Kultur Frauen sind mutig

Prostitution und Menschenhandel mit Afrikanerinnen in Wien – davon handelt „Joy“, der zweite Film von Sudabeh Mortezai.
Prostitution und Menschenhandel mit Afrikanerinnen in Wien – davon handelt »Joy«, der zweite Film von Sudabeh Mortezai.

Er konnte nicht mal mehr „piep“ sagen, so schnell riss Iris Berben dem verdutzten Heiko Maas ihren Festival-Ehrenpreis aus den Händen. Fortan stand der aus dem Saarland stammende Außenminister nur wie ein trauriger Statist auf der Bühne. Wenn das Filmfestival Max-Ophüls-Preis (Mop) so schwungvoll eröffnet wird, kann man weitere Überraschungen in Saarbrücken erwarten. Seit zwei Tagen läuft der Wettbewerb. Tendenz: Die Frauen nehmen mutig ihr Leben in die Hand.

Anatol Schuster hat schnell gedreht. Aus Angst, seine 92-jährige Protagonistin könnte ihm wegsterben, denn genau das sagt Ahuva Sommerfeld dauernd in dem Film „Stern“. Als resolute KZ-Überlebende mit neonweißer Pony-Frisur weiß sie, was sie will. Der Arzt bescheinigt ihr beste Gesundheit, das ist ihr egal. „Ich will mein Ende selbst bestimmen“, sagt sie und nervt damit alle Freunde und Verwandte. In ihrem Viertel in Berlin-Neukölln geht Frau Stern auf Sterbetour. Sie versucht, sich überfahren zu lassen. Von der Bahn. Das klappt nicht. Sie will in der Badewanne ertrinken. Es geht schief. Ebenso wie die Sache mit der Waffe. Stoisch, mit trockenem Humor und missmutigen Gesichtsausdruck stapft sie durch diese wunderbare Tragikomödie und muntert dabei ihre Bekannten auf, die nur so vor sich hinleben, indem sie ihren Tipps fürs Leben und fürs Geschäftliche gibt. Zwar versucht die Enkelin, sie vom Sterben abzuhalten und vermittelt ihr einen Fernsehauftritt in einer Talkshow. Doch auf die Frage, was sie sich im Leben noch wünscht, knallt sie dem verdutzten Moderator nur ein harsches „Schneller Abgang“ entgegen. Schuster (1985 in Darmstadt geboren) gelingt mit seinem zweiten Spielfilm ein humorvoll-nachdenkliches Werk. Weil er wie Frau Stern ist: Er wartete nicht auf Filmförderung, nicht auf einen Fernsehsender, er drehte sofort, einen No-Budget-Film. Der ist ein Favorit auf den Max-Ophüls-Preis. Schuster gewann 2015 bereits bei der Berlinale in der Sektion Perspektive deutsches Kino, er ist Stipendiat der Wim-Wenders-Filmstiftung – und eines der größten Talente des deutschen Films. Sudabeh Mortezais erster Spielfilm lief im Wettbewerb der Berlinale. Ihr zweiter, „Joy“, beim Festival von Venedig und nun im „Mop“-Wettbewerb. Die 1968 in Ludwigsburg geborene Tochter iranischer Eltern studierte Film in Wien und Los Angeles und kämpft für die Frauenrechte. Hier zeichnet sie das Porträt von Joy, einer jungen Frau aus Nigeria, die nach Wien kommt, um Geld für sich und ihre Familie zu verdienen. Doch bevor sie nicht 60.000 Euro beisammen hat, will ihre Zuhälterin (auch eine Afrikanerin) sie nicht gehen lassen. Joy hat eine kleine Tochter, die sie in Pflege gab. Und nun will die Madame noch, dass Joy eine weitere Prostituierte betreut – bis zum Verkauf an eine andere Zuhälterin. Das macht Joy nicht mit, sie wird mutig und redet mit den Behörden. Spannend mit opulenten Bildern und knappen Dialogen gedreht, kommt „Joy“ wie ein Hollywood-Film daher. Das Erschreckende ist, dass Mortezai ein Menschenhandel-System vorführt, in dem Frauen Opfer und Täter zugleich sind. In dem überraschend starken Ophüls-Jahrgang haben es gleich drei Genre-Filme in den Wettbewerb geschafft: Wie Roland Emmerich Mitte der 80er Jahre drehte Marcel Barion (Jahrgang 1985) aus Siegen einen Science-Fiction-Film. „Das letzte Land“ ist ein spannender, dunkler, Crowd-finanzierter Zwei-Mann-in-einem-Raumschiff-Film, der stimmig und spannend ist. Die Männer streiten sich, die Szenen im All sind tricktechnisch einfach, aber keineswegs peinlich. In den 50er Jahren in einem Dorf in Baden-Württemberg spielt Peter Evers Heimatfilm „A Gschicht über d’Lieb“. Die Bilder seines Debüts sind atmosphärisch faszinierend, die Geschichte tragisch: eine Inzest-Liebe zwischen Geschwistern, die nicht zur Idylle passen will – und Wunden im Dorf aufreißt (Kinostart: 4. Juli). Und einen Zombiefilm, in dem fast nur Frauen vor und hinter der Kamera stehen, hat es bislang auch noch nicht gegeben: In „Endzeit“ von Carolina Hellsgård raufen sich zwei Frauen im Kampf ums Überleben zusammen. Szenen mit blöden blutrünstigen Zombies gibt es kaum, dafür immer neue Wendungen und Poesie da, wo man sie nicht erwartet. Wenn die anderen elf Spielfilme ähnlich ungewöhnlich und gut sind, wird es spannend. Die Preise gibt es am Samstagabend.

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