Politik Blickpunkt: Christen am anderen Ende der Welt: Pfeile, Boote und gerodeter Regenwald

Ungewöhnliche Kopfbedeckung: Zur Begrüßung der Gäste legt der Bogenschütze die Bekleidung seines Stammes an.
Ungewöhnliche Kopfbedeckung: Zur Begrüßung der Gäste legt der Bogenschütze die Bekleidung seines Stammes an.

obald die Boote die letzte Flusskehre nehmen, fliegen unzählige Pfeile über die Köpfe der Ankommenden hinweg. Was wie ein feindlicher Angriff wirkt, ist die Begrüßungszeremonie der Bewohner von Kwaneha für die Gäste aus der Pfalz. Fünf Stunden braucht es mit dem „Schnellboot“ – einem Kahn mit zwei Außenbordmotoren –, um von der Meeresmündung des Gesa-Flusses bis zu dem Dorf mit seinen etwa 290 Einwohnern zu gelangen. „Die Missionare kommen“ – viele stimmen das Lied an, als die Pfälzer die steile Stiege vom Fluss ans Ufer hochklettern. Unter Gesang und Tanz werden sie zum Dorfgemeinschaftshaus begleitet, vorbei an gepflegten einfachen Holzhütten mit kleinen Vorgärten. Den sonst vielerorts die Landschaft verschandelnden Plastikmüll sieht man hier nicht. Stolz berichten die Dorfbewohner, dass sie sich heute noch in vielen Dingen nach dem richten, was ihnen Otto Schüpbach einst vermittelt und beigebracht hat. Der Schweizer Landwirt kam Ende der 80er Jahre im Auftrag der Basler Mission in diese abgelegene Region – rund 135 Jahre, nachdem die ersten deutschen Missionare das Evangelium auf die Insel Mansinam gebracht hatten. Schüpbach sollte anhand eines Landwirtschaftsprojekts versuchen, drei dort ansässige, sich bekämpfende Papua-Stämme zu befrieden. Ein Auftrag, der auf den ersten Blick gelungen zu sein scheint. Zwar steht die von Schüpbach hierher gebrachte Reismühle unbenutzt im Gemeinschaftshaus – der Reisanbau funktionierte nicht – , aber Landwirtschaft wird immer noch betrieben. Im früheren Wohnhaus der Schüpbachs lebt heute Ziehtochter Aksamina. Otto und Hanna Schüpbach nahmen sie als 14-Jährige in ihr Haus auf (sowie weitere 20 Kinder), erzogen sie und ermöglichten ihr die dreijährige Ausbildung zur Krankenschwester. Aksamina kümmert sich nun um die Gesundheit der Dorfbewohner, behandelt Malaria, Verletzungen oder Hautkrankheiten. Mit viel Respekt und Liebe denkt die heute 45-Jährige an ihre Zieheltern zurück: „Sie waren nie böse mit uns. Sie haben uns wichtige Dinge fürs Leben beigebracht, wie Disziplin und Pünktlichkeit.“ ünktlichkeit – ein Fremdwort in einer Welt, in der viele Dörfer sehr weit auseinander liegen, meist nur in Tagesreisen mit dem Boot zu erreichen sind, Dabei spielt Zeit keine Rolle. Für Argin Reri, zu deren Dekanat Waropen Atas die Kirchengemeinde Kwaneha gehört, bedeutet das, oft Stunden und Tage unterwegs zu sein. Nur so kann die zierliche Dekanin Kontakt zu den 18 Gemeinden mit ihren 4000 Mitgliedern und neun Pfarrern halten. Die Evangelische Kirche des Landes Papua umfasst 56 Dekanate, 2300 Gemeinden, 441 Evangelistenposten, also Gemeinden im Aufbau. Sie hat 2800 Mitarbeiter, davon 1370 Pfarrerinnen und Pfarrer sowie geschätzt 800.000 Mitglieder. Die Kirche finanziert sich aus Beiträgen der Mitglieder, Kollekten und staatlichen Zuschüssen. In Papua leben etwa drei Millionen Menschen. Im Zuge der Transmigrasi-Politik, mit der die Regierung in Jakarta von 1969 bis 1998 Menschen von der dicht bevölkerten Hauptinsel Java sowie den Inseln Sumatra und Sulawesi umsiedelte, kamen Hunderttausende Indonesier, überwiegend Muslime, nach Papua. Inzwischen stellen die indigenen Papua weniger als die Hälfte der dortigen Bevölkerung. Viele Ureinwohner leben in abgeschiedenen Regionen. An Orten, die über keinen Funkkontakt verfügen, die von der Außenwelt gewissermaßen abgeschnitten sind. Wie Gesa, ein Dorf drei „Schnellboot“-Stunden von Kwaneha flussabwärts gelegen. In den 90er Jahren wurden die 75 Familien des Dorfes umgesiedelt – weg vom Fluss drei Kilometer ins Landesinnere. Eine koreanische Firma hatte einen Deal mit den Bewohnern geschlossen. Das Unternehmen konnte eine große Fläche tropischen Regenwalds abholzen, dafür baute es den Familien Häuser, eine Kirche und eine Moschee. Die Firma ist längst abgezogen, zurückgeblieben sind eine zerstörte Landschaft und Menschen, die weiter in Armut leben. In Gesa gibt es keine Elektrizität, keinen Laden, keine Gesundheitsstation, keine Medikamente, geschweige denn einen Arzt. Wer nach der Grundschule eine weiterführende Schule besuchen will, muss das Dorf verlassen. „Wir haben nicht mal die Möglichkeit, das Schulgeld für unsere Kinder zu überweisen. Wir sind oft tagelang unterwegs, um dies zu erledigen“, beklagt sich ein Presbyter der Gemeinde. Die Trostlosigkeit ist überall zu spüren. Gesa ist ein Beispiel, wie das Gros der indigenen Bevölkerung, der Ureinwohner, leben muss. Die Gesundheitsversorgung in den abgelegenen Regionen ist schlecht. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt bei 50 Jahren. Zwar ist West-Papua reich an Gold, Kupfer, Uran, Nickel, Holz und Erdgas – doch die meisten Papua profitieren von diesen Schätzen nicht. In den 60er Jahren verleibte sich Indonesien die ehemalige niederländische Kolonie Westneuguinea ein. 2001 erhielt Papua den Sonderstatus als autonome Provinz. Damit verbunden ist die Anerkennung regionaler Vielfalt, die Errichtung autonomer Gebiete, die dezentrale Steuerverwaltung. Viel staatliches Geld fließt nach Papua, um unzugängliche Gebiete zu erschließen, medizinische Grundversorgung und Schulen zu schaffen. Auch Poiwai, das Dorf an der Flussmündung, in dem das Dekanat Waropen Atas seinen Sitz hat, kam in den Genuss von Förderung. Mit staatlichem Geld wurde eine große Solaranlage gebaut. Sie könnte die ganze Siedlung mit ihren etwa 480 Bewohnern nebst Schulen mit Strom versorgen. Doch die Anlage ist seit einigen Monaten kaputt, erklärt Ortspfarrer „Vater Abraham“ beim Rundgang. Niemand vor Ort kann sie reparieren. So heißt es warten. Warten, bis vielleicht irgendwann die Firma einen Techniker schickt. Auf Poiwai erfährt die pfälzische Delegation hautnah, was es bedeutet, nur auf ein Boot als Fortbewegungsmittel angewiesen zu sein. Es ist stürmisch, und der Kapitän des 16-Personen–Schiffes, der die Pfälzer von der Insel wegbringen soll, weigert sich, aufs offene Meer zu fahren. Zu gefährlich. Das führt zu einer Zwangspause von mehr als einem Tag. Diese lässt Raum, darüber nachzudenken, warum uns seit der Ankunft auf Waropen an der Westküste Papuas drei Polizisten, zwei mit Maschinengewehren, rund um die Uhr auf Schritt und Tritt begleiten. Zur Sicherheit, heißt die offizielle Sprachregelung. Trotzdem sind die Gäste und Dorfbewohner vorsichtig. Denn die Polizisten dokumentieren die Zusammenkünfte mit ihren Handys, machen sich Notizen. Doch eher Überwachung als Schutz? Die indonesische Regierung sieht es nicht gern, wenn Ausländer bestimmte Gebiete in Papua bereisen. Für die Fahrt in manche Regionen braucht es deshalb eine Erlaubnis oder eben Polizeischutz. Das Misstrauen scheint groß, die Fremden könnten diejenigen unterstützen, die für die Unabhängigkeit Papuas kämpfen. Immer wieder entlädt sich vor allem in Städten der Unmut der Papua in spontanen Demonstrationen, die meistens mit Militärgewalt aufgelöst werden. Menschen werden inhaftiert, gefoltert, verschwinden, Todesopfer sind zu beklagen. So wird auf dieser Reise offiziell nie über den Wunsch nach Unabhängigkeit gesprochen. Zu gefährlich wäre das für alle Beteiligten. uch in Lembafori ist das kein Thema. Vor zwei Jahren haben sich zu beiden Seiten einer Schotterpiste durch den Regenwald 25 Familien eines Halbnomaden-Stammes angesiedelt. Da sie an ihrer früheren Wohnstätte von den anderen Dorfbewohnern ausgegrenzt worden seien, kehrten sie zu einem Ort ihrer Vorfahren zurück, erzählt der Ortsvorsteher. Das Baumaterial für die Hütten hat der Staat gestellt. Hier wollen sie sesshaft werden. Noch bietet ihnen der Regenwald hinter ihren Behausungen die Grundlage für ihre Existenz: Sagopalmen, Früchte, Wildschweine, Baumkängurus, Flughunde. Das Leben ist ärmlich, bis zum nächsten größeren Ort sind die Bewohner zu Fuß mehrere Tage unterwegs. Ein Grund, warum ihre Kinder keine Schule besuchen können. Trotz aller widrigen Lebensumstände haben die Christen große Pläne: Auf einer kleinen Anhöhe neben der Piste wollen sie eine Kirche errichten. Dann kann aus dem Evangelistenposten eine Kirchengemeinde werden, um die sich auch ein Pfarrer kümmern wird. Noch dienen den Gläubigen zusammengezimmerte, wackelige Bretter als Sitzgelegenheit, um an einer morastigen Stelle sonntags Gottesdienst zu feiern. Mit dem Bau einer Straße, die irgendwann an ihrer Siedlung vorbeiführen wird, hoffen sie, dass sich auch ihr Leben verbessern wird. Vorausgesetzt diese Region bleibt vor den Abholzungen des Regenwaldes verschont. Nicht mehr als eine Hoffnung.

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