Politik Im Unterholz der politischen Statistik

Joachim Herrmann, Spitzenkandidat der CSU für die Bundestagswahl, meldet einen enormen Anstieg von Vergewaltigungsfällen im Bayern unter noch stärker gewachsener Beteiligung von Zuwanderern. Dann muss er aber ein Stück zurückrudern.

Bayern, so sagt es Innenminister Joachim Herrmann (CSU), sei das sicherste aller Bundesländer. Gleichzeitig vermeldet er, die Anzahl der Vergewaltigungen sei innerhalb eines Jahres um 50 Prozent gestiegen. Passt das zusammen? Kaum. Macht aber auch nichts. Herrmanns Botschaft ist sowieso eine andere: Wo Sexualdelikte zunehmen, teilt er mit, dort nehme die Anzahl der tatverdächtigen Zuwanderer weit stärker zu als jene der beschuldigten Deutschen. Aus diesem Grund hat Herrmann gestern zusammen mit Landesjustizminister Winfried Bausback einen „Sieben-Punkte-Plan“ präsentiert, der vor allem eine stärkere Überwachung in der Nähe von Flüchtlingsunterkünften vorsieht. Herrmann reagierte damit nicht nur auf einige schwere sexuelle Vergehen von Flüchtlingen, die zuletzt in Bayern Furore gemacht haben. Als Spitzenkandidat der CSU wollte er auch – so kurz vor dem Wahlsonntag – dem offenkundig gewachsenen Bedrohungsgefühl unter den Bürgern schnell etwas entgegensetzen. Drittens musste er aus dem Dickicht der Statistik wieder herausfinden, in dem er sich vor einer Woche verheddert hatte. Da hatte Herrmann nach einer Kabinettssitzung die von 463 auf 685 so rasant gestiegene Anzahl der Vergewaltigungen vermeldet – und war bei Strafrechtsexperten damit auf große Verwunderung gestoßen. Eine Steigerung um die Hälfte konnte sich keiner vorstellen – und tatsächlich musste Herrmann jetzt zurückrudern. Die so hohe Zahl war zum einen dadurch zustandegekommen, dass er andere Formen sexueller Nötigung einfach zum Stichwort „Vergewaltigung“ hinzuaddiert hatte. Zum anderen sind die Halbjahreszahlen von 2016 und 2017 nur bedingt vergleichbar, weil zwischendurch der einschlägige Strafrechtsparagraph 177 verschärft worden ist und nun mehr Tätlichkeiten strafbar sind als vorher. Zum Dritten musste Herrmann gestern zugeben, dass eine „gesteigerte Sensibilität“ für Übergriffe sexueller Art „auch das Anzeige-Geschehen erhöht“ habe. Sprich: Es sind 2017 mehr Anzeigen erstattet worden als vor Jahresfrist. Wie viel zusätzliche Delikte tatsächlich passiert sind, ist eine aus diesen Zahlen noch nicht zu beantwortende Frage. Jetzt sagt Herrmann, die Zahl 685 beziehe sich auf „Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung.“ Und die Zuwanderer? Von den 685 Fällen werden ihnen 126 zur Last gelegt; im ersten Halbjahr 2016 waren es nur 60. Damit wäre die Zahl der verdächtigten (nicht der überführten!) Asylbewerber in der Tat um mehr als hundert Prozent gestiegen – wenn denn Herrmanns Zahlen tatsächlich vergleichbar sind. Gestern teilte er mit, eine Expertengruppe der Bayerischen Polizei arbeite „mit Hochdruck an weiteren Analysen“. Das heißt: auf festem Grund fühlt der Minister sich selber noch nicht. Wie diffizil solche Analysen ausfallen können, zeigen Herrmanns Angaben zu „überfallartigen Vergewaltigungen durch Einzeltäter“. Solche hätten in Bayern binnen Jahresfrist von 68 auf 71 Fälle leicht zugenommen. Weitaus stärker aber, fast aufs Doppelte, sei die Zahl tatverdächtiger Zuwanderer gestiegen: von neun auf 17. Demgegenüber werden im ersten Halbjahr 2017 nur mehr 25 Deutsche verdächtigt (im Vergleichszeitraum 2016 waren es 20). Und dann macht Herrmanns Statistik noch einen Unterschied zwischen schlechten Ausländern – den „Zuwanderern“ eben – und tatverdächtigen „Nicht-Deutschen ohne Zuwanderer“. In ihren Reihen sei die Zahl der Verdächtigen von elf auf acht gesunken. Immerhin hat Herrmann aus dem Zahlendickicht auch eine andere Erkenntnis gezogen: Wenn zwischen 2016 und 2017 die Anzahl der schwersten Sexualdelikte um 222 zugenommen hat, aber die Zahl der verdächtigten Zuwanderer nur um 66, dann kommt auch der Minister zu dem Schluss: „Es ist ganz eindeutig, dass die Mehrzahl der zusätzlichen Tatverdächtigen eindeutig auch deutsche Tatverdächtige sind.“

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