Politik Tag der Organspende: Wer schweigt, stimmt zu

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Gibt es eine moralische Pflicht zur Organspende? Wie weit darf der Staat die Bürger drängen, sich zu entscheiden? Gesundheitsminister Spahn forciert die Widerspruchslösung. Das verunsichert viele Menschen noch mehr. Es ist nicht richtig, die Passivität derjenigen, die sich nicht äußern, per Gesetz als Zustimmung zu werten.

Wer zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widerspricht, ist als Hirntoter automatisch Organspender. Auf diese verkürzte Formel lässt sich der Wunsch von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bringen, der eine Widerspruchsregelung einführen will. Sicher – jeder sollte sich Gedanken machen, ob er im Fall eines Falles nach seinem Tod beispielsweise sein Herz, seine Niere, Leber, Milz oder Bauchspeicheldrüse spenden will, damit andere leben, überleben können. Vielleicht auch unter dem Aspekt, dass er selbst einmal auf eine Organspende angewiesen sein könnte. Nur – es ist nicht richtig, das Schweigen und die Passivität derjenigen, die sich nicht dazu äußern wollen oder können, per Gesetz als Zustimmung zu werten. Mit der Widerspruchslösung werden diese Menschen quasi zu Zwangsspendern. Nur 36 Prozent der Deutschen haben einen Organspendeausweis, obwohl mehr als 80 Prozent in Umfragen einer Spende positiv gegenüber stehen. Was aber hält Menschen davon ab, ein Kreuzchen auf dem Ausweis unter „Ja, ich gestatte …“ zu machen? Die Gründe sind vielfältig: Da geht es um Ängste, Bedenken, Misstrauen und Unwissen. Bei manchen spielen sicher auch Bequemlichkeit und die Scheu eine Rolle, sich intensiv mit Sterben und Tod auseinanderzusetzen. Da bringen die Broschüren kaum etwas, die die Krankenkassen seit einigen Jahren regelmäßig per Post an ihre Mitglieder schicken, um über Organspende aufzuklären. Auch die Millionen Euro, die für Pro-Organspende-Kampagnen ausgegeben werden, sind mit Blick auf die Erfolge eigentlich rausgeworfenes Geld.

Thema sollte in Schulen besprochen werden

Das Thema gehört auf den Stundenplan in den Schulen, und es gehört in die Hausarztpraxen. Dort sollten Fragen besprochen werden wie: Wann dürfen Organe entnommen werden? Was heißt Hirntod? Ist die Entnahme womöglich mit Schmerzen verbunden? Wie werden die Organe verteilt? Nur wer aufgeklärt ist, kann sich entscheiden – für oder gegen eine Spende. Eine Entscheidung, die verhindert, dass Angehörige, sollte der Fall einer möglichen Organspende eintreten, hilflos und verzweifelt zurückbleiben. Neben der Aufklärung muss jetzt aber erst einmal dort angesetzt werden, wo ein Hauptgrund für den Rückgang liegt – bei den Krankenhäusern. Dort werden potenzielle Spender – Schwerstverletzte kurz vor dem Ableben auf den Intensivstationen – zu selten erkannt und gemeldet. Das legte eine Studie der Uniklinik Kiel offen. Zwar gibt es seit 2012 in jeder Klinik einen Transplantationsbeauftragten. Doch im klinischen Alltag fehlt es nur allzu oft schlicht an Zeit und genügend Personal.

Transplantationsgesetz vor kurzem geändert

Wie es anders geht, macht Bayern seit 2017 vor. Dort schreibt ein Gesetz vor, die Transplantationsbeauftragten konsequent und „vollständig“ freizustellen. Die Folge: Die Anzahl der Spender steigt. Auch das vor kurzem geänderte Transplantationsgesetzes soll zu mehr lebensrettenden Organspenden führen. Sein Inhalt: mehr Zeit, mehr Geld, mobile Expertenteams für kleine Krankenhäuser. Das Gesetz ist jetzt erst in Kraft getreten. Nun gilt es zu schauen, ob es wirkt, bevor irgendwelche neue Gesetze erlassen werden, die die Menschen weiter verunsichern. Neben dieser technischen Betrachtung ist eines nicht aus dem Blick zu verlieren: Eine Organspende ist ein lebenswichtiges Geschenk für einen anderen Menschen. Sie ist ein Akt der Hilfsbereitschaft und Solidarität. Es gibt keine Pflicht zur Spende, so wie es auch kein Recht auf Organe anderer gibt.

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