Kultur Pirmasens beschimpft: Oberbürgermeister attackiert Buchautor

Fotobeispiel (Ausschnitt) aus dem Buch. Der Bildtext lautet: „Eine der festesten Burgen der Pirmasenser“.
Fotobeispiel (Ausschnitt) aus dem Buch. Der Bildtext lautet: »Eine der festesten Burgen der Pirmasenser«.

Vor kurzem ist ein Buch über Pirmasens erschienen. Eine ungelenke Stadtbeschimpfung ureigentlich. Der Pirmasenser Oberbürgermeister verhöhnt es in einem Offenen Brief. Aber warum nur?

Hans Jörg Staehle ist im Hauptberuf Ärztlicher Direktor der Poliklinik für Zahnheilkunde des Uniklinikums Heidelberg. Nebenbei schreibt der 65-Jährige Bücher. Satirische Werke über Handschuhsheim, aber auch ernste wie „Gottesdiener, Gotteskrieger & Gottesmanager“, ein Buch mit Zeugnissen aus dem Kirchenleben des Heidelberger Stadtteils. Ein Hobby. Jetzt hat er sich anlasslos Pirmasens zugewandt. Einfach so aus dem Handschuhsheimer Hinterhalt sozusagen. Untertitel seines im Verlag Regionalkultur erschienenen, DIN-A4-großen Bild-Text-Bandes mit hartem grünem Einband: „Eine deutsche Stadt kämpft um ihre Zukunft“. Das klingt erst einmal neutral. Dabei ist das Buch so verstiegen in seiner naiven Verunglimpfungsabsicht, dass es allen Ernstes schon wieder lustig ist. Als Satire wider Willen und mit einem wissenschaftlichen Apparat womöglich Staehles leuchtendes Opus magnum. Kann sein, es bringt dem Prof. Dr. Dr. einen dritten Doktortitel ein – humoris causa. Bei einem Pirmasenser allerdings trifft der Zahnarzt einen – offensichtlich – sehr freiliegenden Nerv.

Oberbürgermeister wird persönlich

Bernhard Matheis ist im Hauptberuf Oberbürgermeister von Pirmasens. Und obwohl er, was seine Stadt betrifft, keinerlei Spaß versteht, oder gerade deswegen, pflegt auch er – wie Staehle – einen Hang zur Satire, die ihm bisweilen zur sarkastischen Invektive gerät. Genre: der Offene Brief. Dabei wird er unter dem städtischen Wappen bisweilen stark persönlich. Das Forum des Doktors der Jurisprudenz ist mit Vorliebe die Netzseite www.pirmasens.de. Auf der ruft der OB beispielsweise Lokaljournalisten zur Ordnung. Auch der Autor dieser Zeilen wurde schon bedichtet. Oder er schreibt einen unernst gemeinten „Bulldozer“-Medienpreis für die beste aller ahnungslosen Stadtvernichtungen aus, wenn „Süddeutsche Zeitung“ oder die „Frankfurter Allgemeine“ einmal mehr unbotmäßig berichten. Und jetzt kann neben der Ankündigung „Fehrbach: Ausbau der Baumgartenstraße beginnt am 21. März“ auch ein gallig sarkastischer Brief von Matheis an den Autor Staehle aufgerufen werden. Betreff: „Angebot einer Buchvorstellung“. Wer es nicht kennt, versteht erst einmal kein Wort, wenn Matheis höhnt, Staehles Buch sei ein Meilenstein der Literatur, ein fesselnder Reiseführer, ein brillantes Fotobuch, eine intelligente Kulturkritik. Aber sollte es Staehles Offerte tatsächlich gegeben haben, wäre sie angesichts des Inhalts seines Werks erstaunlich kühn. Er schreibt es ja selbst in seiner mindestens denunziatorischen Stadtbeschimpfung: „Pirmasens ist in einem Gemisch von Selbstmitleid (Handaufhalten), Selbstüberschätzung (Schönfärberei) und Wut (Feindbildschüren) gebunden.“ Öfter wird auch vor dem Furor gewarnt, mit dem die Stadt Kritiker/innen verfolgt. Klassiker, die Beinahe-Steinigung von Hugo Ball bei einem Vortrag in seiner Heimatstadt. Oder neuerdings, die Wallung, die eine absichtsvoll enggeführte Armuts-Reportage von SPIEGEL-TV ausgelöst hat.

Zahnmedizin-Professor lässt als Autor kein gutes Haar

Allerdings schlägt Matheis in seinem Offenen Brief wie zum Beweis Staehle als Austragungsort der Buchvorstellung so schmallippig wie garstig „die öffentliche Toilettenanlage hinter dem Rathaus“ vor. Der Rest immerhin ist souveräner ziseliert. Der Verwaltungschef hat sich augenscheinlich sehr viel Mühe gegeben. Leider ohne Not. So attestiert er dem Buchautor: „Sie haben eine postevolutionäre Spezies entdeckt: Den Homo Pirmasensiensis, dumm, asozial, spiel- und alkoholabhängig, bösartig und nachtragend fristet er nach Ihren Forschungsergebnissen sozusagen als erstes Downgrading eines nachzivilisatorischen Zeitalters bettelnd und im Müll wühlend sein Dasein.“ Einmal abgesehen davon, was das sein soll, was nach der Evolution noch stattfindet, fassen die Sätze die Staehlesche im unbeholfenen Unentschiedenheitston geschriebene Charakterisierung der Stadtbevölkerung doch ziemlich gut zusammen. Der Zahnmedizin-Professor als Autor lässt in seinem wild aus historischen Quellen, dem Polizeibericht, Zeitungsartikeln, Hörensagen und Meinen, sagen wir es Pirmasenserisch, zusammengeschusterten Buch kein gutes Haar. Und der Oberbürgermeister tut ihm den Gefallen, darauf öffentlichkeitswirksam zu reagieren. Das ist dann doch auch von einigem Charme.

Pirmasens habe viele Leichen im Keller

Charmant ist auch der mehrfach von Staehle wiederholte Hinweis, Pirmasens sei eine vor über tausend Jahren aus einer Behausung mit Schweinestall hervorgegangene Ortschaft, die viele Leichen im Keller habe. Oder zum Beispiel die auch für den Reporter interessante Klärung seiner Pirmasenser DNA. „Bis ins 19. Jahrhundert“, hat der Dental-Wissenschaftler herausgefunden, „waren die herumlungernden und bettelnden, als Schlappen- und Lumpengesindel verschrienen Pirmasenser für die Pfalz eine Plage“. Am liebsten hätte man um sie eine Grenze gezogen um „Bettelsens“. Und so wie dieser Frontbericht aus dem eigentlichen Dunkeldeutschland sich liest, wären der Welt einige düstere Kapitel der Geschichte erspart geblieben. „Massaker von Pirmasens: eine besondere Form von Heimatliebe“ lautet die Überschrift über das blutige Ende der pfälzischen Separatistenbewegung im Jahr 1924. Schauplatz das Bezirksamt. „Pirmasens wird ,Stadt des Führers’“. Und weiter so. In der Reihung ergibt sich aus den zugespitzten historischen Fakten das krud-stringente Bild einer auf Dauer und Ewigkeit eindrucksvoll verkommenen Gegend. Woher die Affekte des Autors stammen indes, bleibt – anders als beim stolzen Stadt-Oberhaupt – rätselhaft. Ernsthaft (?) schlägt Staehle vor: „Vielleicht braucht Pirmasens wieder einmal einen etwas verrückten Landgrafen Ludwig 09, dessen Ideenreichtum und Begeisterungsfähigkeit allerdings durch eine gut kalkulierende Begleitmannschaft zu kanalisieren wäre.“ Ein wirres Kapitel ist „Soziologische Bestandsaufnahme“ betitelt. Ansonsten ist der Autor in einige Selbstwidersprüche verstrickt. Der mit hämisch kommentierenden Bildtexten versehene Bildteil, er nimmt fast zwei Drittel des Buches ein, ist so als Hässlichkeitsdokumentation imposant. Zentrale Anlaufstellen des Homo Pirmasensiensis wie die „Zwickerstubb“ sind durchaus erfasst. Allerdings könnten die Aufnahmen, die laut OB Matheis verdeutlichen „was ein begnadeter Fotograf aus einer 60 Jahre alten Kodak-Instamatic-Kassetten-Kamera herausholen kann“, abseits der Ortsspezifik auch in Dessau, Duisburg, Hamburg-Billstedt oder Wolfsburg aufgenommen sein.

Kein Hahn hätte danach gekräht

„Selbst wenn man“, schreibt Staehle in einem für ihn beispielhaften Duktus, „eine aus allen ,ehrbaren’ Pirmasensern zusammengesetzte Verbrecherbande dazu legitimieren würde, mordend die von einer verbitterten alten Hexe definierte ,Gerechtigkeit’ herbeizuführen und gegen 20 Millionen Euro zu verkaufen (…), würde das letztlich kaum Gutes bewirken können. Denn die Bewohner würden mit den Mitteln ihre Ortschaft vermutlich nur noch mehr verschandeln als bisher“. Nur um dann den Satz zu beschließen: „wie uns dies das Beispiel anderer Städte mahnend zeigt“. Was soll man sagen? Für dieses Buch also macht Oberbürgermeister Matheis Werbung mit seinem überschüssigen Witz, wirklich? Vielleicht das: si tacuisses, kein Hahn hätte danach gekräht. Und jetzt das. Lesezeichen —Hans Jörg Staehle: „Pirmasens. Eine deutsche Stadt kämpft um ihre Zukunft“; Verlag Regionalkultur, Ubstadt-Weiher; 240 Seiten mit 230 Abbildungen, 19,80 Euro. —www.pirmasens.de/dante-cms/38286/Offener_Brief.html

Hässlichkeitsdokumentation mit Kommentar.
Hässlichkeitsdokumentation mit Kommentar.
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