Kultur Nackt-Yogis und Bundeskanzler Ali

„Seine Heimatstadt war zu einer Schmerzensgeld-Shoppingmall degeneriert, einem Trostpflaster dafür, sein Dasein einer fortwähren
»Seine Heimatstadt war zu einer Schmerzensgeld-Shoppingmall degeneriert, einem Trostpflaster dafür, sein Dasein einer fortwährenden finanziellen Umschichtung widmen zu müssen«: Schimmelbusch-Schauplatz Frankfurt.

Zumindest bei Vapiano steht man jetzt nie mehr vorbehaltlos in der Schlange und schaut zu, wie der „Vapianisto“ mit vom Wokgebrauch violett-farben vernarbten Unterarmen portionierten Zuchtlachs in die Sauce Puttanesca rührt. Ohne an Alexander Schimmelbusch zu denken. An dessen „Hochdeutschland“, seinen genial-bösartigen, sarkastisch-wahrhaften, houellebecqischen Roman, in dem Phänomene wie das abgebrühte Italo-Fast-Food-Konzept vivisektiert werden. Gesellschaftskritik zum Totlachen. Nur, dass es einem im Hals krepiert. Zurzeit das Buch zur Zeit.

Wolf Wondratscheks Gedichtband „Carmen oder Bin ich das Arschloch der achtziger Jahre?“ passt ganz gut zu dem Helden, von dem Alexander Schimmelbuschs Roman in der dritten Person erzählt. Victor – natürlich Victor, der Sieger – jedenfalls erfüllt den zweiten Titelpart von Wondratscheks Werk ideal. Nur halt für eine vom Autor fast unmerklich in die Zukunft expedierte Jetztzeit, in der Victor, keine 40 Jahre alt, als überheblicher Super-Schnösel, Gegenwarts-Gatsby und Ko-Chef einer Bank fungiert. Nicht irgendeiner selbstredend. Die Birken Bank ist auf „Mergers und Acquisitions“ spezialisiert, Abzocke im weißen Hemdkragen und großen Stil. Die Perspektive ist entsprechend, zudem sehr selten in der deutschen Nachkriegs- und Gegenwartsliteratur, wenn man von den Büchern des reichen Dandys Joseph Breitbach („Bericht über Bruno“) und denen des schreibenden Mittelständlers und Philosophen Ernst-Wilhelm Händler („Welt aus Glas“) absieht. Alexander Schimmelbusch weiß, wovon er schreibt, er ist in New York aufgewachsen, Studium der Volkswirtschaftslehre und Germanistik. Er war fünf Jahre Berater bei Fusionen und Übernahmen im Dienst einer Londoner Investmentbank, Teil also einer, wie er jetzt schreibt, „Sklavenkolonie mit Ketten aus Bonuszahlungen“. Und so ist seine Erzählung in gewisser Weise lebenspraktisch verbürgt, wenn er in „Hochdeutschland“ seinen Helden aus einem „Fischtank“ im 13. Stock eines Frankfurter Bankenturms auf die Welt herabschauen lässt. Mit gelangweiltem Abscheu. Ein Götterliebling des Kapitalismus und – wie Autor Schimmelbusch – Abkömmling des Industriehochadels ist Victor. Beiläufig bedient er die Klischees: smarte Taunusvilla, E-Porsche, ein fiktives Modell Typ „Shere Khan“, eine Anspielung auf Moglis einzigen Feind im „Dschungelbuch“. Von ukrainischen Fachkräften diskret vorgenommene Handentspannungsmassagen im Spa-Bereich des „Adlon“. Zwei Flaschen Richebourg am Abend, via Room-Service für je 2400 Euro; er leidet an einer Art von Schwerreichen-Tourette also, das die von ihm verachteten Neureichen gerne hätten. Victor überfällt grenzenloser Ekel, wenn er an die Bagage denkt, die ihr Geld mit Fußballtröten-Apps, Handyschrott-Business, Windpark-Subventionen gemacht hat und das jetzt von Stilempfindungen ungehemmt zur Schau trägt. Er selbst ist über den „magischen Kreisverkehr“ auf das hohe Ross gelangt, von dem herunter er jetzt den Rest der Menschheit aburteilt: Bei Sonnenuntergang fährt man mit dem Taxi nach Hause, lässt es warten, duscht, dann geht es zurück in die Bank. Mit 40, im „Rentenalter für Investmentbanker“ angelangt, tritt schließlich die Endreife als bestens dotierter Soziopath ein. Die Liebe in dieser Welt? „Akkumulation von physischer Nähe.“ Der Audi-A4-Fahrer, der einem auf der Überholspur ausbremst? Mutmaßlich ein „Backoffice-Sachbearbeiter“, der bei konstant 120 davon träumt, als High-Potential geboren worden zu sein. Nachbarn? Inhaber von „klassischen Erstfrauen-Bungalows in bewaldeten B-Lagen, deren Bewohnerinnen im Heilklima gegen das seelenlose Surren ihrer Töpferscheiben“ antrinken. Victors Beziehungsstatus indes ist der des erektil aktiven Singles mit abgelegter Ehefrau und Tochter, die er auf die „geradezu besessene Weise“ liebt, „auf die Kinder in den schwindenden bürgerlichen Milieus damals geliebt wurden“. Ab und an macht er früher Schluss, um den ultimativen Sympathiejoker arbeitender Männer zu ziehen. Dann holt er das Mädchen von der Privatgrundschule ab – zwecks gemeinsamer „Quality Time.“ Bisweilen nimmt er seine Nachbarin hart ran, Maia. Wie deren Mann, ein „junger Deutschbanker der alten Schule“, beschrieben wird, ist geradezu paradigmatisch: „Maias Gatte war harmlos, ein Sonderling, so sah es Victor, die Art Mann, der Wälder zur Jagd pachtet und sich in einer Art Förster-Outfit in seiner Freizeit darin auf die Lauer legt, um zur Erholung mit einem Präzisionsgewehr Pelztiere zu exekutieren. Der die Kadaver dann ausweidet, häutet, trocken reifen lässt und schließlich fein häckselt, um aus ihnen delikate dünne Wildbratwürste zu drehen.“ Eine ähnlich kaltgrinsend böse Weltsicht und einen vergleichbaren Hass zweiter Ordnung pflegte zuletzt Christian Kracht in seinem Roman-Debüt „Faserland“, das 1995 erschienen ist. Krachts Buch beschreibt eine Deutschlanddurchquerung auf den Spuren von Fisch-Gosch, Champagnerfeten, Sylt-Dekadenz, Drogen, Burschenschaftlern und Models in Hamburg, Frankfurt und Heidelberg, dem P1 in München und Riesensausen am Bodensee. Der Roman ist lustig und eloquent und beschäftigt sich mit Konsumkultur, dem Abstieg der bürgerlichen Gesellschaft und den nationalen Identitätskrisen. Im Nachhinein wurde er quasi als soziologisches Standardwerk gelesen, inklusive der grassierenden German Untergangs-Angst. Auch bei Schimmelbusch rumort „finstere Energie“. „Hochdeutschland“ ist stilsicher, teilweise elegant und bis zu dem widerwärtigen Vergleich, dass Victor die Figur seiner Sex-Bekanntschaft „an den Holodomor in der Ukraine unter Stalin“ erinnert, ganz auf der Höhe geschrieben. In 20 Jahren firmiert Schimmelbuschs vierter Roman möglicherweise wie Krachts Debüt. Wobei, streckenweise kann das zum Ende hin leider stark schwächelnde Buch auch als deutsche Antwort auf die Politik-Farce „Unterwerfung“ des französischen Adulte terrible Michel Houellebecq gelten. Houellebecq lässt darin, unbehelligt von der verweichlichten abendländischen Wertegesellschaft, eine islamische Partei die Macht übernehmen. Bei Schimmelbusch wird „Hochdeutschland“ zu guter Letzt von der Deutschland AG unter Bundeskanzler Ali Osman regiert. Dem Spross einer Berliner Döner-Dynastie und ehemaligen Granden der Grünen, der, wie es im Roman heißt, deutschesten Partei überhaupt. Als Superminister und Kopf aber ist unser Mann inthronisiert, Victor. Aus puren Ennui und nebenbei, hat er – „flexibler Mensch“, der er ist – eine Art theatralisches linksradikalliberalnationalistisches Manifest verfasst, als wollte er einen Auftrag für seine Investmentbank pitchen. Ziel: Den kalt beobachteten „Megatrend Ungleichheit“ zu unterbinden. Ein perfider Ulk eigentlich, in Anspielung auf den Revoluzzer-Dichter Georg Büchner. Absicht, schreibt er, sei es, das deutsche Volk zu einen. Direkt an den Souverän wende er sich, gegen das „obsessive Ich“, für ein „entschlossenes Wir“, der Text ist eine einzige Kritik des Links- und Rechts-Populismus – durch zustimmende Übertreibung. Vermögensobergrenze bei 25 Millionen Euro, Spekulationsbekämpfung durch eine staatliche Fondsgesellschaft, Bildungsprogramme für alle, Autobahnen ohne Fugen, Einsatzkommandos gegen Schlepper, konsequente Abschiebung, Sammellager der Europäischen Union entlang der Küsten Nordafrikas, Willkommen heißendes Einwanderungsgesetz, Grundsicherung. Kurzum: Endziel ist eine Gesellschaft aus deutscher Mittelklasse, die dem „Maschinenschlosser noch im hohen Alter seine Umschulung zum urzeitlichen Aalfischer“ ermöglicht und es der „grünen Multikulturalistin“ erlaubt, „nach Einbruch der Dunkelheit auf ihrem Einrad weiterhin vom Naked Yoga zum Ayahuasca-Happening zu fahren, ohne von radikalisierten Kleinkriminellen rituell ermordet zu werden“. Bei seinem ehemaligen Studienkollegen Ali jedenfalls verfängt der willenlose Sirenengesang sofort. Die Wählerschaft ist auch überzeugt. Kanzlerin Merkel streicht freiwillig die Segel. AfD und Liberale sind auf ihre Kernklientel reduziert, drei Prozent. Der äußerste Wahnwitz des Ganzen allerdings ist, dass man selbst immer wieder ins Grübeln kommt. Schimmelbusch führt uns mephistophelisch unsere inneren kulturpessimistischen, gesellschaftskritischen, politischen Schweinehunde vor. Der Wahlomat jedenfalls würde beim Programm der Deutschland AG zweifellos verrückt spielen. Ein schamlos hellsichtiges, anmaßendes, unsere Gegenwart kenntlich machendes Buch. Lesezeichen Alexander Schimmelbusch: „Hochdeutschland“; Roman; Tropen Verlag, Stuttgart; 214 Seiten; 20 Euro.

Erst Investmentbanker, dann Autor: Alexander Schimmelbusch.
Erst Investmentbanker, dann Autor: Alexander Schimmelbusch.
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