Politik Syrien und Türkei auf Konfrontationskurs

Mitglieder des syrischen Zivilschutzes eilen nach einem Luftangriff auf Ost-Ghuta den Opfern zur Hilfe. In weniger als 48 Stunde
Mitglieder des syrischen Zivilschutzes eilen nach einem Luftangriff auf Ost-Ghuta den Opfern zur Hilfe. In weniger als 48 Stunden sollen bei Angriffen über 200 Zivilisten getötet worden sein.

«Damaskus.» Syriens fast siebenjähriger Bürgerkrieg ist innerhalb nur weniger Stunden an zwei Fronten eskaliert. Im Norden des Landes bombardierte die türkische Armee die Region Afrin, wie die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana gestern meldete. Im Zentrum Syriens erlebte das Rebellengebiet Ost-Ghuta mit mehr als 200 Toten in weniger als 48 Stunden eine der blutigsten Angriffswellen seit Beginn des Konflikts.

In Afrin wächst mit der Konfrontation die Sorge vor einer größeren Eskalation zwischen der Türkei und Syrien. Gestern rückten dort zunächst erste syrische Regierungskräfte ein, wie die Kurdenmiliz YPG bestätigte. Diese sollten sich an der Verteidigung der Einheit Syriens und der Grenzen beteiligen. Türkische Truppen und syrische Verbündete hatten vor einem Monat eine Offensive auf Afrin begonnen. Das Gebiet wird von der YPG kontrolliert. Die Türkei sieht in der Miliz den syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und bekämpft sie. Die YPG ist aber zugleich mit der US-geführten Koalition im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) in Syrien eng verbündet. Am Montag hatte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu Syrien gewarnt: „Wenn das Regime eindringt, um die YPG zu schützen oder ihren Schutz zu gewährleisten, dann kann niemand uns, die Türkei und die türkischen Soldaten stoppen.“ Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan kündigte gestern eine Belagerung der Stadt Afrin „in den nächsten Tagen“ an. „Auf diese Weise wird die Hilfe von außen blockiert“, erklärte er in Ankara. Der russische Außenminister Sergej Lawrow warnte vor einer Spaltung des Bürgerkriegslandes und forderte die Türkei dazu auf, mit der syrischen Regierung in Dialog zu treten. Es sei nicht hinnehmbar, wenn „das Kurden-Problem“ dazu genutzt werde, Chaos in der Region zu säen und Staaten zu spalten, sagte er. Im Zentrum Syriens kamen bei Angriffen auf das Rebellengebiet Ost-Ghuta nahe Damaskus in weniger als 48 Stunden mindestens 231 Zivilisten um, darunter Dutzende Frauen und Kinder, wie die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte meldete. Mehr als 1100 Menschen seien verletzt worden, viele davon schwer. Schon am Sonntagabend gab es dort viele Tote. Allein am Montag starben dann den Angaben zufolge 127 Zivilisten. Es handele sich um die höchste Opferzahl an nur einem Tag seit drei Jahren, erklärten die Menschenrechtler. Auch gestern seien die Angriffe weitergegangen – dabei seien mindestens 66 Menschen getötet worden. Wahrscheinlich seien auch russische Flugzeuge an den Angriffen beteiligt gewesen, erklärten die Menschenrechtler. Erst Anfang des Monats hatte Ost-Ghuta eine der blutigsten Wochen seit Jahren erlebt. „Es war die Hölle“, sagte ein Arzt aus einem Krankenhaus in der Region, der nur mit seinem Vornamen Mohammed zitiert werden wollte, über die Angriffe am Montag. „Wir mussten mit ansehen, wie Kinder in unseren Händen an ihren schweren Wunden gestorben sind, weil sie zu spät ins Krankenhaus kamen.“ Die Kliniken seien völlig überfüllt. Narkosemittel und andere wichtige Medikamente gingen zur Neige. Bilder zeigten Opfer unter den Trümmern zerstörter Häuser. Aktivsten verbreiteten Aufnahmen von getöteten Kindern. Ost-Ghuta ist seit Monaten von Regierungstruppen eingeschlossen. Rund 400.000 Menschen sind dort fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Helfer berichten von einer dramatischen humanitären Lage. Über Wochen durften keine Hilfslieferungen in das Gebiet. Das habe zu einem schlimmen Mangel an Nahrungsmitteln geführt, sagte der regionale UN-Nothilfekoordinator, Panos Moumtzis.

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