Politik Aussortiert im Mutterleib

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Mit einem Bluttest kann bei Schwangeren risikolos festgestellt werden, ob das Kind das Down-Syndrom hat. Das Verfahren ist aber ein weiterer Baustein für ein gesellschaftliches Klima, in dem Behinderung zum Makel erklärt wird. Es besteht die Gefahr, dass sich Eltern eines behinderten Kindes noch stärker rechtfertigen müssen.

Irgendwie anders und irgendwie normal. Kleines bisschen extra, irgendwie egal. Irgendwie anders und irgendwie normal.

So heißt es im Refrain des Songs, den der Hamburger Rapper Roger Reddich zum Welt-Down-Syndrom-Tag geschrieben hat. Irgendwie anders und irgendwie normal sind Menschen mit dem Down-Syndrom. Doch immer weniger Kinder mit der Genveränderung erblicken das Licht der Welt. Schätzungsweise neun von zehn Schwangerschaften, bei denen beim Fötus Trisomie 21 festgestellt wird, werden abgebrochen. Eine Entwicklung, die angesichts immer differenzierterer vorgeburtlicher Diagnostik nicht zu stoppen sein wird. Das muss sich eine Gesellschaft bewusst machen. Für Aufregung sorgt derzeit ein Bluttest, mit dem ab der elften Schwangerschaftswoche diagnostiziert werden kann, ob das Kind mit Trisomie geboren wird. Der Test ist seit 2012 auf dem Markt, muss aber bislang von Eltern selbst gezahlt werden. Nach Informationen des einzigen Anbieters in Deutschland – der LifeCodexx AG – wurden bislang in Deutschland rund 75.000 Tests verkauft. Nun soll der Bluttest zur Kassenleistung werden – nur bei Risikoschwangerschaften. Vorerst.

Zu 99 Prozent sicher

Empfohlen hat das ein Gremium von Krankenkassen, Ärzten, Kliniken und Patientenvertretern. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat einzig den Auftrag, das Verfahren wissenschaftlich-technisch zu überprüfen. Und da ist das Ergebnis relativ eindeutig: Der Bluttest ist zu 99 Prozent sicher und birgt kein Risiko. Im Gegensatz zur Fruchtwasseruntersuchung, deren Kosten seit 1986 von den Krankenkassen übernommen werden. Es geht aber um weit mehr als um das Verfahren. Es geht darum, wie eine Gesellschaft mit Menschen mit Behinderungen umgeht. Es ist nachzuvollziehen, dass werdende Eltern wissen möchten, ob mit ihrem Kind alles in Ordnung ist. Und aus haftungsrechtlichen Gründen unterlässt es kaum ein Arzt, einer Schwangeren jedes mögliche Verfahren zu empfehlen, mit der eine eventuelle Behinderung frühzeitig erkannt werden kann. Die meisten Paare jedoch sind sich vor der Untersuchung nicht der Konsequenz bewusst, dass sie bei einem negativen Befund eine Entscheidung über Leben oder Tod des gemeinsamen Kindes treffen müssen. Viele entscheiden sich bei der Diagnose Down-Syndrom für einen Abbruch. Nicht zuletzt, weil neben der medizinischen eine umfassende, alle Seiten aufzeigende Beratung fehlt.

90 Prozent der Schwerbehinderungen nach der Geburt

Der medizinisch-technische Fortschritt schreitet in der vorgeburtlichen Diagnostik voran. Damit wird der Druck auf Schwangere wachsen, alle Risiken auszuschließen. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich Eltern eines behinderten Kindes noch stärker rechtfertigen müssen. Somit wird ein gesellschaftliches Klima entstehen, in dem jede Behinderung zu einem Makel erklärt wird. Das ist alarmierend. Dabei treten mehr als 90 Prozent der in Deutschland anerkannten Schwerbehinderungen nach der Geburt ein: durch Sauerstoffmangel im Gehirn beispielsweise oder durch Krankheiten und Unfälle im fortgeschrittenen Alter. In die Debatte um den Bluttest müssen Betroffene und ihre Familien einbezogen werden. Das ist notwendig, damit werdende Eltern im Fall eines Falles ein vollständiges Bild als Entscheidungsgrundlage erhalten. Sebastian Urbanski, Berufsschauspieler mit Down-Syndrom, bewertet eine Aussortierung vor der Geburt so: „Das zeigt nur, dass wir Außenseiter bleiben, und das wollen wir alle nicht. Wir sind verdammt nochmal alle Menschen.“

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