Politik Alter weiser Mann: Zum Tod von Erhard Eppler

WeitblickEr gehörte zu den alten weisen Männern der deutschen Politik: Erhard Eppler, Vordenker der SPD, war von 1961 bis 74 Bun
WeitblickEr gehörte zu den alten weisen Männern der deutschen Politik: Erhard Eppler, Vordenker der SPD, war von 1961 bis 74 Bundestagsabgeordneter und von 1968 bis 74 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Von 1973 bis 1981 amtierte er als Landesvorsitzender der baden-württembergischen SPD und war von 1976 bis 1982 Landtagsabgeordneter in Stuttgart. foto: dpa

Er war das Umweltgewissen der Republik zu einer Zeit, als noch niemand Nachhaltigkeit buchstabieren konnte. Erhard Eppler, in Habitus und Umgangsformen ein eher altmodisch wirkender Bildungsbürger, konnte junge Menschen begeistern wie kaum ein Parteipolitiker sonst. Nun ist er im Alter von 92 Jahren gestorben. Eine Würdigung von Rolf Gauweiler

Nein, in die klassische Arbeiterpartei SPD hat dieser Schwabe nie so recht passen wollen. Der 1926 in Ulm geborene asketisch wirkende Mann erinnerte bei seinen Auftritten eher an einen grüblerischen Lateinlehrer, dem man beim Denken zusah. Er galt als Intellektueller, der maßgeblich das Grundsatzprogramm seiner Partei mitformulierte – aber wie viele Genossen haben es wohl gelesen? Ein Mann der Kirche war er auch, ein glaubensfester Vertreter der lutherischen Art, nach der Devise: Hier stehe ich und kann nicht anders. Zum Kompromiss war Erhard Eppler nicht geschaffen, er wich nicht vom Pfad seiner Prinzipien ab. Das hat ihn zum Einzelgänger werden lassen, verlieh ihm aber zugleich die Aura eines Propheten vom Berge, der hellsichtiger als andere die Zukunft sehen und deuten konnte.

Bei aller Vergeistigung, die ihn umwehte, blieb Eppler doch auch ein Politiker, der Macht erstrebte und Einfluss auf die Herzen und Hirne der Wähler ausübte. Das gelang ihm vor allem in der ersten Hälfte der 1980er-Jahre, als auf den Straßen und Plätzen der Bundesrepublik vorwiegend junge Leute gegen die Aufstellung US-amerikanischer atomarer Mittelstreckenraketen als Antwort auf die Rüstung der Sowjetunion demonstrierten. Es war eine Bewegung der Angst vor der Apokalypse, und es war Eppler, der die Furcht aufnahm und die Visionen artikulierte, die diese jungen Leute umtrieb.

Erhard Eppler und Helmut Schmidt waren keine Freunde

Der die Raketen ins Land holen wollte, war ein Parteifreund Epplers, der allseits respektierte Kanzler Helmut Schmidt, der mokant gesagt hatte, dass zum Arzt gehen solle, wer Visionen im Kopf habe. Es gibt noch heute viele, die fest davon überzeugt sind, dass in letzter Konsequenz Eppler für den Sturz Schmidts verantwortlich ist. Tatsache ist, dass die beiden keine Freunde wurden, obwohl beide ein biblisches Alter erreichten.

Eppler machte bis zuletzt die in seinen Augen geistlose Macher-Attitüde Schmidts verantwortlich dafür, dass eine ganze Generation der SPD den Rücken kehrte und die Grünen sich als politische Kraft etablieren konnten. Schmidt wiederum verachtete Eppler als Spinner, der vor lauter schöngeistigen Reden vergaß, wie man Wahlen gewann.

Politische Heimat in der SPD gefunden

Anders als Oskar Lafontaine hat Eppler die SPD allerdings nicht im Zorn verlassen, obwohl er kein unumstrittener Liebling der Parteitage war. Vermutlich hat er bei den Sozialdemokraten die politische Heimat gefunden, die er lange gesucht hat. Eppler machte keinen Hehl daraus, dass er als Jugendlicher und noch später als Flakhelfer dem Nazi-Regime brav gefolgt ist und Mitglied der NSDAP wurde – eine jugendliche Dummheit, so sah er das. Nach dem Krieg, als junger Gymnasiallehrer für Deutsch, Englisch und Geschichte, suchte er – selbst ein Lehrersohn –, seinen Platz bei der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP), einer Splittergruppe, die gegen Adenauers Wiederaufrüstung eintrat und eine aktive Wiedervereinigungspolitik forderte.

Epplers Leitstern war und blieb Gustav Heinemann, der im Streit mit Konrad Adenauer zurückgetretene Innenminister; mit ihm und anderen, darunter Johannes Rau, trat Eppler 1956 zur SPD über. Das sei so etwas wie die protestantische Elite gewesen, die der alten Arbeiterpartei den Weg in die Bürgerlichkeit von Godesberg gewiesen habe, hieß es im Rückblick süffisant.

Rücktritt aus Protest vom Ministerposten

Von 1961 bis 1976 vertrat Eppler als Bundestagsabgeordneter den Wahlkreis Heilbronn, ab 1968 war er sechs Jahre lang Entwicklungshilfeminister, wie das Ressort für Zusammenarbeit mit den ärmeren Staaten dieses Planeten damals hieß. Erst in der Großen Koalition unter Kurt Georg Kiesinger, dann unter Willy Brandt, den Eppler als melancholischen Helden der deutschen Sozialdemokratie verehrte. Im Mai 1974 schmiss Eppler hin, weil der neue Kanzler sein Budget kürzte. Der hieß Helmut Schmidt.

Noch einmal kokettierte Eppler mit politischer Macht, als er 1976 gegen Hans Filbinger und 1980 gegen Lothar Späth (beide CDU) antrat, um baden-württembergischer Ministerpräsident zu werden. Beide Male fuhr er eine krachende Niederlage ein. Danach ließ Eppler die Tagespolitik gutsein und beschränkte sich auf das, was er wirklich konnte: sich seines Verstandes zu bedienen.

Geachtet für seine Weitsicht

Vordenker nannten sie ihn nicht nur in der SPD, und wenn er sprach, hörten ihm auch die zu, die nicht seiner Meinung waren. Sein doppeltes Talent, Positionen standhaft zu vertreten und dennoch den Dialog nie abreißen zu lassen, war gefragt auf Evangelischen Kirchentagen, denen er vier Jahre als Präsident vorstand. Seine Argumente blieben konturiert auch im Alter, doch seinen rebellischen Geist schien Eppler gezähmt zu haben. Er stützte die Politik des Kanzlers Gerhard Schröder und billigte sowohl die Intervention im Kosovo als auch die Beteiligung am Afghanistan-Einsatz nach den Terrorattacken vom 11. September 2001. Auch gegen die Hartz-Reformen erhob er keine Einwände.

In seine Lebenserinnerungen hat er einen Satz geschrieben, den man wie viele Eppler-Äußerungen zweimal lesen sollte, um ihn zu ergründen: „Mir gefiel es in der SPD, weil die meisten ganz anders waren als ich.“ Aber bis zu seinem Tod verübelte Eppler seiner Partei, dass sie den Schutz der Umwelt und der natürlichen Lebensgrundlagen als Thema verschlafen hatte. Eppler musste sich das nicht vorwerfen. Früh warnte er vor den Risiken der Atomkraft und bezweifelte die gängige Doktrin, dass der Wohlstand der Republik auf immerwährendem Wachstum fuße.

Man darf annehmen, dass der Mann mit der Baskenmütze und dem weißen Bart in großväterlicher Sympathie auf die jungen Leute schaute, die freitags für eine bessere Welt auf die Straße gehen. Mitmarschiert ist er nicht mehr. Er saß im Lehnstuhl in seinem Haus in Schwäbisch Hall und sinnierte über den Lauf der Welt: ein klassischer Bildungsbürger mit widerborstigem Geist, der am Samstag im Alter von 92 Jahren gestorben ist.

RückblickMit Parteifreund und Bundeskanzler Helmut Schmidt (links) überwarf sich Erhard Eppler wegen Schmidts Haltung zu Frieden
RückblickMit Parteifreund und Bundeskanzler Helmut Schmidt (links) überwarf sich Erhard Eppler wegen Schmidts Haltung zu Frieden, Entwicklung und Umweltschutz. (Foto: beide gemeinsam auf einer Wahlveranstaltung der SPD Baden-Württemberg 1980). fotos: dpa
ScharfblickSchon früh warnte Erhard Eppler vor den Folgen eines mangelnden Engagements der Industriestaaten für bessere Lebensbe
ScharfblickSchon früh warnte Erhard Eppler vor den Folgen eines mangelnden Engagements der Industriestaaten für bessere Lebensbedingungen in Afrika und vor einem zu großen Vertrauen in die Atomkraft. Besonders am Herzen lagen im die Friedenspolitik und der Umweltschutz. fotos: dpa
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