Februar hatte die türkische Justiz drei prominente regierungskritische Journalisten zu lebenslangen Haftstrafen verurteilt, weil sie angeblich „unterschwellige“ Botschaften zugunsten der Putschisten von 2016 ausgesandt haben sollen. Erdogan hat die Strafverfolgung von Journalisten als Teil des Kampfes gegen den Terrorismus gerechtfertigt: Manche Schreiber seien „Gärtner“ des Terrors, die Gewalttäter anstifteten, sagte der Staatspräsident. Wegen der türkischen Bemühungen um eine Wiederannäherung an die EU rücken die Prozesse gegen die Journalisten nun in den Mittelpunkt politischer Überlegungen. Ankara hat auf Drängen Brüssels eine Reform der türkischen Antiterror-Gesetze versprochen, um die Meinungsfreiheit zu stärken; dies ist eine Voraussetzung für den von der Türkei geforderten visafreien Reiseverkehr mit der Europäischen Union. Bei Erdogans geplantem Treffen mit der EU-Spitze im bulgarischen Varna am 26. März soll über diese und andere Themen gesprochen werden. Ankara will auch die Zollunion mit der EU erweitern, was angesichts von Krisenzeichen der türkischen Wirtschaft für die Erdogan-Regierung ein wichtiger Fortschritt wäre. Bloße „Wortspielereien“ bei den Terrorgesetzen seien für die EU nicht genug, schrieb die „Cumhuriyet“-Kolumnistin Asli Aydintasbas mit Blick auf den Gipfel und den Prozess gegen ihre Kollegen. Brüssel wolle Taten sehen. Wenn Regierungsgegner wegen des Vorwands angeblicher Terrordelikte weiter in Haft gehalten werden, wird die türkische Regierung gegenüber der EU kaum argumentieren können, dass sie die Meinungsfreiheit achtet. Die in den vergangenen Jahren auf Regierungslinie gebrachte Justiz kann durchaus Zeichen der Entspannung setzen, wenn dies in Ankara politisch gewünscht ist: Im Februar kam der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nach einem Jahr Untersuchungshaft frei, nachdem Ministerpräsident Binali Yildirim von einer baldigen Lösung gesprochen hatte.

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