Politik Rheinland-Pfalz: Wenige Seiten- und Quereinsteiger an Schulen

Früher in der Forschung tätig, heute Lehrer an der IGS Edigheim: Jochen Schröder. Er ist einer von wenigen Männern und Frauen in
Früher in der Forschung tätig, heute Lehrer an der IGS Edigheim: Jochen Schröder. Er ist einer von wenigen Männern und Frauen in Rheinland-Pfalz, die als Seiteneinsteiger in den Schuldienst gekommen sind.

Akademikern steht auch ohne pädagogische Ausbildung der Weg in den Schuldienst offen. Noch nie zuvor haben so viele diese Gelegenheit genutzt. In Berlin gingen Eltern deswegen auf die Barrikaden. In Rheinland-Pfalz findet man dagegen nur wenige Seiten- und Quereinsteiger, und die vor allem an Berufsbildenden Schulen.

Jochen Schröder ist ausgebildeter Biologielaborant. Den Studiengang Lebensmittelchemie hängte er noch dran, bevor er 2002 in die Forschung ging. Beim Dienstleistungszentrum Ländlicher Raum (DLR) in Neustadt untersuchte er unter anderem Weinaromen. Heute verdient Schröder sein Geld ganz anders: Er ist Lehrer an der Integrierten Gesamtschule (IGS) Edigheim. Dort bringt er jungen Menschen beispielsweise das Periodensystem bei oder er erklärt ihnen, wie die Photosynthese funktioniert, statt im Labor zu forschen.

Erfahrungen in Kinder- und Jugendarbeit

Schröder kam 2008 als Seiteneinsteiger an die Ludwigshafener Schule. Als Seiteneinsteiger werden Frauen und Männer bezeichnet, die ursprünglich keine Lehrbefähigung, also kein pädagogisches Studium absolviert hatten. Worauf es im Unterricht ankommt, wird ihnen parallel zum Beruf vermittelt. Solch ein Seiteneinstieg kommt dem Sprung ins kalte Wasser gleich, den in Rheinland-Pfalz nur wenige Menschen wagen. Bislang sind Seiteneinsteiger im Land eher die Ausnahme. Waren es vergangenes Jahr noch sieben solche Neu-Lehrer, die in den Schuldienst aufgenommen wurden, wurden für das laufende Schuljahr nur noch zwei Seiteneinsteiger eingestellt. Das teilte das rheinland-pfälzische Bildungsministerium auf Anfrage mit. Den Wechsel in den Schuldienst habe ihm ein Bekannter schmackhaft gemacht, erinnert sich Schröder. „Sie suchten nach einem Vertretungslehrer. Und da ich nicht mein Leben lang in einem Labor arbeiten wollte, hat es sich so ergeben.“ Zumal er bereits Erfahrung in der Kinder- und Jugendarbeit hatte, etwa bei den Pfadfindern. „Am Anfang war es schwierig, plötzlich als Lehrer vor eine Klasse zu treten“, sagt er. Man müsse schließlich wissen, wie fachliches Wissen altersgerecht zu vermitteln ist. „Aber ich fühlte mich während des Seiteneinsteigerprogramms gut aufgehoben, zumal ich im Vorfeld in einer zweiwöchigen Intensivphase darauf vorbereitet wurde“, betont Schröder.

Quereinsteiger in Rheinland-Pfalz eher selten

Wem das zu schnell geht, kann alternativ als Quereinsteiger an Schulen kommen. Im Gegensatz zu den Seiteneinsteigern durchlaufen sie erst ein Referendariat. Das heißt: weniger lehren, dafür mehr Zeit, um Unterrichtsbesuche vorzubereiten, bei denen das Pädagogische und Didaktische von einer Prüfungskommission begutachtet wird. Diese zweijährige Ausbildungsphase bringen auch Absolventen der Ersten Staatsprüfung hinter sich. Quereinsteiger sind in Rheinland-Pfalz dennoch Exoten. Zu Beginn des Schuljahres 2918/19 nahmen lediglich acht Quereinsteiger den Vorbereitungsdienst auf. Dabei waren zum Schuljahresanfang über 900 Stellen landesweit zu besetzen. In den anderen Bundesländern stellt sich die Situation ganz unterschiedlich dar. Während im Saarland weder Seiten- noch Quereinsteiger benötigt werden, werden sie in Sachsen und in Nordrhein-Westfalen in großer Anzahl rekrutiert, um die Lücken in den Klassenzimmern zu schließen. In Berlin stellten Seiten- und Quereinsteiger in diesem Schuljahr fast 40 Prozent der Neueinstellungen, was dann auch Proteste in der Elternschaft und der Öffentlichkeit nach sich zog. Die Personalnot an Schulen wird zudem noch weiter steigen, wie aus Zahlen der jüngsten Bertelsmann-Studie hervorgeht. Ihr zufolge werden bis zum Jahr 2025 schätzungsweise 35.000 Lehrkräfte fehlen. Insbesondere an Grundschulen macht sich der Lehrermangel schmerzlich bemerkbar.

Besonderheiten des Grundschullehramts

Im Gegensatz zu anderen Bundesländern hat in Rheinland-Pfalz jeder Grundschullehrer ein abgeschlossenes Lehramtsstudium in der Tasche. „Eine fundierte pädagogische Ausbildung ist hier zentral erforderlich“, teilt die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD) mit. Dass das so bleibt, hofft auch Professor Anja Wildemann. Die Dekanin des Fachbereichs Erziehungswissenschaften an der Universität Koblenz-Landau meint, dass man mit der Einstellung von Seiten- und Quereinsteigern den Beruf des Lehrers „degradiere“. Auch den Wechsel eines Gymnasiallehrers in eine Grundschule bewertet sie kritisch, da Grundschullehrer andere Qualifikationen mitbringen müssten. So sei etwa das pädagogische Profil ganz unterschiedlich. Zudem müssten sich Grundschullehrer auch mehr in die Elternarbeit eingebunden sehen, sagt die Dekanin. Der rheinland-pfälzische Landeselternsprecher Thorsten Ralle sieht den Seiten- und Quereinstieg ebenfalls kritisch. Dies könne nur eine Notlösung sein, offene Stellen auf diese Weise zu besetzen, meint er. Dem Fachkräftemangel werde damit nur kurzfristig entgegengewirkt. „Langfristig müssen wir es schaffen, mehr Menschen für das Lehramtsstudium zu begeistern“, sagt Ralle. Dies gelinge nur, wenn Lehrer entlastet würden: „Sie sollten sich stärker auf den Unterricht konzentrieren, statt erzieherische Aufgaben wahrzunehmen.“ Darüber hinaus müssten mehr Schulsozialarbeiter eingestellt werden, fordert der Landeselternsprecher.

"Gerade Quereinsteiger sind mit Leidenschaft bei der Sache"

Wer von den Quereinsteigern profitiert, sind die Berufsbildenden Schulen (BBS). An der BBS Landau beispielsweise war ein Großteil der Lehrkräfte zuvor in der Wirtschaft tätig, so auch der stellvertretende Schulleiter, Thorsten Argus. „Manchmal verläuft das Leben nicht so gradlinig. Da muss man mal ein paar Schritte zurück, bevor es wieder nach vorne geht“, sagt er. Argus hat Lebensmitteltechnologie studiert, zwischenzeitlich dann die Metzgerei der Eltern übernommen, bevor er seine Freude am Lehren entdeckte und sich für ein Referendariat entschied. „Es ist bereichernd für das Kollegium und die Schüler, wenn ein Lehrer aus der Wirtschaft kommt“, bestätigt Michael Braun, an der BBS Landau der Beauftragte für die Öffentlichkeitsarbeit. „Gerade Quereinsteiger sind mit Leidenschaft bei der Sache, da sie wissen, wie es in der Wirtschaft läuft, und weil sie sich bewusst für den Beruf des Lehrers entschieden haben.“

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