Kultur Zum Ende Appelle an den Mut zum Gefühl

Stolze Preisträgerin: Charlotte Rampling mit ihrem Ehrenbär.
Stolze Preisträgerin: Charlotte Rampling mit ihrem Ehrenbär.

Sie kann ganz schön streng und schmallippig sein, wenn sie sich falsch verstanden fühlt. Aber auch herzlich bis dreckig lachen: Vor der Gala, bei der sie den diesjährigen Berlinale-Ehrenbär erhielt, hat sich die große britische Schauspielerin Charlotte Rampling Pressefragen gestellt. „Immer nur eine bitte!“, wehrte sie allzu sprudelndes Ansinnen ab, bis sie doch auftaute und ihre Karriere rekapitulierte. „Bereue ich was? Nein, ich hab mich entschlossen, nichts zu bedauern, knirsche aber manchmal mit den Zähnen“, sagt sie. Und fletscht diese fauchend, bevor sie loslacht. 73 Jahre alt ist sie inzwischen, lebt schon lange in Paris, und spricht besonders gern über François Ozon, der sie in „Unter dem Sand“ (2000) besetzte. Es war eine Zeit der großen Krise für sie, sagt sie. Mit über 50 musste sie sich als Schauspielerin neu erfinden. Auch habe die Arbeit am Film ihr einen Schicksalsschlag wieder vergegenwärtigt, über den sie dann erst 2015 sprach, in einem eigenen Buch: der Suizid ihrer Schwester in den 1960ern. In „Unter dem Sand“ spielt sie eine Frau, die den Tod, ihres Manns verarbeitet. Kurz darauf hat sie in „Swimming Pool“ noch einmal mit Ozon gearbeitet: „Er hat diese wunderbare Leichtigkeit in seinem Wesen. Und er möchte, dass sich jeder glücklich fühlt, während er sich in die Tiefen der Psyche begibt.“ Die Tochter einer Malerin und eines Offiziers ist der Ansicht, dass ein Schauspieler immer auch ein Stück von sich selbst in eine Rolle einbringt. „Man verbindet sein Gefühlssystem mit dem einer anderen Person, aber man bleibt immer man selbst.“ Gerade in ihren Altersrollen begeistert die Schauspielerin, die meist würdevoll-distanziert, aber innerlich brodelnd wirkt. Wie in „45 Years“, ein Berlinalefilm, für den sie für einen Oscar nominiert war – als Ehefrau, die nach 45 Jahren erfährt, nicht die wahre Liebe ihres Mannes gewesen zu sein. In Berlin gewann sie damals den Darstellerbären, es sei neben ihrer Jurychefin-Arbeit ihr liebster Berlinalemoment gewesen. Bei der Ehrenbärgala aber lief ihr kontroversester Film, „Der Nachtportier“ über die Beziehung einer KZ-Überlebenden zu einem SS-Mann. Es war die letzte große Gala vor der Bärenverleihung heute. Der ursprünglich als letzter Wettbewerbsbeitrag vorgesehene neue Film von Zhang Yimou, bekannt durch „Rotes Kornfeld“ oder „Hero“, wurde aus dem Programm genommen. Offiziell wegen „technischer“ Gründe. China hat sein Filmgesetz 2016 verschärft, die Änderungen greifen nun 2019. Ein Freigabesiegel für das Drehbuch allein reicht nicht mehr, es gibt noch eine zweite Begutachtung. Offenbar ist „One Second“ von Zhang Yimou hierbei durchgefallen – ebenso ein eingeplanter Beitrag der Kinderfilmreihe aus China, der ebenfalls ausfiel. Laufen wiederum durfte – erstaunlicherweise, angesichts der durchaus regierungskritischen Töne – „So Long My Son“ von Wang Xiaoshuai, der 2001 mit „Bejing Bicycle“ den Jurypreis der Berlinale gewann und 2008 mit „In Love We Trust“ den Drehbuchbären. Sein neuer Wettbewerbsfilm ist ein zu Herzen gehendes Familienepos. 30 Jahre fängt er in drei Stunden ein. Es geht um zwei befreundete Familien, die das Schicksal verbindet. Die Eltern arbeiten in derselben Fabrik, sie sind Nachbarn, die Söhne haben am selben Tag Geburtstag. Doch dann ertrinkt Lijuns Sohn, Schuld hat der beste Freund. Dessen Mutter hatte sich zuvor bereits schuldig gemacht: Als Verantwortliche für „Familienplanung“ in der Fabrik schickte sie ihre Freundin Lijun, die erneut schwanger war, zu einer Zwangsabtreibung. Auch Arbeiterproteste gegen eine Entlassungswelle zeigt der Film. Und einen Nachbarn, der gern Schlaghosen trug, Discomusik von Boney M hörte und dafür verhaftet wurde. Das Gefängnis hat ihn dann gebrochen: ein gesellschaftskritischer Film also. Vor allem aber ein Film, der tiefe, komplexe Gefühle zeigt, gerade das Leid einer Mutter. Auch geht es um Fragen der Vergebung. „So Long My Son“ ist damit klarer Bärenfavorit. Der Film darf wohl in Berlin laufen, da Wang Xiaoshuai schon 2013 mit der Arbeit daran begonnen hatte, als noch die alte Zensurregelung galt. „Wir müssen sehr vorsichtig daran herangehen, solche Stoffe zu erzählen“, sagte er erstaunlich offen beim Pressetermin zum Film, insofern seine Worte korrekt übersetzt wurden. Dass Zhang Yimous Film nicht läuft, kommentierte er ebenfalls recht deutlich: „Eine sehr unangenehme Geschichte, das hat mich sehr getroffen. Wir haben alle sehr auf seinen Film gewartet, es ist bedauerlich.“

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