Politik Abgeschottet und fast schon vergessen

Krimtataren protestieren im Mai 2014 an der Grenze zur Krim auf einem Panzerfahrzeug der ukrainischen Armee. Vielen Angehörigen
Krimtataren protestieren im Mai 2014 an der Grenze zur Krim auf einem Panzerfahrzeug der ukrainischen Armee. Vielen Angehörigen des Turkvolkes wird von den russischen Behörden inzwischen die Einreise verweigert.

Achtem Tschigos (53) ist der prominenteste Verurteilte, aber trotzdem nur einer von vielen. Wegen „Aufrufs zu Massenunruhen“ stand der stellvertretende Vorsitzende der Krimtataren im Sommer 2017 vor Gericht, um nach zweijähriger Untersuchungshaft zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt zu werden. Tschigos hatte am 26. Februar 2014 als Vizechef des krimtatarischen Medschlis, der politischen Vertretung des Turkvolkes, eine Protestaktion vor dem Parlament in Simferopol, der Hauptstadt der Krim, mitorganisiert. Kurz zuvor hatte Russlands Präsident Putin erklärt, man müsse die Krim „zurückholen“, um „den Bewohnern die Möglichkeit zu geben, über ihr eigenes Schicksal zu bestimmen“. In Simferopol waren daraufhin ukrainefreundliche Krimtataren und prorussische Demonstranten aufeinandergeprallt. Tätliche Auseinandersetzungen waren die Folge. Tschigos Nachfolger Ilmi Umerow (60) wurde ebenfalls verurteilt. Wegen „öffentlichen Aufrufs zu Handlungen, die die territoriale Ganzheit der Russischen Föderation verletzen“. Er hatte 2016 in einem Interview geäußert, die Krim sei ukrainisch und die Russen müssten von der Halbinsel abziehen. Im Oktober 2017 wurden beide nach einem Deal zwischen Putin und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan überraschend freigelassen und in die Türkei ausgeflogen. Sie dürfen jedoch nicht mehr in ihre Heimat auf die Krim zurück. Schlimmer hat es den Oppositionellen Oleg Sentsov (41) erwischt. Der in Simferopol geborene Filmregisseur wurde im Mai 2014 wegen des Verdachts der Planung terroristischer Handlungen verhaftet, nach Moskau gebracht und dort zu 20 Jahren Haft in Sibirien verurteilt. Selbst zwar kein Krimtatar, hatte Sentsov ebenfalls gegen den Anschluss der Krim an Russland protestiert. Nach Auskunft der Menschenrechtlerin Tamila Tasheva („SOS Krim“) wurden in den vergangenen vier Jahren mindestens 95 weitere Frauen und Männer aus ähnlichen Gründen auf der Halbinsel festgenommen und später verurteilt. „Die Menschenrechtslage auf der Krim ist prekär“, so Tasheva. Zweifellos seien viele Menschen auf der Krim mit der Annexion durch Russland einverstanden gewesen, weil sie sich eine Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse erhofft hatten. Aber deren Erwartungen hätten sich größtenteils nicht erfüllt. Unzufriedenheit werde aber nur in kleinem Kreis geäußert. Alles andere sei zu gefährlich. „Wir wissen absolut zu wenig, war aktuell auf der Krim passiert“, beklagte der ukrainische Historiker Andrii Portnov von der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder kürzlich während einer Podiumsdiskussion an der Universität. Die Ergebnisse ukrainischer Telefonumfragen auf der Halbinsel seien nicht belastbar. Man könne aber davon ausgehen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung auf der Krim als ethnische Russen verstehe. Seit der ukrainischen Unabhängigkeit 1991 hätten die verschiedenen Regierungen in Kiew viele Fehler bezüglich des komplizierten Status der Halbinsel gemacht, sagte Portonov. In der Ukraine fehle die selbstkritische Diskussion darüber jedoch völlig. Es sei nur von „Okkupation“ durch die Russen die Rede, die politischen Fehlentwicklungen zuvor würden ausgeblendet. Die Situation ist festgefahren. Die Regierung in Kiew, durchaus zu Recht empört über die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, hat beispielsweise inzwischen verfügt, dass Ausländer, die ohne ihre ausdrückliche Genehmigung die Krim (via Russland) besucht haben, mit Einreiseverboten in die Ukraine belegt und, wenn möglich, strafrechtlich verfolgt werden. Der Geheimdienst hat im vergangenen Jahr 2300 Verstöße gegen dieses Gesetz ausgemacht. Auch Firmenkontakte sind untersagt, was zu Ermittlungen unter anderem gegen DHL, Puma und Adidas geführt hat. Seit vier Jahren ist die Krim quasi von der Außenwelt abgeschottet. Die Pässe, die die russischen Behörden dort ausstellen, werden im Ausland in der Regel nicht anerkannt. Die alten ukrainischen Papiere laufen jedoch nach und nach ab, eine Verlängerung ist kaum möglich. Schlechte Karten also für alle Krim-Bewohner, die ins Ausland reisen wollen. An der Grenze zur Ukraine stehen sich indes schwer bewaffnete russische und ukrainische Soldaten gegenüber, immer wieder gibt es Zusammenstöße. Während die Welt wie gebannt auf den Krisenherd Syrien starrt, braut sich im Osten Europa weiteres Unheil zusammen. Ende Januar stationierte Russland weitere Boden-Luft-Raketen auf der Krim. Eine neue Einheit, so der Kreml, soll nahe der Stadt Sewastopol den Luftraum an der Grenze zur Ukraine kontrollieren. Das neue System könne aber in weniger als fünf Minuten vom Verteidigungs- zum Angriffsmodus umschalten, zitierte die russische Agentur Interfax den Kommandeur der Luftstreitkräfte, Viktor Sewostjanow. Bereits im Dezember vergangenen Jahres hatte die US-Regierung unter Donald Trump der Ukraine zugesagt, „erweiterte Verteidigungsfähigkeiten“ zur Verfügung zu stellen. Dazu sollen auch Panzerabwehrraketen gehören.

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