Politik Die Diplomatische

Enge Vertraute: Maria Böhmer 2010 mit Kanzlerin Angela Merkel auf der Regierungsbank im Bundestag.
Enge Vertraute: Maria Böhmer 2010 mit Kanzlerin Angela Merkel auf der Regierungsbank im Bundestag.
Ludwigshafen

, im Dezember 2017: Vor wenigen Tagen hat FDP-Chef Christian Lindner den Ausstieg der Liberalen aus dem Projekt einer Jamaika-Koalition verkündet. Der schon länger mit Maria Böhmer vereinbarte Termin „zum Ende ihrer politischen Laufbahn“ wird ein Gespräch mit einer bis auf Weiteres geschäftsführenden Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Böhmer ist gerade erst von einer Australienreise mit dem Bundespräsidenten zurückgekehrt. In einem Ludwigshafener Hotellokal trinkt sie einen grünen Tee, sitzt – wie immer – kerzengerade und beantwortet unaufgeregt Journalistenfragen über ihren Lebensweg. Als Maria Böhmer in den 50er- und 60er-Jahren in Rheinhessen aufwuchs, war Politikerin kein typischer Berufswunsch für Mädchen. Auch Physik und Mathematik waren eher die Schulfächer, die als Domäne der Jungs gesehen wurden. Durfte Maria als Kind alles werden wollen, was sie sich wünschte? „Meine Eltern haben mich enorm ermutigt“, erinnert sich Böhmer, die als Tochter eines Juristen mit einem 13 Jahre älteren Bruder groß wurde und eben genau diese naturwissenschaftlichen Themen am interessantesten fand. „Die Welt der atomaren Teilchen, Werner Heisenbergs Arbeit, das hat mich fasziniert.“ Fasziniert. Das ist ein Lieblingswort Böhmers. Bei anderen klänge das aufgesetzt. Bei ihr ist es von Herzen gemeint. Sie spricht professoral. Nicht kompliziert. Gar nicht. Stets freundlich und verbindlich. Aber ohne Gefühlsduseligkeit, ohne jeden Ausbruch, man könnte auch sagen: höflich, diplomatisch, kontrolliert. Es sind Zufälle und Mentorinnen, die Böhmer helfen, ihren Weg zu finden. Zufälle. Wie das Leben eben so spielt. In ihrem Mädchengymnasium in Mainz hat sie eine Physiklehrerin, die sie bestärkt. Nach dem Abi 1968 geht sie an die Mainzer Uni, studiert Mathematik, Physik, Politikwissenschaft und Pädagogik auf Lehramt. In der Atomphysik-Vorlesung gibt es genau zwei Frauen. Statt eingeschüchtert zu sein, blüht Maria Böhmer immer weiter auf. Die Wissenschaft, ein Feld der Freiheit, wie sie selbst sagt. Es folgen: Promotion 1974, Habilitation 1982. Ein Aufenthalt an der Universität in Cambridge schärft ihren Wunsch nach einer akademischen Laufbahn nochmals. Da kommt, noch 1982, die Einladung zum Bezirkstag der Frauenunion Rheinland-Pfalz. Dr. Maria Herbeck ist damals Vorsitzende. Auch sie ist aus Alzey, sie kennt Marias Vater, der wiederum Herbecks Vater kennt. Die persönliche Chemie stimmt sofort, Maria Herbeck schlägt Rudi Geil, dem damaligen Sozialminister von Rheinland-Pfalz, Maria Böhmer als Kandidatin für eine neu zu schaffende Stelle vor: als erste Frauenbeauftragte des Bundeslandes. Ein Angebot, das natürlich verlockt. Maria Böhmers Habilitationsvater ermutigt sie, geht aber davon aus, dass Böhmer ihre akademische Karriere fortsetzen wird. „Machen Sie das mal ein Jahr… Und dann kommen Sie zurück“, habe der Professor gesagt, erinnert sich Böhmer schmunzelnd. Die Akademische Rätin lässt sich ein Jahr beurlauben. Das Jahr 1985 wird das Jahr der Wende für die damals 35-Jährige. Sie tritt der CDU bei. Der Essener Parteitag der Christdemokraten bringt eine neue Öffnung der konservativen Partei in der Frauenfrage. Heiner Geißler ist Generalsekretär. Rita Süssmuth wird Familienministerin. Damals trifft Maria Böhmer auch erstmals Alice Schwarzer, die große, wenn auch umstrittene, Frauenrechtlerin. „Ein fantastisches Aha-Erlebnis“ nennt Böhmer das rückblickend. Süssmuth macht Böhmer ein Angebot: Sie soll das alte Institut der Ministerin in Niedersachsen übernehmen. Die Rheinland-Pfälzerin ist geschmeichelt und fasziniert. Lehnt aber ab. Da setzt Süssmuth noch eins drauf und dient ihr den Posten einer Abteilungsleiterin im Bonner Familienministerium an. Wieder muss sie nachdenken. In ihrem noch jungen Alter eine riesige Chance. Kurz vor Weihnachten 1985 fällt dann der Entschluss: Maria Böhmer will selbst Politikerin sein, Wahlen gewinnen. Der Posten als Landesfrauenbeauftragte in Rheinland-Pfalz wird neben ihrem Engagement in der Frauen Union ihr Sprungbrett. Bei der Bundestagswahl 1990 schafft sie über die Landesliste auf Anhieb den Sprung in den Bundestag. Es folgen fast drei Jahrzehnte, in denen Böhmer nicht zu den schillernden Figuren der Politik gehört, aber mit Beharrlichkeit und Verlässlichkeit an den ganz dicken Brettern bohrt. Die Mütterrente, das Stammzellen-Gesetz. Schwierige Themen, sperrig. Sie verlangen langen Atem. Hier zahlt sich das Wissenschaftler-sein aus. „Die Beharrlichkeit brauchen Sie in der Wissenschaft“, erklärt Böhmer, „da bekommen Sie ja nie sofort ein Ergebnis.“ Das analytische Denken, die Unaufgeregtheit, wohl auch die Loyalität: Eigenschaften, die Böhmer zur Vertrauten Angela Merkels machen. Als die frühere Umweltministerin und CDU-Generalsekretärin 2000 Parteichefin und 2005 Kanzlerin wird, gehört Böhmer, inzwischen Bundesvorsitzende der Frauen Union, zum engsten Kreis der Vertrauten. Kabinettsposten sind die Folge. Maria Böhmers Mann, mit dem sie seit dem gemeinsamen Studium in Mainz zusammen ist, trägt die Last des Amtes mit. Verheiratet sind die beiden nicht. Kinder gibt es auch keine. Ist das der Preis des politischen Amtes, sind Spitzenpolitik und Familie trotz aller Fortschritte in der Frauenfrage doch nicht vereinbar? „Nein“, das lasse sich so nicht sagen, meint die 67-Jährige, die jahrzehntelang ungezählte Kilometer zwischen Bonn, Berlin und dem Wahlkreis Ludwigshafen/Frankenthal hinter sich bringen musste. Nicht verheiratet zu sein, sei in den 80er-Jahren für eine Frau über 30 kein einfacher Umstand gewesen. Man wurde darauf angesprochen. Aber Familie, die hat Böhmer stets gehabt, und um die hat sie sich auch intensiver gekümmert, als nach außen bekannt war. Sie pflegte über Jahre ihre Mutter. Die Rolle, die Mütter haben, ist auch Böhmers ganz besonderes Herzensanliegen gewesen. Die nach langen Jahren des Ringens 2014 in Kraft getretene Mütterrente ist für sie daher eine „große Gerechtigkeitsfrage“. Es gehe dabei nicht um die 28 Euro mehr Rente pro Jahr, sondern um die Lebensleistung von Frauen, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Um die Mütterrente durchsetzen zu helfen, hat Böhmer unermüdlich in Regionalkonferenzen geworben. Auch hier war ihr Stil einer, der sie nicht zu einem der bekannten Gesichter aus dem Talkshow-Zirkus gemacht hätte. Polarisieren ist ihr Ding nicht. „Überzeugen im Argument, nicht in der Konfrontation“, nennt sie das. An den richtigen Stellen streiten, ja, aber ohne den marktschreierischen Knall. Böhmer war schon vor ihrer Zeit im Auswärtigen Amt eine äußerst diplomatische Politikerin. Ihre Berufung zur Außen-Staatsministerin, als erstes CDU-Mitglied seit den 80er-Jahren, war nur konsequent. Dass die Frankenthalerin nicht nur vom Alter, sondern auch vom Stil her anders ist, als das moderne Politikerbild es verlangt, gibt Böhmer unumwunden zu. „Es gibt Kollegen, die sind auf schnellen Erfolg aus“, sagt sie, ohne das verallgemeinern zu wollen. Obwohl: Politik heute, sie sei doch schnelllebiger. Mit Böhmer geht eine der letzten aus der Bonner Republik in Ruhestand. Wobei – Ruhestand ist wohl etwas anderes, als das, was Böhmer künftig tun wird. Im Juni soll sie zur Präsidentin der deutschen Unesco-Kommission gewählt werden, sie ist unter anderem Kuratoriumsmitglied der Hertie-Stiftung, der Stiftung Lesen und der Speyerer Kaiserdom-Stiftung – die Liste der Ehrenämter, die sie weiter ausfüllen will, ist lang. Eine zweite, kleinere Wohnung als bisher, hat sie in Berlin schon bezogen. Aber Frankenthal soll ihr erster Wohnort bleiben.

2009: Im türkischen Gaziantep tröstet Maria Böhmer bei einer Gedenkfeier eine Angehörige der Opfer der Brandkatastrophe von Ludw
2009: Im türkischen Gaziantep tröstet Maria Böhmer bei einer Gedenkfeier eine Angehörige der Opfer der Brandkatastrophe von Ludwigshafen im Jahr zuvor. Die Türkei hat Böhmer als Politikerin immer wieder besucht; sie ist Ehrenbürgerin der Stadt Antakya in der Provinz Hatay.
2017 als Staatsministerin im Auswärtigen Amt.
2017 als Staatsministerin im Auswärtigen Amt.
1991 als neue Bundestagsabgeordnete.
1991 als neue Bundestagsabgeordnete.
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