Rhein-Pfalz Kreis Das dicke Ende

Das dicke Ende oder: Chaos im Wald.
Das dicke Ende oder: Chaos im Wald.

«Ludwigshafen.» Ein Kreis soll sich schließen. Oder eine Drohung wahr werden. Es kommt ganz darauf an, wie man es sieht: Am Ende dieser Serie wird Förster Jürgen Render jedenfalls dort im Wald die Säge ansetzen (lassen), wo er im Mai vergangenen Jahres mit der Sprühflasche hantierte. Es wird laut. Es wird dreckig. Und es sterben Bäume.

Das Beste kommt zum Schluss, heißt es. Aber manchmal nimmt etwas auch ein dickes Ende: In der Dudenhofener Waldabteilung Brombeerhecken sieht es aus wie auf einem Schlachtfeld. Baumstämme liegen kreuz und quer. Äste ragen klagend in die Luft. Holzfetzen bedecken den Boden. Bei Sichtung des Tatorts wird klar: Ein Gemetzel hat stattgefunden. „Manche Leute werden das sicher so sehen, die Optik soll hier aber nicht täuschen. Was wir machen, tun wir mit Maß, Ziel und Fachkunde“, sagt Jürgen Render, der für das Revier Modenbach rund um Dudenhofen zuständig ist. „Immer im Winterhalbjahr finden die Holzernte und Waldpflege statt.“ In anderen Teilen des Rhein-Pfalz-Kreis-Waldes sind dieser Tage ähnliche Bilder zu sehen. Und der Förster weiß: Spaziergänger ärgern sich darüber. Nicht nur, dass die schönen Bäume gefällt werden. Sie regen sich vor allem auch über die vermatschten Wege auf. Render kennt die Empfindlichkeiten der Menschen, die in Sorge um ihre Naherholungsgebiete sind. Ihm ist deshalb sehr daran gelegen, zu erklären, was passiert. Und warum. Das dicke Ende war abzusehen. Damals schon im Mai. Als die Vöglein sangen. Die Blümlein blühten. Alle Bäume sich wohlig in Richtung Frühlingssonne streckten und die Welt in der Waldabteilung Brombeerhecken noch in Ordnung schien. Schien wohlgemerkt. Denn Jürgen Render schlug sich seinerzeit mit zwei Sprühdosen bewaffnet in die Büsche. Er malte Zukunftsbäume an. Zeichnete Biotopbäume aus. Sprühte weiße Punkte und Schlangenlinien (wir berichteten am Anfang dieser Serie). Doch: Viel öfter zückte er die Dose mit der roten Farbe. Zisch, zisch – und zwei rote Striche prangten auf dem Stamm dieser Kiefer. Und auf dem Stamm jener Kiefer. Die Tage der Bäume waren damit gezählt. Ein Sommer und ein Herbst blieben ihnen noch. Dann rückte der Harvester an. Ein motorisiertes Monster mit unglaublich großen Reifen. Und einem langen Greifarm inklusive Säge. Das Gemetzel begann. Und wenige Stunden später sah es in der Waldabteilung Brombeerhecken eben so aus, wie es jetzt aussieht. Aus Förstersicht ist das kein Waldhorrorszenario und auch nicht das dicke Ende – an dem wird höchstens mit der Säge angesetzt. Holz ernten ist etwas, was gemacht werden muss. Erstens: Weil jeder Holz braucht. „Wir tragen mit der Ernte dazu auf nachhaltige Weise bei.“ Zweitens: Um Geld in die Kasse zu bekommen. Denn Wald kostet den Besitzer immer auch Geld. In diesem Fall muss die Gemeinde Dudenhofen zahlen, damit Spaziergänger hier sicher durch den Wald laufen können, damit an Straßen keine gefährlichen Bäume stehen, damit Wege regelmäßig freigeschnitten werden, Artenschutz betrieben wird oder neue Bäume in den Boden kommen, wo Schädlinge eine Fläche plattgemacht haben. „Mit der Holzernte können wir nicht alles bezahlen, aber wir leisten einen Deckungsbeitrag.“ Drittens: Wald wird regelmäßig durchforstet, um Wald zu erhalten. „Schauen Sie sich dieses junge Bäumchen an“, sagt Render. Wo andere nur tote Bäume und Verwüstung sehen wollen, sieht der Förster das Leben. Grün und zart. „Diese kleine Kiefer braucht Licht, um groß zu werden. Wald muss sich verjüngen können, und deshalb müssen andere Bäume raus.“ Etwa alle zehn Jahre durchkämmt ein Förster sorgfältig einen Bestand – zeichnet Zukunftsbäume aus, die groß und stark werden sollen. Und sogenannte Bedränger, die rote Striche bekommen. Damit regelt er das Licht, das alles im Wald bestimmt. Auszeichnen, das klingt so einfach: Farbdose und los. Aber ein Förster darf nicht leichtfertig Bäume ansprühen, sondern muss genau abwägen: Wo stehen Bäume zu dicht? Welcher Baum schafft es, 100 Jahre alt zu werden – und welcher nicht? Gilt es, in diesem Bestand Tiere und Pflanzen zu schützen? Darf ein alter morscher Baum als Biotopbaum stehen bleiben, oder gefährdet er Waldbesucher? Hinter all den Überlegungen steht der Wille, sagt Render, einen gesunden Wald an die nächste Generation zu übergeben. In den Brombeerhecken ist auch der eine oder andere schöne Baum gefällt worden, für den die Zeit reif war, zu Bauholz zu werden. Und das ist schon das Beste, was einer Kiefer aus der Rheinebene passieren kann. Die Bäume stehen auf sandigem, trockenem Boden. „Das superwertvolle Holz ernten wir nicht.“ Andere Stämme werden zu Verpackungsholz. Oder zu Industrieholz: Spanplatten oder Hackschnitzeln. Diese werden gleich in der Nähe verbrannt. Die Schulen in Dudenhofen heizen etwa damit. „Bioenergie der kurzen Wege“, nennt es Render. Noch besser für Klima und Umwelt: Wenn aus Holz etwas entsteht – und seien es Spanplatten. Denn im Holz ist Kohlenstoffdioxid gespeichert. „Je länger es da drin ist, um so besser“, sagt Jürgen Render. Es wird erst wieder frei, wenn Holz verrottet oder verbrannt wird. „Nachhaltige Möbel bekommen damit noch mal einen ganz besonderen Wert – als Beitrag für den Klimaschutz.“ Inzwischen stehen wir mit dem Förster im Löchel. Die Waldabteilungen haben schon lustige Namen. Der Harvester macht gerade Pause. Den langen Greifarm hat er eingeklappt. Die Maschine ist im Ruhemodus. Und doch kracht und knackt es im Wald. Dann ist deutlich eine Motorsäge zu hören. Wo kommt das Lärmen her? „Das sind unsere Zufäller“, sagt Render. „Die gehen wir jetzt mal besuchen. Aber ich melde uns übers Handy an. Nicht, dass uns ein Baum auf den Kopf fällt.“ In der Tat befinden wir uns mitten im Sperrbezirk. Banner und rot-weiße Bänder warnen Waldbesucher: Hier geht es heute nicht weiter. Achtung: Lebensgefahr. Groß, rot, eindeutige Zeichen. „Und trotzdem laufen Leute einfach weiter, weil sie es nicht einsehen, von ihrer gewohnten Route abzuweichen“, berichtet der Revierförster. Und ist ein bisschen verzweifelt über so viel Unverständnis. „Was da alles passieren kann!“ Mit Helm und Schutzvisier macht er die Vorhut durch die Rückegasse. Das ist der mit einem „Ist-gleich-Zeichen“ markierte Streifen, durch den später das Holz aus dem Wald gezogen wird. Die beiden Männer, die wir treffen, arbeiten für die Firma Nicklas. Das Odenwälder Unternehmen erledigt für das Forstrevier die Holzernte. Die Männer sind für die Handarbeit zuständig. Sie fällen Bäume, an die der Harvester nicht drankommt. Die schwere Maschine darf nicht über die Rückegasse hinaus fahren. Es soll nicht mehr Waldboden verdichtet werden als nötig. „Die Böden sind empfindlich. Seit der Eiszeit hat sich lediglich eine zehn Zentimeter dicke Humusschicht über verwitterndes Gestein gelegt. Wir tun also alles für den Bodenschutz.“ Auch so ein Hinweis vom Förster – an Menschen, die nur das dicke Ende der Geschichte sehen wollen. Nico ist der Mann an der Motorsäge. Er zeigt uns, wie er den Baum ansägt, damit er zur richtigen Seite kippt. Mit einem Wumms kracht die Kiefer zu Boden. Davon beeindruckt gehen wir lieber zwei Rückegassen weiter zurück zum vermatschten Waldweg, wo der Harvester schlummert. „Die Wege werden nach der Holzernte hergerichtet“, verspricht Render. Und auch im Wald werde es bald weniger wild aussehen. „Wenn es so nass und weich ist, sieht gleich alles schlimmer aus. Leider friert der Boden immer seltener.“ Wir wären wieder beim Thema Klima. Plötzlich kreuzen vier Rehe unseren Weg. Dann hoppelt ein Hase vorbei. Krass, die Tiere haben wir aufgeschreckt. Das Sägengelärme dagegen scheint sie nicht gestört zu haben ... Und auf einmal stehen wir vor einem Absperrbandquadrat. Nanu? Mitten im Wald? „Schauen Sie mal, was in der Mitte ist.“ Ach je, ein Ameisenhaufen. „Er macht die Holzarbeiten an dieser Stelle zwar komplizierter, aber es ist für mich eindeutig klar, der Ameisenschutz hat Vorrang“, sagt Jürgen Render. Ach wie goldig. Manchmal ist es doch nicht das dicke Ende, das kommt. Sondern das Beste kommt zum Schluss: Tausende gerettete Ameisen.

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