Kultur Tanz mir die Revolution

Happy End mit Fragezeichen: Graf Almaviva (Ioan Hotea) und Rosina (Marina Viotti) entschweben in den Bühnenhimmel.
Happy End mit Fragezeichen: Graf Almaviva (Ioan Hotea) und Rosina (Marina Viotti) entschweben in den Bühnenhimmel.

Südländische Leichtigkeit mit einem leisen Hauch Endzeitstimmung verbreitete die erste Premiere der neuen Saison an der Straßburger Opéra du Rhin: Rossinis „Barbier von Sevilla“. Rundum gelungenes Musiktheater bester klassischer Tradition – bevor es wieder experimenteller zugehen wird an dem Haus, das nun in der zweiten Spielzeit von der aus Stuttgart gekommenen Eva Kleinitz geführt wird.

Die Jungen – Figaro, Graf Almaviva, Rosina – schlagen den Alten – Bartolo und Basilio – ein Schnippchen, und alles wird gut: So ließe sich vielleicht Rossini allein interpretieren. Aber wer die Vorlage kennt, Beaumarchais’ Trilogie mit der Fortsetzung „Figaros Hochzeit“ und „Die schuldige Mutter“, der weiß, dass zum einen die Handlung am Vorabend der Französischen Revolution einsetzt, und zum anderen, dass die sympathischen jungen Helden keineswegs makellose Charaktere sind. Das zeigt uns Pierre-Emmanuel Rousseau bei aller Buffo-Heiterkeit nun schon im „Barbier“. Der junge französische Regisseur hat im deutschsprachigen Raum bislang hauptsächlich in der Schweiz gearbeitet. Er zeichnet zugleich für das geschickt zwischen Außen (vor Bartolos Haus) und Innen (Rosinas „Gefängnis“, eine Art Patio mit Wasserspiel) changierende Bühnenbild und die aus Goya-Gemälden in eine farbenprächtige spanische Comic-Wirklichkeit transferierten Kostüme verantwortlich. Südländisch leicht erscheint das alles, und doch spielt sich ein Tanz auf dem Vulkan ab, den die Protagonisten vielleicht manchmal zu oft im Wortsinn mittanzen. Aber wie Rousseau dann doch immer wieder der Versuchung widersteht, allzu sehr in den Klamauk zu gleiten, ist beste klassische Theaterschule. Hinter bunter Fassade versteckt, erhält dieser „Barbier“ mit einem Mal unmerklich jenen Tiefgang, den ihm die Nachwelt gerne abspricht. Rousseau vereint das scheinbar Unvereinbare, und dabei unterstützt ihn ein spielfreudiges Ensemble ganz wunderbar. Die Bässe Leonardo Galeazzi (als Verleumdungsspezialist Basilio im Abbé-Kostüm) und Carlo Lepore (Bartolo, der Vertreter der alten Ordnung) zeigen, warum bald eine Revolution ausbricht. Aber Graf Almaviva (Ioan Hotea mit ganz vorzüglichem Rossini-Tenor) ist doch eher ein aufgeblasener adliger Schnösel. Und sein Helfer Figaro? Eine recht verkrachte Existenz mit Lausbubengesicht. Da vergisst man gerne, dass Leon Kosavics klangvoller Bariton mitunter fast zu schwer klingt für diese Partie. Und dann ist da noch Rosina, ein Mezzosopran, wie ursprünglich von Rossini vorgesehen: Marina Viotti hat genau diese Stimme, ein samten warmes Timbre und dazu die notwendige „geläufige Gurgel“. Ihr und dem Dirigenten des Abends – Michele Gamba am Pult des mit bestechend schönen Bläsersoli aufwartenden und auch ansonsten gut gelaunt aufspielenden Orchestre symphonique de Mulhouse – gehört ganz gewiss eine glänzendere Zukunft als dem in einer Montgolfiere in den Bühnenhimmel entschwebenden Opernpaar Rosina und Almaviva. Termine Heute sowie am 22., 24., 26. und 28. September: www.operanationaldurhin.eu

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