Kultur Von wegen Farewell

Arno Gisinger erzählt in seiner Fotoinstallation im Mannheimer Wasserturm „Gespenstergeschichten“ aus der Kunsthalle, hier mit e
Arno Gisinger erzählt in seiner Fotoinstallation im Mannheimer Wasserturm »Gespenstergeschichten« aus der Kunsthalle, hier mit einer Fotografie mit Edouard Manets »Die Erschießung des Kaisers Maximilian«.

Komischer Titel, „Farewell Photography“, mach’s gut – für ein, vielleicht das deutsche Großereignis, das die Kunstgattung feiert. Aber soll so sein. Acht Ausstellungen, an sieben Orten in Ludwigshafen, Mannheim, Heidelberg, „Biennale für aktuelle Fotografie“ nennt sich das etablierte Rhein-Neckar-Fotofestival zum ersten Mal. Klingt ambitionierter. Und zu Recht. Eine großartige Zusammenschau ist dabei herausgekommen. Ein Räsonnement über die Gegenwart und die Fotografie genau jetzt. Chapeau!

60 Künstlerinnen und Künstler haben die sechs Kuratorinnen und Kuratoren, voran der stille Metier-Star Florian Ebener vom Pariser Pompidou und seine Leipziger Co-Ausstellungsleiterin Christin Müller, auserwählt. Serafettin Keskin zählt nicht dazu. Obwohl seine Fotos gezeigt werden. Obwohl: Seine Bilder mit Kumpel Hayri – zwei Frauen sind auch zu sehen, einmal steht zudem ein VW Bulli im Bild – illustrieren mit Sitzarrangements im Grünen kompositorisches Geschick. Schnappschüsse sind es gleichwohl, entstanden bei einem Ausflug 1964 bei Ulm. Ein Jahr zuvor ist Serafettin Keskin als sogenannter Gastarbeiter nach Süddeutschland gekommen, angeworben, emigriert. Er schickt anfangs auf der Rückseite beschriftete Fotos an die Heimatadresse Richtung Türkei. Retour gehen Aufnahmen unter anderem seiner Tochter, etwa ein Geburtstagsfoto für den „liebsten Papa“ – „wann kommst du endlich nach Hause?“. Wie ein analoger Facebook-Dialog wirkt der Bilderwechsel der Keskins. Auch ansonsten weist er über sich hinaus und ist typisch für diese Biennale, die die Arbeiten einiger weniger Kunstgrößen wie Candida Höfer, Jürgen Teller oder Wolfgang Tillmans einsortiert. Neben Alltags- und Gebrauchsaufnahmen. Von Polizei-, Psychiatrie- und Museums-Fotografen, oder aus der BASF-eigenen Zeitschrift, dem Archiv der Sternwarte, aus YouTube oder einem der anderen Internetkanäle, in die weit über eine Milliarde Bilder eingespeist werden, tagtäglich. Das individuelle Bild ist tot, hat das wohl zu bedeuten. Adieu! Wichtiger ist, was daraus gemacht wird, Farewell! Auffällig oft sind in dieser Großausstellung, die die in und mit der Fotografie greifbaren Phänomene der Durchdigitalisierung unserer Gegenwart untersucht, künstlerische Positionen nominiert worden, die auf vorhandenes Material zurückgreifen. Wie Arwed Messmer, der im Mannheimer Museum Zephyr in einer eindrucksvollen Installation, der konzisesten der Biennale vielleicht, mit Polizeifotos eine alternative Bilderzählung der RAF-Geschichte etabliert, die unter anderem Andreas Baader als Micky-Maus-Heftchen-Konsument und Leser einer rechtsradikalen Waffenzeitschrift historisiert. Wie Joachim Schmid, der im Mannheimer Port25 – Raum für Gegenwartskunst eine lange Flucht von 96 Büchern mit den „Fotos anderer“ ausstellt, meist eins zu eins übernommen aus der Netzplattform Flickr. Spielerische Anteile wie diesen hat die Großausstellung trotz aller Bildskepsis schon auch. Man sollte für die Schau gut zwei Tage einplanen, mindestens, es lohnt sich, versprochen. Neben vifen historischen Rückblicken wie im Ludwigshafener Hack-Museum unter dem Motto „1 x 1 der Kamera“ widmet sie sich mit Verve neuen Arbeitsweisen, Bildern der Verweigerung, anderen Zeugenschaften als den journalistischen, anderen Ansichten als den kanonisierten. Der mit einem blauen Gummiüberzug geschützte Finger eines sonst unsichtbaren Google-Mitarbeiters, der den ganzen Tag nur Bücher einscannt, ist auf ein Foto geraten, ein Fehler. Sven Johne, sein neun Meter breites Bilderpanorama ist Teil der Zephyr-Schau, ist der Flüchtlingskrisenroute von griechischen Idomeni nach Calais, Frankreich, gefolgt, den Kopf stur gesenkt, als wolle er den Blick abwenden vom Üblichen, das – hunderttausend Mal reproduziert – nicht weiterführt. Stattdessen dokumentiert er Risse im Asphalt, Kalkbrocken auf einer Straße in Srebrenica, aus Idomeni das abgeplatzte Holzlaminat eines Fußbodens, leise Einschreibungen. Von Mannheims Fotografen-Ikone Robert Häuser sind Auftragsarbeiten übernommen, die er für die BASF in südamerikanischen Produktionsstätten angefertigt hat (im Ludwigshafener Kunstverein), im Leben nicht wollte er sie in den Kunstkontext gebracht haben. Im Hack-Museum belichtetet unbelichtetes Fotopapier, das älteste aus den 1960er-Jahren, vor sich hin, dokumentarische Aurafotografie einer ausbleichenden Ära, wenn man so will. Im Heidelberger Kunstverein ist ein Greenpeace-Kalender aufgehängt, der im April das Foto eines französischen Naturfotografen zeigt, der, was wohl niemand auffiel, in früheren Zeiten als Geheimagent an tödlichen Attacken gegen Greenpeace-Mitarbeiter beteiligt war. In den Mannheimer Wasserturm wurde auf halber Höhe eine Plattform eingestellt, von der aus sich die „Gespenstergeschichten“ – glanzvolle, tragische, politische – aus der Historie der Mannheimer Kunsthalle verfolgen lassen. Erzählt von Arno Gisinger. Er agiert aus dem Glasplattenarchiv des Museums heraus sozusagen und projiziert die Glasplatten an die bloße Ziegelwand. 8000 Exponate lagern im Depot. Sein Projekt darf gleichzeitig als stille Hommage an den Museumsfotografen Kurt Schneyer und seine Nachfolgerin Marita Wickenhäuser verstanden werden. Zusammengenommen haben sie eine Zeitspanne zwischen 1919 und 2004 bildnerisch konserviert. Im Port 25 in Mannheim geht es darum, wie das Teilen unseren Umgang mit Bildern prägt, die Erstellung einer Art visuellen Grammatik der sozialen Netzwerke. Titel: „Kein Bild ist eine Insel“. Unter anderem sind dort via YouTube verbreitete Intimitäten über Medikamentengebrauch und zerknirscht eingestandene Gewichtszwischenstände zum vielstimmigen Bekenntnischor instrumentiert. Instagram-Starlet Kim Kardashian, auf einer Müllkippe fotografiert von Jürgen Teller, streckt einem ihren Markenkern, das deutliche Hinterteil, entgegen. Amilia Ulman richtet sich über Monate mit angedeuteter Brust-OP et cetera willfährig in einer Art Live-Performance auf Instagram „Like“-fähig zu. Der vorhin angeführte Bildersammler Schmid indes zeigt, schön enzyklopädisch geordnet, Angler, die große Fische präsentieren, leere Parkplätze; andere haben Menüs am Bord eines Flugzeuges hochgeladen. Schon 1987 empfahl er, keine neuen Fotos mehr aufzunehmen, „bevor die alten aufgebraucht sind“. Auch das eingangs erwähnte Gastarbeiter-Bildtagebuch von Serafettin Keskin ist ganz in diesem Sinn nachhallend recycelt worden. Als Einzelprojektion und zusammen mit anderen „fotografischen Selbstverortungen im Einwanderungsland Deutschland“, wie es etwas sperrig heißt, in einer Dreikanalprojektion im Ludwigshafener Kunstverein. Als Teil der Schau „Global Players. Wie lassen sich Fotografie, Ökonomie und Migration zusammen denken?“. Ja, wie? Zu sehen sind in dem sehr toll inszenierten Kunstvereinsraum (Kuratorin: Kerstin Meincke) neben anderem Schwarzweiß-Aufnahmen von Arne Schmitt, auf denen der BASF-Standort Ludwigshafen heute aussieht wie Lima 1967. Oder Bilder aus der PR-Zeitschrift „BASF-Information“, die die Migration des Firmenlogos dokumentieren. „Mitarbeiter Peter Bertram, Verkaufsbüro München“ hat eine Aufnahme vom Urlaub eingeschickt. Motiv, wie das Firmenschild des Biennale-Premiumsponsors einen Abschnitt der Kanäle präsidiert, die Bangkok durchziehen. Alles im Fluss bei dieser Schau, wie die Ansicht des Mönches auf einem Video in der Heidelberger Sammlung Prinzhorn, der sich als Hooligan entpuppt. Selbst Dogmen wie: eine Fotoausstellung hat Fotos zu zeigen. Oder: nur der entscheidende Augenblick zählt beim Fotografieren. Sie verlieren bei dieser Biennale ihre Wucht. Die Recherchen der Migrant Image Research Group zu journalistischen Bildern von Flüchtlingen, die in Lampedusa entstanden sind, ist so in gezeichnete (!) Bildergeschichten aufgelöst. So zeigt Barbara Probst im Hack-Museum zwölf Bilder, die im gleichen Moment aufgenommen sind, am gleichen Ort, einer Straße, mit zwölf Kameras gleichzeitig. Einen Mann sieht man von der Straße, er steht am Fenster, ein anderes Foto zeigt ihn, wie er am Fenster steht, von einem Innenraum aus betrachtet, in dem eine Frau auf dem Sofa sitzt. Dass sie ein Loch im Strumpf hat, ist auf einem weiteren Foto festgehalten. Und weiter so. Sogar die Eintrittspreise sind bei der „ersten“ Biennale der aktuellen Fotografie flexibel, neu. Bezahlt wird am Ende jeweils an Bezahlstationen. Je nach Gusto. Vorgeschlagen: sieben Euro. Von wegen Farewell. Was für ein Anfang!

Performance auf Instagram: Amilia Ulman.
Performance auf Instagram: Amilia Ulman.
Gudrun Ensslins Plattenspieler: Arwed Messmers „Stammheim # 12“ aus der Serie „RAF – NO EVIDENCE / KEIN BEWEIS“.
Gudrun Ensslins Plattenspieler: Arwed Messmers »Stammheim # 12« aus der Serie »RAF – NO EVIDENCE / KEIN BEWEIS«.
Kunst mit Treppe von Sebastian Stumpf.
Kunst mit Treppe von Sebastian Stumpf.
Andrzej Steinbach: „Ohne Titel“, 2015.
Andrzej Steinbach: »Ohne Titel«, 2015.
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