Kultur Interview: Regisseur Wolfgang Fischer und Schauspielerin Susanne Wolff über „Styx“

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»Was heißt Paradies?«, will Wolfgang Fischer fragen, hier bei seinem Festivalbesuch am Montag in Ludwigshafen.

Der Österreicher Wolfgang Fischer, Jahrgang 1970, hat nach einem Studium der Psychologie und Malerei in Wien an der Kunstakademie Düsseldorf und der Kunsthochschule für Medien Köln studiert. Sein Debüt „Was du nicht siehst“ lief 2010 auch auf der Parkinsel. Susanne Wolff, 45, spielt vor allem Theater, fasziniert aber auch im Kino, zuletzt in Schlöndorffs „Rückkehr nach Montauk“ (2017). Fischer uns Wolff waren nun zu Gast beim Ludwigshafener Filmfestival.

Herr Fischer, warum wählten Sie als Filmtitel den Namen eines Flusses, der in der griechischen Mythologie die Grenze zwischen der Welt der Lebenden und dem Totenreich Hades darstellt?

Fischer: Diese Assoziation passt gut zu Rikes Situation. Sie wird unfreiwillig zu Charon, dem Fährmann. Nur wer ihn bezahlen konnte, kam nach der Sage ins Reich der Toten. Wer die Münze nicht parat hatte, kreiste ewig auf dem Fluss. Ihr Film wirkt wie ein Kommentar zur nach wie vor aktuellen Situation von Millionen Menschen, die über das Mittelmeer fliehen. Wie wurden Sie auf das Thema aufmerksam, Sie hatten ja bereits vor sieben Jahren die Idee zum Film? Fischer: NGOs und die Operation „Mare Nostrum“ waren schon damals ununterbrochen im Einsatz, um das Elend zu lindern und Menschen zu retten. Interessant ist für mich, dass wir im Zusammenhang mit der Flucht von Millionen Menschen aus ihrer Heimat das Wort Krise verwenden. In der Medizin steht sie für den Moment der Entscheidung, der Patient stirbt oder wird leben. In diesem Sinne sollten wir die Krise als Chance für beide Seiten begreifen. In Europa werden diese Menschen aber mittlerweile von der Politik als Bedrohung wahrgenommen. Rike versucht im Film vergeblich, die Küstenwachen afrikanischer Staaten zur Rettung der Menschen zu bewegen. Lassen die Länder die Menschen einfach ertrinken? Fischer: Die Länder Afrikas können sich meist keine Küstenwache leisten. In der Regel sind in den Gewässern Boote von Frontex aus der Mission Hera im Einsatz. Ich will sie mit dem Film nicht angreifen. Die Besatzungen dürfen nicht eingreifen, obwohl der Befehl gegen Seerecht verstößt. Sie müssen oft auf ihr Mandat, also grünes Licht, warten. Was mich wirklich erschreckt, ist, dass wir wieder in der gleichen Situation sind wie vor sieben Jahren. Die Hilfsstrukturen werden wieder abgebaut, Europa drängt die Flüchtenden zurück in Gebiete, wo keine Kamera bei ihrem Sterben dabei ist. Sie schaffen für unsere Einstellung eine Metapher, in der es darum geht, dass ein Zeuge eines Unglücks versucht, möglichst viele Opfer zu retten. Mich erinnert das an eine Situation wie ein Busunglück, bei dem Passagiere eingeklemmt sind. Fischer: Wenn sich diese Assoziation einstellt, bin ich zufrieden. Was auf dem Meer passiert, geht uns ebenso an wie eine Prügelei in der U-Bahn. Fahre ich weiter und schaue weg, oder greife ich ein? Und wie bewältige ich das Dilemma, alleine vielen Menschen helfen zu müssen. Das sind spannende, moralische Fragen, die unsere Identität berühren. Wer sind wir, wer wollen wir sein oder wer sind wir gezwungen zu sein? Susanne Wolff: Der Vergleich mit dem Bus gefällt mir sehr gut, jeder kann täglich in diese Situation geraten. Ich hoffe, dass ich handeln würde. Aber wer kann das mit Sicherheit sagen? Ich hätte wahrscheinlich große Angst, dass ich etwas falsch mache und ein Mensch stirbt. Obwohl ich weiß, dass es besser ist, überhaupt etwas zu tun als gar nichts. Und wie kam es zur Idee, die Geschichte über eine Seglerin zu erzählen, die auf Darwins Spuren allein auf dem Meer unterwegs ist? Fischer: Mir schwebte zunächst ein sehr physischer, fast archaischer Abenteuerfilm um eine Alleinseglerin in einer menschenfeindlichen Umgebung vor. Rike beherrscht diese Welt, ist für alle Eventualitäten ausgerüstet und fühlt sich wohl. Auf einmal gerät diese Welt durch ein seeuntüchtiges, überladenes Boot aus den Fugen. Diesen Kontrast brauchte ich, um weitere Fragen aufwerfen. Was heißt Paradies? Wer traut sich noch, sich in solche Situationen zu begeben und seinem Körper Reibungen und Strapazen auszusetzen? Wann müssen wir wirklich mal kämpfen? Die meisten würden doch sagen, ich würde mich das nie trauen. Sind Sie passionierter Segler? Fischer: Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich einlasse. Kameramann Benedikt Neuenfels und ich mussten das Segeln von der Pike auf lernen. Wir übten lange auf dem Berliner Wannsee in kleinen Jollen, bevor wir uns aufs Meer wagten. Wolff: Unser Vater hat uns Kindern und auch Enkelkindern den Kurs für einen Segelschein geschenkt, und als ich nach Hamburg zog, habe ich dort meinen Segelschein auf der Alster gemacht. Sie haben tatsächlich auf dem Meer gedreht. Warum sind Sie nicht wie Robert Redford für „All is lost“ im Studio geblieben? Fischer: Der authentische Eindruck ist die Stärke des Films. Aber der Arbeitsablauf war schon absurd. Um 5 Uhr morgens ging es auf See, die erste Klappe fiel um 10. Bei Einbruch der Dunkelheit mussten wir zurück im Hafen sein. So verblieben vielleicht vier Stunden Drehzeit. Dazu kommt die physische Anstrengung, den ganzen Tag auf engstem Raum auf diesem Boot zu sein. Ohne jegliche Intimsphäre. Oft war die Hälfte des Teams seekrank. Auch die Rettungstaucher auf dem Begleitboot, das wir stets bei uns hatten, hat es erwischt. Wo haben Sie Ihren jungen Darsteller gefunden? Fischer: Er stammt aus einem Slum in Nairobi, wo Tom Tykwer und Marie Steinmann eine Schule aufgebaut haben, in der sich Kinder kreativ ausprobieren können. Sie ist ein Strohhalm für diese Kinder, sie werden ermutigt, aus ihrem Leben etwas zu machen. Für mich war es auch eine Frage des Respekts, einen Jungen aus dem Kulturkreis zu besetzen, in dem Kinder schon früh Erwachsene im Körper eines Heranwachsenden sind. Er bringt Erfahrungen mit, die Gleichaltrige aus Europa nicht haben können.

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