Politik Bundesanwaltschaft: Zschäpe hatte Schlüsselrolle bei Morden

Nach fast vier Jahren Prozessdauer ist die Bundesanwaltschaft überzeugt: Der Hauptangeklagten Beate Zschäpe spielte eine Schlüsselrolle bei den zehn Morden, die der rechtsextremen Terrorgruppe NSU zugeschrieben wurden. Angehörige von Opfern greift dies zu kurz. Ihrer Auffassung nach wurden der wahre Hintergrund der Taten und mögliches Behördenversagen nicht hinreichend geklärt.

Man mag darüber streiten, ob es lustig oder peinlich ist, auf jeden Fall ist es eine der kuriosesten Unterbrechungen gewesen, die es bei dem seit mehr als vier Jahren andauernden NSU-Prozess gegeben hat. Sehr ausführlich hatte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Anträge der Verteidiger gerade abgelehnt, die das Plädoyer der Bundesanwaltschaft gerne aufgezeichnet haben wollten. Mehr als eine Stunde haben die Anwälte danach beraten, und als die Sitzung um 11.50 wieder eröffnet werden sollte, rechnete wohl jeder im Saal mit einem Befangenheitsantrag. Der kam aber nicht. „Keine Anträge, dann beginnen wir mit den Plädoyers, Sie haben das Wort“, so der Vorsitzende mit einem Kopfnicken zur Bank, auf der die Anklagevertreter sitzen. Doch daraus wurde erst einmal nichts. „Dann muss ich erst meine Unterlagen holen“, sagte ein sichtlich überrumpelter Bundesanwalt Herbert Diemer, der offenbar mit neuen Befangenheitsanträgen und weiterem juristischen Hickhack gerechnet hatte. Erheiterung im Saal, weitere zehn Minuten Pause. Diesmal verschuldet von der Anklagevertretung. Und dann, am 25. Juli 2017, 12 Uhr – es ist der 375. Prozesstag – können die Plädoyers endlich beginnen. Mit einer Einleitung von Bundesanwalt Diemer, die wohl all den Kritikern der Anklagebehörde den Wind aus den Segeln nehmen sollte. Die Beweisaufnahme habe vielleicht nicht immer das mediale und politische Interesse befriedigen können, so Diemer. Dem seien durch rechtsstaatliche Gesetze Grenzen gesetzt. Es sei jedoch vollkommen unzutreffend, wenn kolportiert werde, der NSU-Prozess habe die Aufgabe nur zu Teilen erfüllt. Ob das den Kritikern ausreicht, darf bezweifelt werden. Es sind an diesem Prozesstag überdurchschnittlich viele Angehörige der Opfer auf der Tribüne. Wegen des überraschenden Endes der Beweisaufnahme in der vergangenen Woche hatten damals viele nicht rechtzeitig eine Reise nach München organisieren können. Diesmal aber schon. Viele der Tribünengäste – und auch eine sehr große Gruppe von gestern nicht Anwesenden – bemängeln, dass die Bundesanwaltschaft kein Interesse daran gezeigt habe, mögliche Verbindungen staatlicher Stellen zum Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) aufzuklären. Jenseits der drei mutmaßlichen Haupttäter Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bleibe vieles im Dunkeln, so der häufig erhobene Vorwurf. Fehler von Behörden aufzuklären sei Sache der Ausschüsse und der Politik, so Diemer, „eine Strafbarkeit staatlicher Stellen“ habe sich in dem Verfahren nicht ergeben, sonst hätte man dem Gesetz entsprechend reagiert. Der Prozess habe sich auf die Rolle der Angeklagten beschränken müssen. Dieser Aufgabe sei die Beweisaufnahme gerecht geworden. Es gehört zum Wesen der Schlussvorträge, dass die Prozessbeteiligten weitgehend widerspruchs- und unterbrechungsfrei ihre Sicht der Dinge darlegen können. Die Anklage, so Diemer, habe sich in allen Punkten im wesentlichen bestätigt, für Beate Zschäpe ebenso wie für die vier Mitangeklagten (siehe: „Zur Sache: Helfer auf der Anklagebank“). Für Zschäpe bedeutet dies, dass sie von der Bundesanwaltschaft weiterhin als Mittäterin betrachtet wird. Zschäpe sei „Mitgründerin und Mitglied“ der terroristischen Vereinigung NSU gewesen, behauptet Diemer. Juristisch gesehen ist dies einer der Knackpunkte des Verfahrens. Mittäter sind laut Strafgesetzbuch Menschen, die eine Tat gemeinschaftlich begehen. Zschäpe war bei den zehn Morden nicht persönlich dabei. Dies sei auch nicht notwendig, weil sie so stark in der Organisationsstruktur eingebunden war, argumentiert die Bundesanwaltschaft. Ob das Gericht dies ebenso sieht, wird sich erst beim Urteil zeigen. Diemer jedenfalls ließ in München keine Zweifel an seiner Bewertung aufkommen. Aus rechtsextremistischer Ideologie heraus habe die Gruppe gemordet, „um einem widerwärtigen Naziregime den Boden zu bereiten“. Die Persönlichkeit der Opfer habe bei deren Auswahl keine Rolle gespielt, allein die Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe sei entscheidend gewesen. Das gelte für die griechischen und türkischen Mordopfer, während die in Heilbronn ermordete Polizistin Michele Kiesewetter „als Repräsentantin des verhassten Staates“ sterben musste. All die kursierenden Verschwörungstheorien bezeichnete er als „Fliegengesumme in den Ohren“. Unterstützt wird der Bundesanwalt im Prozess von den beiden Oberstaatsanwälten Anette Greger und Jochen Weingarten. Es war dann an Oberstaatsanwältin Greger, die inhaltliche Hauptlast des ersten Plädoyer-Tages zu tragen. Greger führte die Ermittlungen gegen Zschäpe. Sie beschreibt in München deren Werdegang auf dem Weg in den Untergrund. Zschäpe sei „Tarnkappe“ und „Stabilitätsfaktor“ der Gruppe gewesen und habe um jeden Preis gewollt, dass Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos nach begangenen Taten „unversehrt zu ihr zurück kehrten“. Ein Mal ließ die Hauptangeklagte den Vortrag anhalten. Sie könne der Geschwindigkeit nicht folgen, ließ Beate Zschäpe ihren Verteidiger mitteilen. Dann ließ der Anwalt des Mitangeklagten Ralf Wohlleben seinen Mandanten noch amtsärztlich untersuchen, weil dieser Konzentrationsschwierigkeiten geltend machte. Beide mussten sich dennoch weiter anhören, dass nach Ansicht des Bundesanwalts „die Taten ohne Zschäpe nicht möglich gewesen wären“ und dass die Hauptangeklagte ihrer Gesinnung auch ohne die inzwischen verstorbenen NSU-Mitglieder gefrönt habe – zum Beispiel beim Spiel „Progromly“, einer Art Monopoly mit fremdenfeindlichen Texten und Hetzkarten.

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