Kultur Nationaltheater Mannheim: Ein Stück zum Abschied

In Schieflage: Sven Prietz, Ragna Pitoll und Anke Schubert (von links) in Theresia Walsers Stück.
In Schieflage: Sven Prietz, Ragna Pitoll und Anke Schubert (von links) in Theresia Walsers Stück.

„Ein bißchen Ruhe vor dem Sturm“ hieß das Stück von Theresia Walser, mit dem Burkhard C. Kosminski sich vor zwölf Jahren dem Mannheimer Publikum als Regisseur vorgestellt hat. „Nach der Ruhe vor dem Sturm“ heißt das Stück, mit dem er sich nun vom Nationaltheater verabschiedet. In den zwölf Jahren seiner Schauspielleitung hat Kosminski etliche Stücke Theresia Walsers zur Uraufführung gebracht. Auch ihr jüngstes wurde in seiner Inszenierung mit tosendem Applaus aufgenommen.

Damals vor zwölf Jahren wackelte der Tisch bedenklich, jetzt räumt ihn Sven Prietz in der Rolle des Schauspielers Ulli Lerch ab. Als letztes Möbelstück nach den drei Stühlen des ohnehin sehr spärlichen Bühnenbilds lässt er ihn im Verlauf des Stücks endlich im Dunkel des weiten Bühnenhintergrunds verschwinden. Unterdessen reden und reden die beiden Schauspielerinnen Irm König und Liz Hansen, verkörpert von Ragna Pitoll und Anke Schubert. Auch sie gehören zum alten Eisen, sind „abgespielt“, wie es über Requisiten wie Schauspieler gleichermaßen kalt in Walsers Stück heißt. Die eine, Liz König, einst ein Star in der Fernsehserie „Glücksschiff“, schreibt an ihren Memoiren; die andere, Liz Hansen, schwelgt in Erinnerungen an ihre großen Bühnenrollen. Vor zwölf Jahren, als Burkhard C. Kosminski vom Düsseldorfer Schauspielhaus nach Mannheim kam, schrieb ihm Theresia Walser zum Einstand das Stück „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“. Jetzt, da Kosminski Mannheim verlässt, wünschte er sich von der Dramatikerin, einer der meistgespielten Deutschlands, ein Stück zum Abschied. Er ist zwar nicht „abgespielt“, denn er übernimmt die Intendanz des Stuttgarter Schauspiels. Aber auch das ältere Stück zum Einstand hatte ja nicht direkt mit seiner Person zu tun. Vorgesehen war damals der Monolog eines Regisseurs, Theresia Walser ließ sich aber im Verlauf der Stückentwicklung zum Dialog dreier Schauspieler inspirieren, die offenbar kurz vor dem Auftritt in einer Talkshow oder Podiumsdiskussion stehen. Es war damals die Zeit erregter Diskussionen nach einem Film wie „Der Untergang“, auch grundsätzlicher Diskussionen über die Darstellbarkeit von Nazi-Verbrechen und über die Frage, ob man monströse Menschheitsverbrecher zu Witzfiguren machen darf. Theresia Walser gab ihre Antwort mit der überaus erheiternden Komödie „Ein bisschen Ruhe vor dem Sturm“ (nämlich vor dem Talkshow-Auftritt). Der Einakter führte Schauspieler in ihrer Eitelkeit und ihrem Konkurrenzneid in einem geistfunkelnden, abgrundtief komischen Schlagabtausch von Worten vor. Hinter den im Stück sogenannten Franz Prächtel, verkörpert von Ralf Dittrich, und Peter Söst, gespielt von Thorsten Danner, waren nur unschwer Bruno Ganz und Tobias Moretti zu erkennen. Sven Prietz als Ulli Lerch, der in einem Film „nur“ Goebbels verkörpert hatte, stand in der Hierarchie erkennbar tiefer. Fast das ganze Stück über musste er den wackligen Tisch im Gleichgewicht halten, damit das Wasserglas des Platzhirschs Franz Prächtel nicht wegrutscht. Jetzt, zwölf Jahre später, steht der Tisch arg schräg, und Sven Prietz ist neben zwei Diven immer noch der blasse, auf die Rolle eines Kulissenschiebers festgelegte „Kollege“. „Nach der Ruhe vor dem Sturm“ gibt sich schon im Titel als Fortsetzung des älteren Stücks zu erkennen, das jetzt im Nationaltheater noch einmal vor der Uraufführung des neuen zu sehen war. Wieder geht es darin um Eitelkeit und Konkurrenzneid, wieder um das Verhältnis von Wirklichkeit und Illusion im Spiel von Schauspielern. Und wieder hat Walser ein Stück von einer geradezu Thomas-Bernhardschen Boshaftigkeit und gnadenlosen Entlarvung menschlicher Schwächen geschrieben. Und wieder haben dem Regisseur Burkhard C. Kosminski mit Ragna Pitoll, Anke Schubert und Sven Prietz hervorragende Darsteller zur Verfügung gestanden, die von der ersten bis zur letzten Minute in dem handlungsarmen, aber wortreichen Stück das Publikum zu fesseln verstanden. Wenn das ältere Stück einen Gutteil seiner Komik aus dem Hintergrund der Nazi-Verbrechen bezog, ist es jetzt die Situation von Flüchtlingen und die immer stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rückende katastrophale Lage in großen Teilen der Welt. „Es wird immer schwieriger, die Welt so zu zeigen, wie sie gar nicht ist“, sagt Irm König einmal, die starke Züge der Chefstewardess Heide Keller aus der Fernsehserie „Das Traumschiff“ trägt. „Der Mensch hat seine Tragik vergessen“, ergänzt Liz Hansen. Wenn die Tragödin dann vormacht, wie Penthesilea in Kleists Drama sich den Dolch in die Brust stößt, ihre „Kollegin“ von der leichten Fernsehmuse ihr daraufhin vorrechnet, dass sie einen Stoß zu viel ausgeführt hat, und vormacht, wie die Szene zu spielen sei, dann wird das von Anke Schubert und Ragna Pitoll zum Schreien komisch dargestellt. Auch sonst versetzen sich Fernseh- und Bühnenstar Nadelstich um Nadelstich, während Sven Prietz einmal eher tiefgründig über das Dasein als Schauspieler räsoniert und Trakl deklamiert. Sie werde durch die Mitte abgehen, ihre Kollegin im Dunkeln zurückbleiben, prophezeit Liz Hansen. Genauso kommt es am Ende. Der Vorhang im Nationaltheater fällt, das Licht geht aus. Aber das Ende werde überschätzt, heißt es einmal. Termin Nächste Vorstellungen am Mittwoch, 13. Juni, am 25. und 27. Juni um 19.30 Uhr.

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