Politik Nacht der langen Gesichter

Diese Gesichter sprechen Bände: Reaktion von CDU-Anhängern, als gestern Abend die ersten Hochrechnungen bekannt werden.
Diese Gesichter sprechen Bände: Reaktion von CDU-Anhängern, als gestern Abend die ersten Hochrechnungen bekannt werden.

Nachdenklichkeit bei den beiden Volksparteien CDU und SPD: Beide wurden vom Wähler abgestraft. Während bei den Sozialdemokraten schon am Wahlabend über eine grundsätzlich neue Aufstellung der Partei nachgedacht wird, hält sich CDU-Chefin Angela Merkel bedeckt. Doch auch bei den Christdemokraten sind erste kritische Stimmen zu hören.

Der Gigantismus macht offenbar auch vor den Parteien nicht halt. Über 2000 Gäste hatte die CDU gestern Abend zu ihrer Wahlparty ins Konrad-Adenauer-Haus eingeladen, die Parteizentrale in Berlin. Hunderte Medienschaffende aus aller Welt begehrten Einlass – aus Deutschland, aus Russland, Israel, Finnland, Italien, Ghana, Schweden und so weiter und so fort. Eigens wurden Partyzelte ans Gebäude in der Klingelhöfer Straße angebaut, was den Unionisten noch Schwierigkeiten bereiten wird. Denn dabei sind Bäume der Stadt beschädigt worden, nun drohen Bußgelder. Aber das war das kleinste Problem für die Partei an diesem Abend. Viel mehr Sorgen bereitete das Ergebnis. Es ist schlecht. Als kurz nach 17 Uhr die Granden der Partei eintrafen, Innenminister Thomas de Maizière etwa oder Kanzleramtsminister Peter Altmaier, waren die natürlich längst im Bilde. Im Gegensatz zu den Jung-Unionisten, die sich kurz vor 18 Uhr in Partei-T-Shirts und mit Plakaten in der Hand vor der großen Videoleinwand und vor den – viel wichtiger! – Fernsehkameras postierten. Sie waren die bestellte Jubeltruppe. Was sie und viele andere Gäste zu diesem Zeitpunkt vor 18 Uhr nicht wussten: Die Nachwahlbefragungen hatten die Granden der CDU durch ein Wechselbad der Gefühle geschickt. Zum Jubeln war denen folglich nicht zumute. Die Zustimmung für die Union schwankte, je nach Umfrageinstitut und Zeitpunkt, zwischen 32 und 36 Prozent. Das wäre in jedem Fall ein niedrigeres Ergebnis für die CDU. Als sich dann nach 18 Uhr der Abschwung der Union im kurz geratenen Balken auf dem Bildschirm manifestierte, jubelten die Jung-Unionisten dennoch. Die Inszenierung für die Kameras wollte es so. „So sehen Sieger aus“ – dieser Eindruck sollte offenbar in die Wohnstuben im Land getragen werden. Doch die CDU war an diesem Abend kein Sieger. Bei den restlichen Gästen zeigten sich denn auch viele lange Gesichter. Schweigend verfolgten sie, wie beide Volksparteien, CDU und SPD, abgestraft wurden, AfD und FDP dagegen kräftig zulegten. Das zweistellige Ergebnis für die AfD müsse die Union „final wach rütteln“, sagte dazu der CDU-Kandidat und bisherige Abgeordnete für den Wahlkreis Neustadt-Speyer, Johannes Steiniger. Und sein Südpfalz-Kollege Thomas Gebhart meinte: Fragen, die die Menschen bewegen, seien von der CDU „nicht offensiv besetzt“ worden. Als CDU-Chefin Angela Merkel dem Parteivolk nach den ersten Hochrechnungen erschien, ließ sie sich nicht in die Karten schauen. „Wir brauchen nicht drumrum zu reden, wir hatten uns ein besseres Ergebnis erhofft“, sagte sie zwar. Aber auch noch das: Die Union habe ihr strategisches Ziel, stärkste Fraktion zu werden, erreicht. Es gelte nun, für den wirtschaftlichen Wohlstand zu arbeiten, Europa zusammenzuhalten, die illegale Migration sowie die Fluchtursachen zu bekämpfen und die innere Sicherheit zu gewährleisten. Aber wie es nun weitergehen soll, was Merkel von den anstehenden Koalitionsverhandlungen erwartet, mit wem gesprochen werden soll, darüber verliert sie kein Wort.

„Keine Personalfragen“ bei der SPD

Man muss nicht laut sein, und man muss nicht das größte Plakat haben, um die Botschaft des Tages zu verkünden. Der grau melierte SPD-Anhänger mit dem kleinen Stück Papier in der Hand bringt die Stimmung im Willy-Brandt-Haus auf den Punkt: „No more Groko“, hat er mit Filzstift darauf geschrieben und hält das Schildchen demonstrativ vor sein Gesicht. „Nie wieder große Koalition“, übersetzt eine Mutter ihrem Sohn den Text. Und die drei Jusos, die daneben stehen, kommentieren lauthals: „Jawoll, det is vorbei.“ „Nie mehr Groko“, das sagt SPD-Chef Martin Schulz zwar nicht, aber was er formuliert, kommt der Sache schon ziemlich nahe: „Mit dem heutigen Abend endet zugleich unsere Zusammenarbeit mit der CDU und der CSU.“ An dieser Stelle brandet zum ersten Mal richtiger Jubel auf in der SPD-Parteizentrale, wo sich bis dahin ein Schleier der Sprachlosigkeit über die Anhänger gelegt hatte. Als um 18 Uhr das 20-Prozent-Ergebnis prognostiziert wird, herrscht Grabesruhe. Alle wissen, so schlecht hat die Sozialdemokratie seit Bestehen der Bundesrepublik noch nie bei einer Bundestagswahl abgeschnitten. Es ist eine Katastrophe, nachdem die Genossen dachten, den Tiefpunkt 2009 mit 23 Prozent erreicht zu haben. Aber nein, es ging noch tiefer. Diese brutale Talfahrt hat viele Namen: „Ein furchtbares Ergebnis“ (die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer), „ein Schlag in die Magengrube“ (SPD-Arbeitsministerin Andrea Nahles) oder „ein schwerer und bitterer Tag“ (Martin Schulz). Wenig tröstlich ist für die Sozialdemokraten, dass es auf Unionsseite auch herbe Verluste gibt. Schließlich sind es die Volksparteien, die an diesem Tag eine Klatsche bekommen haben – während die rechte AfD einen Triumph feiern kann, der noch lange nachwirken wird. Ob Martin Schulz darüber nachgedacht hat, seinen Rücktritt zu erklären? Führende Genossen bestreiten das, allerdings gibt es Gerüchte, dass er wie einst Frank-Walter Steinmeier am Wahlabend sich selbst als Fraktionschef ernennen könnte. Nichts davon verkündet Schulz in der Parteizentrale. Er empfiehlt „dass die SPD heute Abend in die Opposition“ gehen werde, wofür er langen Beifall erhält. Schulz hat nur einen Wunsch: Er möchte weitermachen als Parteichef, zu dem er von allen Delegierten im März als Nachfolger von Sigmar Gabriel gewählt worden war. Obwohl Schulz fordert, die Partei „grundsätzlich neu aufzustellen“, nimmt er seine Position offensichtlich davon aus. Ob es ihm gelingt, sein Vorsitzendenamt zu behalten, wird der Parteitag im Dezember zeigen. Namen von möglichen Nachfolgern kursieren, und immer wieder taucht dabei die Rheinland-Pfälzerin Andrea Nahles auf. Darauf angesprochen, wehrt sie ab: „Keine Personalfragen, bitte“, sagt sie vor dem Interview. Möglicherweise schlägt schon am Mittwoch ihre Stunde. Da wählt die SPD-Bundestagsfraktion ihr Oberhaupt. Thomas Oppermann, der bisherige Fraktionschef, gilt als abgeschrieben. Nahles fordert, dass sich die SPD „neu erfindet“. Vielleicht meint sie damit auch eine weibliche Fraktionsspitze. Die gab es noch nie.

Dieser SPD-Anhänger macht auf der Wahlparty seiner Partei deutlich, was er von einer Fortsetzung der großen Koalition hält: nich
Dieser SPD-Anhänger macht auf der Wahlparty seiner Partei deutlich, was er von einer Fortsetzung der großen Koalition hält: nichts.
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