Kultur Nationaltheater Mannheim: Tschechows „Onkel Wanja“

Ausgelassenes Feiern verpasster Chancen: Thomas Meinhardt als Wanja (links) und David Müller alsAstrow.
Ausgelassenes Feiern verpasster Chancen: Thomas Meinhardt als Wanja (links) und David Müller alsAstrow.

Wann sind Menschen glücklich? In ihrem Leben oder ihren Träumen? In Tschechows „Onkel Wanja“ malen sich hadernde Menschen ein anderes, großartiges Leben aus und verpassen darüber die Chancen, die sich ihnen bieten. Sebastian Schug hat das 1896 entstandene Stück am Mannheimer Nationaltheater inszeniert und gar nicht so schrecklich unglückliche Menschen entdeckt.

Zur Glücksforschung stellte der Philosoph Slavoj Zizek kürzlich eine steile These auf. Das Glück, schrieb er in der „Zeit“, lebe von der Unfähigkeit des Subjekts, sich den Konsequenzen seines Begehrens zu stellen. Wir sehnten uns nach Dingen, die wir gar nicht wollten. Wenn wir das Ersehnte tatsächlich bekämen, wäre dies das Schlimmste, was uns passieren könne. „Glück ist heuchlerisch“, resümierte Zizek. Er beschäftigte sich mit politischen Systemen, charakterisierte aber im Grunde ziemlich genau Tschechows Figuren. Die behaupten zwar ständig, ganz furchtbar unglücklich zu sein, tatsächlich fühlen sie sich im Zustand unerfüllter Glückserwartung aber pudelwohl. Iwan Petrowitsch Wojnizkij zum Beispiel, von allen nur Wanja genannt, ist Ende 50, kümmert sich seit einem Vierteljahrhundert um das Landgut seiner verstorbenen Schwester, schickt brav die kargen Erträge an den mit einer jungen, attraktiven Frau neu verheirateten Schwager und Kunstprofessor in die Stadt und träumt davon, welch großartige Schriftstellerkarriere ihm beschieden gewesen wäre, hätte er das Glück eines anderen Lebens gehabt. Natürlich weiß Wanja, dass daraus nichts geworden wäre, er das große Geld nicht verdient, die tollen Frauen nicht bekommen hätte. Und so ist er mit seinem Provinzdasein eigentlich ganz zufrieden. Und so geht es hier im Grunde allen: Wanjas Nichte Sonja pflegt ihre unerfüllte Liebe zu Astrow, einem Arzt und Umweltschützer, der daran verzweifelt, dass er nicht alle Wälder und Kranke retten kann und von der schönen Professorengattin auch nicht mehr als einen flüchtigen Kuss bekommen wird. Die schöne Elena wiederum opfert ihr junges Leben der Liebe zu dem alten Professor und erspart sich schwierige Entscheidungen über Berufswahl und Lebensinhalt. Und der Professor taumelt zwischen Altersbeschwerden und verblassendem Ruhm dem Tod entgegen und versucht, sich noch einen materiell abgesicherten Lebensabend durch den Verkauf des Gutes zu sichern. Aber natürlich bleibt am Ende alles wie gehabt, und jeder darf weiterhin davon träumen, wie viel glücklicher er doch wäre, wenn es das Leben nur ein bisschen besser mit ihm gemeint hätte. Regisseur Sebastian Schug macht in seiner vierten Inszenierung fürs Mannheimer Schauspiel aus dieser Geschichte kein großes Drama, sondern eine leichte Komödie. Die Figuren nimmt er nicht wichtiger als sie es verdienen, schaut ihnen amüsiert zu, wie sie den Stillstand ihres Daseins wortreich zelebrieren, ihren Träumen nachhängen und im Scheitern ihre Erfüllung finden. Als Spielort gönnt ihnen Bühnenbildner Christian Kiehl eine Art Dachgarten, wo neben einem qualmenden Kamin, einem Kühlschrank und einer Satellitenschüssel überraschenderweise auch ein Konzertflügel steht. Auf dem spielt der Musiker Johannes Winde ein bisschen Beethoven und melancholisch-traurige Lieder, und die anderen singen manchmal herzerweichend mit. Tschechows Personal erweckt hier den Eindruck einer aus der Zeit gefallenen Landkommune. Thomas Meinhardts Wanja gibt den übernächtigten Oberkommunarden und zerknirschten Pragmatiker. Carmen Witt als Nichte Sonja ist eine gutmütige Trutsche mit halbherzigen Liebesabsichten. David Müller kämpft als Astrow mit einem gewaltigen Schnurrbart und einem noch gewaltigeren Weltrettungsprogramm. Dazu kommen an Hauspersonal noch Julius Forster als spindeldürrer Nachbar Telegin und Matthias Thömmes als perückenbezopfte Kinderfrau Marina. Die Inszenierung nutzt durchaus das komische Potenzial des Stücks. Jacques Malan als zu nächtlichen Hypochondrie-Anfällen neigender Professor und Hannah von Peinen als dessen gelangweilte Ehefrau im Glitzerfummel bringen einen Hauch des Mondänen in die abgewirtschaftete Bude und versetzen die Bewohner endgültig in den Zustand melancholischer Antriebslosigkeit. In einer ausgelassenen Nacht voller Alkohol und Lebensbeichten dürfen alle noch einmal ihr verpasstes Dasein feiern, bevor die Verkaufsabsicht des Professors zu einem kurzen Showdown mit Gefühlsausbrüchen und zwei Fehlschüssen führt. Am Ende stehen alle etwas belämmert an der Rampe und verkünden, dass die Komödie nun aus und der Spaß vorbei sei. Richtig unglücklich sehen sie aber nicht aus. Termine Nächste Vorstellungen: 28. April, 12. und 18. Mai; Kartentelefon 0621/1680150

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