Politik Leitartikel: Groko – einmal anders

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Sie sollen es künftig richten: Horst Seehofer, Angela Merkel und Martin Schulz.

Das Regierungsprogramm von CDU, CSU und SPD ist voller Kompromisse. Es verdient aber nicht, jetzt zerredet oder ganz abgelehnt zu werden. Kommt die Groko, muss sie einen neuen Politikstil wagen. Die SPD hat sich zur Schicksalsmacht Deutschlands erkoren. Welch eine Bürde!

91 Politiker haben knapp zwei Wochen lang das Regierungsprogramm für eine schwarz-rote Koalition verhandelt. Sie repräsentieren das breite politische Spektrum von den ganz Linken in der SPD bis zu den ganz Rechten in der CSU. Bei solcher Ausgangslage gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder strickt man einen Vertrag nach dem Links-Rechts-Muster, oder man sucht nach Positionen in der Mitte. Dafür haben sich die 91 Verhandler entschieden. Ihr Regierungsprogramm der Kompromisse mag langweilig sein und die Ränder des politischen Spektrums zu Aktionismus ermuntern. Es ist aber konsistenter als ein Links-Rechts-Katalog und kann die Gesellschaft in der Mitte zusammenhalten. Viele der Kompromisse waren nur möglich, weil sie mit Geld erkauft wurden. Mindestens 46 Milliarden Euro zusätzlich wird das Regierungsprogramm kosten. Die solide Haushaltsführung der vergangenen Jahre macht’s möglich.

Sozialpolitische Schlagseite

Der Groko-Vertrag hat sozialpolitische Schlagseite. Da wird der Glaube in Union und SPD sichtbar, mit mehr staatlichen Leistungen der AfD wenigstens die unzufriedenen, sich benachteiligt fühlenden Wähler abspenstig machen zu können. Mehr für Familien und Kinder, für die Rente, die Pflege, für Auszubildende und, und, und – wer wollte bestreiten, dass das wünschenswert ist? Aber ist es rückholbar, wenn eine Konjunkturkrise kommt? Investitionen in Wohnungsbau, Verkehrsinfrastruktur und schnelles Internet können die Konjunktur ankurbeln. Industrie und Unternehmen aber sind unzufrieden, weil ihnen mehr Kosten aufgebürdet werden, aber ihre Steuerlast nicht sinkt. Das mag zur Zeit Jammern auf hohem Niveau sein. Das von den USA vorgeführte Dumping in der Unternehmensbesteuerung kann aber die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft schnell beeinträchtigen. Die Anzahl der jährlich aufzunehmenden Flüchtlinge und Asylsuchenden wird begrenzt. Die SPD nimmt das hin, weil immer mehr ihrer Mitglieder von einer Überforderung der Integrationsmöglichkeiten sprechen und weil das Grundrecht auf Asyl sowie die Genfer Flüchtlingskonvention die Abschottung Deutschlands verhindern. Dieser Groko-Vertrag hat es nicht verdient, zerredet zu werden. Nicht zuletzt, weil darin Maßnahmen für mehr Transparenz des Regierungshandelns und mehr Kontrolle durch das Parlament vorgesehen sind. Ein neuer, bürgernaher Regierungsstil ist so wichtig wie ein gutes Programm.

SPD Gewinnerin der Verhandlungen

Fraglos ist die SPD Gewinnerin der Verhandlungen. Ihr Vorgehen mittels Sonderparteitag und Mitgliederbefragungen hat unverkennbar Erpressungspotenzial und setzte die Union unter Druck. Die Verteilung der Ressorts zugunsten der SPD macht das überdeutlich. Es gibt jetzt kaum noch überzeugenden Gründe, die Groko abzulehnen. Die SPD leidet ja auch weniger an einer Groko als an sich selbst. Wie sie Martin Schulz hochgejubelt hat und ihm kein Jahr später die kalte Schulter zeigt, das ist fast frivol. Schulz, der mehr Ehrgeiz als politisches Geschick hat, will sich jetzt in ein Regierungsamt retten. Schulz hat strategische Fehler gemacht. Seine Glaubwürdigkeit ist beschädigt. Aber seine Partei ist so einflussreich wie zu Willy Brandts besten Zeiten. Nun liegt es allein in der Hand von 463.723 SPD-Mitgliedern, über die unmittelbare politische Zukunft der Republik zu entscheiden. Die SPD, die um ihren Status als Volkspartei ringt, hat sich selbst zur Schicksalsmacht Deutschlands erkoren. Ob ihr das aus ihrer Krise helfen wird, ist fraglich.

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