Politik Blickpunkt: Aus für Schwarz-Gelb-Grün: Störenfriede und 123 Murmeln

Von „bedauerlich“ bis „schade“: die überrumpelten Sondierer von CDU und CSU in der Nacht zum Montag.
Von »bedauerlich« bis »schade«: die überrumpelten Sondierer von CDU und CSU in der Nacht zum Montag.

Das Spiel hat längst begonnen. Genau genommen schon wenige Minuten nach der FDP-Ankündigung am Sonntag kurz vor Mitternacht, die Jamaika-Sondierungen platzen zu lassen. Das Spiel heißt „Schwarzer Peter“. Es war bei Kindern beliebt – und ist es gelegentlich in der Politik immer noch. Im übertragenen Sinne geht es darum: Wer ist schuld? Wer also ist schuld an der gescheiterten Regierungsbildung – einer „Situation, die es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland … noch nicht gegeben hat“, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier formulierte. Ob das jemals aufgeklärt wird? Vielleicht ist das, politisch gesehen, gar nicht so wichtig. Denn es geht um die Deutungshoheit. Möglicherweise kommt es im Nahkampf der nächsten Tage eher darauf an, welcher Partei in der Wahrnehmung der Wähler glaubhaft der Stempel „Schuldiger“, „Blockierer“ oder „Verhinderer“ aufgedrückt werden kann. Denn die Bundesrepublik hatte immer stabile Bundesregierungen, gebildet von staatstragenden und verantwortungsbewussten Parteien. Da kommen Abenteurer und Glücksritter beim Wahlvolk nicht gut an. Es werden also „Schuldige“ gesucht. Und seit der Nacht von Sonntag auf Montag ist ein wahrer Tsunami an Schuldzuweisungen über die FDP hinweggerollt. Zwar haben sich die Granden von CDU und CSU rhetorisch noch zurückgehalten. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel bedauerte den liberalen Auszug lediglich, CSU-Chef Horst Seehofer fand ihn schade. CDU-Vize Julia Klöckner war mit ihrem Spruch von der „gut vorbereiteten Spontanität“ auf Twitter nach Mitternacht schon einen Zacken schärfer drauf. Das war ein Hinweis darauf, dass in Union und Grünen die Ansicht weit verbreitet ist, der FDP-Rückzug aus den Sondierungsgesprächen sei vorbereitet und kalkuliert gewesen. Seit Donnerstag vergangener Woche, so heißt es bei CDU und Grünen, sei das spürbar gewesen. Aus allen Rohren gefeuert wird dagegen aus der zweiten Reihe, etwa vom stellvertretenden CDU-Landesvorsitzenden Christian Baldauf: „Das ist ein unfaires liberales Manöver. Die FDP spricht von Grundsätzen, meint aber Taktik. Sie will den Preis für eine Regierungsbeteiligung nach oben treiben.“ Der Frankenthaler schimpfte, der FDP gehe es nicht um einen gemeinsamen Plan für Deutschland, sondern um Planspiele. Rumms! Bei einer Schaltkonferenz des CDU-Bundesvorstandes hat Chefin Merkel gestern zwar den Wunsch geäußert, die Getreuen möchten das Verhalten der FDP möglichst sparsam öffentlich bewerten. Es spreche schließlich für sich selbst. Was einer weiteren Ohrfeige für die Liberalen gleichkommt. Aber Merkels Wunsch muss die Grünen nicht kümmern. Folglich weisen sie mit allen Fingern, die sie haben, auf die FDP. Gestern zählte die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt zahlreiche Politikfelder auf, in denen es schon eine Einigung gegeben habe oder eine zum Greifen nah gewesen sei – wenn die FDP nicht ausgezogen wäre. Der südpfälzische Grünen-Bundestagsabgeordnete Tobias Lindner kippte die Schuldfrage direkt vor der liberalen Haustür ab. Zudem vermisste er Verantwortungsbewusstsein bei der FDP. Den Auftakt hatte der Altgrüne Jürgen Trittin noch in der Nacht gemacht. Mit ganz spitzem Finger zeigte er auf die FDP. Es habe ein Gesamtpaket vorgelegen aus Klimaschutz, Familiennachzug, Arbeitsrecht, Abschaffung des Soli-Steuerzuschlags und Mütterrente, worauf sich die Grünen hätten einlassen können. Die FDP habe zu diesem Zeitpunkt aber schon ihre Pressemitteilung über den Abbruch der Gespräche vorbereitet. Als FDP-Chef Christian Lindner dies vor der Presse verkündet habe, hätten Grüne, CDU und CSU vor den Bildschirmen gestanden und „schockiert über diesen Abgang“ zugesehen. Die Schuldzuweisung Trittins ist auch deshalb interessant, weil in den Stunden vor dem Sondierungsabbruch eigentlich Trittin als „Störenfried“ galt, insbesondere in den Augen der CSU. Wie schnell sich das Blatt manchmal wendet. Allerdings hat die FDP gestern auf die Angriffe schnell reagiert. Parteivize Wolfgang Kubicki konterte. „Es lag nichts auf dem Tisch“, sagte er „wir waren in keinem Punkt wirklich vorangekommen.“ Er stellte in Abrede, dass die Verhandlungen vorangekommen waren. Mehr als 120 Punkte seien bis zum Ende strittig gewesen. Den Jamaika-Sondierern aller Seiten hätten eine gemeinsame Idee und ein Leitmotiv gefehlt. Kubicki: „Dieses Spiel zu spielen, das vielleicht Frau Merkel aus anderen Verhandlungen kennt ,Ich schmeiß’ 123 Murmeln auf den Tisch und jeder nimmt sich, was er will’, das ist keine Grundlage für eine stabile Regierung.“ Dann ging der norddeutsche Haudegen auf die Grünen los. Er warf ihnen Indiskretionen und öffentliche Kritik an den Liberalen vor: „Wie wollen sie erklären, dass sie mit uns was zusammen machen, wenn wir dauernd in sozialen Netzwerken, dauernd in der Öffentlichkeit, dauernd in den Medien lesen, was für schlimme Finger wir seien?“, fragte Kubicki. Scharf ging auch der rheinland-pfälzische FDP-Landesvorsitzende Volker Wissing mit CDU-Chefin Merkel ins Gericht. Die Kanzlerin habe „chaotische Sondierungsverhandlungen organisiert. Sie hat die Lage völlig falsch eingeschätzt.“ Die Union habe große Zugeständnisse an die Grünen gemacht, während der FDP nur „Brosamen“ angeboten worden seien. Die Grünen hätten immer neue Forderungen gestellt und „keinen Millimeter Bewegung“ gezeigt. „Wir fühlten uns am Ende von den Gesprächspartnern nicht mehr ernst genommen“, schimpfte der Südpfälzer gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters. Misslich nur: Noch am Freitag war Wissing komplett anderer Ansicht. Im Interview mit der RHEINPFALZ hatte der FDP-Mann mit Blick auf die Kanzlerin gesagt: „Frau Merkel will das Bündnis. Sie verhandelt sehr sachlich und konstruktiv.“ Beim Schwarze-Peter-Spiel scheint sich das Blatt gelegentlich schnell zu wenden …

Grüne – ratlos. Aber wer am Scheitern der Gespräche schuld ist, das ist für Cem Özdemir (rechts) und Anton Hofreiter klar.
Grüne – ratlos. Aber wer am Scheitern der Gespräche schuld ist, das ist für Cem Özdemir (rechts) und Anton Hofreiter klar.
Schuld sind immer die anderen: FDP-Chef Christian Lindner erhält demonstrativen Beifall von Volker Wissing (links) und Katja Sud
Schuld sind immer die anderen: FDP-Chef Christian Lindner erhält demonstrativen Beifall von Volker Wissing (links) und Katja Suding (rechts).
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