Politik „Schluss mit der Shrimps-Pickerei“

Mario Brandenburg.
Mario Brandenburg.

Der FDP-Bundestagsabgeordnete Mario Brandenburg aus Rülzheim (Kreis Germersheim) kennt die digitale Welt aus dem Blickwinkel der Wirtschaft. Viele Jahre hat er für den Softwarekonzern SAP gearbeitet. Winfried Folz fragte ihn nach seinen Tipps für die Digitalisierung.

Sind Sie frustriert, dass politische Prozesse oft sehr lange dauern?

Ja, bin ich. Weil ich es mir nicht erklären kann. Ich sehe, wie in den Amtsstuben Papiere geschrieben und abgestempelt werden wie vor 50 Jahren. Die gleichen Menschen aus diesen Büros nutzen privat Smartphones, um mit ihren Kindern WhatsApp-Nachrichten auszutauschen und Filme zu streamen. Aber im Büro herrscht Mittelalter. Dafür gibt es keinen Grund, wirklich keinen einzigen. Wieso muss ich in Berlin drei Monate auf einen Termin im Bezirksamt warten, um physisch anwesend meinen Wohnsitz – wohlgemerkt: auf Papier – anzumelden, während ich gleichzeitig in fünf Minuten meinen neuen Stromanbieter online beauftragen kann? Es gibt keine Legitimation für diesen Status quo. Welche drei Dinge muss die Politik umsetzen, um Deutschland im Digitalbereich nach vorn zu bringen? Erstens: Zuversicht, Mut und Überzeugung. Die Politik ist oft zu ängstlich, sie verschläft den Start und versucht dann, im Sprint alles aufzuholen. Zweitens: eine zentrale Koordinierung. Ich will jetzt nicht auf unserer Forderung nach einem Digitalministerium herumreiten, aber die Digitalisierung berührt jeden Lebensbereich. Die Politik sollte das zentral koordinieren und nicht auf viele Ministerien verteilen. Drittens: Die Politik muss das große Thema herunterbrechen für den einzelnen, beispielsweise für die Möglichkeiten, die sich durch die Digitalisierung etwa Handwerksbetrieben eröffnen. Das klingt etwas abstrakt. Was sagen Sie denen, die in einem Teil der Pfalz leben und vom Internet abgehängt sind? Da ist historisch so einiges schiefgelaufen. Nehmen wir die Ausschreibungen als Beispiel. Wenn eine Stadt wie Kaiserslautern erschlossen wird, aber nicht die Ortschaften drum herum, dann war die Ausschreibung suboptimal. Es gibt Cluster-Ausschreibungen, bei denen definierte Regionen (beispielsweise Landkreise) zusammengefasst werden, darunter auch ein paar für die Anbieter eher unattraktive Gemeinden. Das ist wie mit der Shrimps-Pickerei beim Büfett. Da muss man halt sagen: Wenn Du Shrimps essen willst, musst Du noch zwei Kartoffeln mitnehmen. Das ist eine klassische politische Lenkungsaufgabe. Nun haben wir Lücken im Netz, die langsam geschlossen werden. Das ist gut, aber kommt spät. Setzen Sie Ihre Hoffnungen auf den Koalitionsvertrag? Dort ist das Thema Digitalisierung stark vertreten. Da steht alles drin, was es auf der Welt gibt. Wenn die große Koalition dieses Papier umsetzt, fließen Milch und Honig, und wir sterben alle an Freude! Nur: Es sind die gleichen Parteien und die gleichen Leute, die schon seit Jahren das Thema schleifen lassen. Dass die jetzt aufwachen und sagen: „Ach Internet, da war doch was!“, das glaube ich nicht. Der Koalitionsvertrag enthält 99 Mal das Wort Digitalisierung, mehr geht kaum. Wenn man ein Wort x-mal benutzt, heißt das noch lange nicht, dass man die Hintergründe verstanden hat. Die Regierung ist erst knapp 100 Tage im Amt, sind Sie nicht zu ungeduldig? Ich habe nicht die Erwartung, dass nach 100 Tagen überall Glasfaser liegt. Aber es spricht vieles dagegen, dass es schnell geht. Wie gesagt: Es sind die gleichen Leute, die mindestens schon vier Jahre im Amt sind. Die hätten alles schon längst in die Wege leiten können. Jetzt gibt es die Staatsministerin für Digitales, Dorothea Bär, die alles koordinieren soll. Das ist definitiv besser als nichts. Sie ist auch Feuer und Flamme für das Thema. Aber ihre Amtsausstattung ist kurz vor Null. Sie hat keinen Etat, ein paar Planstellen und eine nicht klar definierte Weisungsbefugnis. Das ist ungefähr so, wie wenn Sie bei Daimler zuständig sind, das Werk Wörth auf Elektromotoren umzustellen und Sie haben wie Frau Bär nur neun Leute und null Euro. Und jetzt sagt der Chef: Na, dann machen Sie mal! Das ist hochgradig unfair gegenüber Frau Bär und auch gegenüber den Bürgern. Sind nicht auch Anbieter wie Telekom oder Vodafone schuld daran, dass wir so viele Lücken im Netz haben? Die Schuld bei den Anbietern ist nicht gleichmäßig verteilt. Die Telekom war ein klassischer Staatsbetrieb, der die Kupferkabel verlegt und steuerlich mehr als abgeschrieben hat. Betriebswirtschaftlich gesehen hat die Telekom also wenig Interesse, an dieser Situation etwas zu ändern, sondern verkauft den Leuten lieber weiterhin die Kupferleitung. Schwierig wird das, wenn man bedenkt, dass der Bund Anteilseigner der Telekom ist und sich jährlich über die Dividende freut, die sie erwirtschaftet . Dieser Kreis muss durchbrochen werden. Der Staat muss die Anteile der Telekom verkaufen, den Ertrag in einen Fonds binden für Glasfaserausbau und das Geld nicht im Bundeshaushalt versickern lassen.

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