Kultur Filmkritik zu "Die Verlegerin": Die Wahrheit, nichts als die Wahrheit

Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks) weiß Verlegerin Key Graham (Meryl Streep) hinter sich, als es um die Veröffentlichung der
Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks) weiß Verlegerin Key Graham (Meryl Streep) hinter sich, als es um die Veröffentlichung der brisanten Pentagon-Papiere geht.

Es ist unglaublich, was in diesem Film alles steckt: der erste Whistleblower der USA, die erste Zeitungsverlegerin der USA, der erste gelungene Versuch der US-Regierung, die Pressefreiheit auszuschalten, der Überlebenskampf einer Zeitung zwischen Börsengang, investigativem Journalismus und Konkurrenzdruck. Steven Spielberg hat mit „Die Verlegerin“ ein Porträt der „Washington Post“ gedreht, das zwar im Jahr 1971 spielt, aber viele Parallelen zur Gegenwart aufweist.

„Qualität sorgt für Profit“, sagt Kay Graham (Meryl Streep), die Verlegerin der „Washington Post“ zu den Vorstandsmitgliedern. Man sieht auch, wie sie den Satz vorher einübt, weil sie nicht schüchtern klingen will. Alle ihre Berater – ausschließlich Männer – wollen lieber, dass die „Post“ mehr bunte, unterhaltsamere Geschichten druckt als politische Recherchen und dass der Verlag etliche Redakteure entlässt: Das würde beim Börsengang die Anleger freuen und für einen höheren Aktienkurs sorgen. Doch Graham (1917-2001), die 1963 nach dem Selbstmord ihres Mannes die Zeitung weiterführte, setzte sich durch in dieser hektischen Männerwelt, in der die konservativ und brav wirkende Mittfünfzigerin wie ein Fremdkörper wirkte. Sie war die erste Frau in den USA in diesem Job, hatte keine Erfahrung als Verlegerin, arbeitete sich ein – und als es darauf ankam, war sie mutiger als jeder Mann. Immer wieder fragt sie ihren Chefredakteur Ben Bradlee (Tom Hanks), ob er nun endlich die „Pentagon-Papiere“ in den Händen hält, von denen er ihr erzählt hat. Das ist eine 7000 Seiten umfassende Studie aus dem US-Verteidigungsministerium, die zeigt, dass die USA schon seit den 1960er Jahren in Vietnam einmarschieren wollten und dass die Regierung bereits Mitte 1965 wusste, dass der Krieg nicht zu gewinnen war, aber trotzdem unverdrossen Soldaten dorthin schickte. Mit den bekannten Folgen. Daniel Ellsberg, der als hochrangiger Mitarbeiter im Verteidigungsministerium an den Vorbereitungen für den Vietnamkrieg beteiligt war, bekam Kontakt zu Aktivisten der Friedensbewegung, die bereit waren, für ihre Überzeugung ins Gefängnis zu gehen – und wurde einer von ihnen. Ellsberg (Jahrgang 1931) wurde zum Whistleblower, kopierte in mühsamer monatelanger Kleinarbeit die Pentagon-Papiere, schmuggelte sie aus dem Ministerium – und gab sie der „New York Times“ (NYT). Letzteres erfuhr Bradlee, aber er musste warten, bis die NYT mit den ersten Enthüllungen herauskam, um dann in der „Post“ mit weitergehenden Recherchen und Artikeln die NYT zu überbieten. Doch kaum war die NYT erschienen, da untersagte die US-Regierung der Zeitung, Weiteres zu publizieren – das sei Geheimnisverrat – und kassierte die verfassungsmäßig garantierte Pressefreiheit. Ein Teil der „Post“-Redakteure und fast alle, die Graham um Rat fragte, bekamen Angst und waren dagegen, die Papiere zu veröffentlichen. Doch Bradlee und sein Team hielten an ihrem Vorhaben fest. Unterstützt von ihrer Verlegerin, die Meryl Streep zu Beginn des Films als eher unsichere, zurückhaltende Frau charakterisiert und die dann – auch der aufblühende Feminismus in den USA damals mag mitgespielt haben – immer stärker wird. Als Bradlee die Papiere hat, gibt sie ohne Zögern die Order: „Wir drucken.“ Spielberg wollte in den Zeiten von Fake News und Trumps permanenten Versuchen, die Pressefreiheit einzuschränken, ein Plädoyer für investigativen Journalismus setzen, das merkt man dem Film in fast jeder Sekunde an. Tom Hanks’ Augen leuchten richtig, wenn er von den Pentagon-Papieren spricht, von den Lügen der Nixon-Regierung und der drei Regierungen davor, Hanks agiert als Spielbergs alter Ego. Und das macht er wirklich gut. Sein Enthusiasmus ist ansteckend. Natürlich zeigt der Film die übliche Hektik im Redaktionsalltag, noch kurz, bevor die Zeitung in Druck geht, sensationshungrige Reporter und Rechercheure, konspirative Treffs mit dem Whistleblower. Das kennt man aus anderen Zeitungsfilmen. Aber immer wieder kommt auch die wirtschaftliche Seite ins Spiel. Die „Post“ verliert (wegen des Fernsehens) an Auflage und Einnahmen, deshalb will sie an die Börse, um an frisches Geld zu kommen und sich neu zu positionieren. Das möchte auch die Verlegerin, aber sie hat außerdem politische Visionen. Spielberg inszeniert routiniert und – was er selten tut – auch emotional. Es ist kaum möglich, von diesem Film nicht gefesselt zu sein. Das hat ihm auch die Oscar-Nominierung als bester Film eingebracht. Und trotzdem: Ein ebenso packendes Zeitungsdrama wie „Spotlight“ (Oscar als bester Film 2015) oder „Die Unbestechlichen“ hat Spielberg dann doch nicht geschaffen, obwohl er das Geschehen auf wenige Tage im Sommer 1971 konzentriert, was allein schon für Dynamik sorgt. Doch Spielberg will lieber die wichtigsten Drahtzieher porträtieren, die Zusammenhänge aufzeigen und die Gegner innerhalb des Medienhauses offenbaren. Auf seine alten Tage eifert der 71-jährige Spielberg damit vielleicht unbewusst Clint Eastwood (86) nach, der in seinen letzten Filmen nur noch Heldenverehrung betreibt. Doch Spielbergs Kosmos ist größer – und sein Anliegen, das auch angesichts der heutzutage oft ungeprüft in Sekundenschnelle herausgehende Meldungen gefährdete Ansehen der Presse zu stärken, die Pressefreiheit und die investigativen Journalisten zu unterstützen, ist wichtiger denn je. Wie die wahre Geschichte weiterging, ist bekannt: Dank der Veröffentlichung der Pentagon-Papiere wurde die „Washington Post“ von einer Regionalzeitung zu einer Landesgröße, die im Jahr darauf Watergate aufdeckte und Pulitzerpreise bekam. Key Graham wurde die einflussreichste Verlegerin der USA, sie leitete die Zeitung, die heute Amazon-Gründer Jeff Bezos gehört, bis zu ihrem Tod.

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