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Da ist noch alles Routine: Susanne Wolff als Notärztin und Alleinseglerin Rike an Bord der Asa Gray bei der Abfahrt aus Gibralta
Da ist noch alles Routine: Susanne Wolff als Notärztin und Alleinseglerin Rike an Bord der Asa Gray bei der Abfahrt aus Gibraltar.

Zwei Filme über Menschen, die sich allein in einer Extremsituation wiederfinden: „In My Room“ von Ulrich Köhler und „Styx“ von Wolfgang Fischer stehen beide im Wettbewerb um den Filmkunstpreis des 14. Festivals des deutschen Films in Ludwigshafen. „Styx“, Eröffnungsfilm der Berlinale-Reihe Panorama im Februar, ist auch für den Europäischen Filmpreis nominiert – schließlich beleuchtet das Drama ein dringliches Thema: den Umgang mit Flüchtenden in Seenot.

Im Mittelpunkt von „Styx“ allerdings steht eine deutsche Notärztin. Rike (Susanne Wolff) ist ruhig, sorgfältig und erfahren. Dies belegen die ersten Szenen, die sie bei einem Einsatz in ihrer Heimat Köln zeigen sowie bei der Vorbereitung ihres Urlaubs. Von Gibraltar aus will sie alleine an der Westküste Afrikas entlang segeln – bis nach Ascension. Die durch Militärbesatzung Anfang des 19. Jahrhunderts karg gewordene Insel hatte Charles Darwin frisch bepflanzt, woraus sich ein neues Ökosystem, künstlicher Dschungel, entwickelte. Eine Wiedergutmachung, aber ebenfalls ein Eingriff in die Natur. Einen Ascension-Bildband mit üppig wuchernden Grün nimmt Rike mit an Bord ihres Bootes Asa Gray – benannt nach einem mit Darwin befreundeten US-Botaniker – und blättert oft darin. Vorfreude aber zeigt ihr Gesicht nicht: Sie ist eine stille, kontrollierte Person, die ihre Gefühle verbirgt. Eine durchaus spröde Heldin. Regisseur Wolfgang Fischer zeigt sie über die Hälfte des Films nun bei ihrem Segelalltag. Es ist harte, körperliche Arbeit. Doch Rike ist bestens vorbereitet und ausgerüstet, einen heftigen Sturm meistert sie konzentriert, kommt nur etwas aus der Puste. Ihre Unerschütterlichkeit wird jedoch auf die Probe gestellt, als sie sich einem überladenen Fischdampfer nähert und die von ihr zu Hilfe gerufene Küstenwache keine Anstalten macht, den in Not Geratenen zu helfen. Regisseur Fischer zeigt dabei nie Nahaufnahmen. Er verzichtet darauf, die Verzweiflung der Passagiere zu zeigen, die ahnen, dass ihr Boot bald sinkt und sich auf Rikes kleines Zwölf-Meter-Boot retten wollen. Sie solle nicht eingreifen, sonst würde ihre „Ava Gray“ selbst in Seenot geraten, warnt die Küstenwache. Doch ein Geflüchteter schwimmt zu ihr, Rike zerrt ihn mühselig an Bord, versorgt seine Wunden. Es ist ein etwa 14-Jähriger, der sie dazu bringen will, noch andere aufzunehmen, sie gar über Bord schubst, auf dass sie selbst die Angst vor dem Ertrinken spürt. „Styx“ ist ein Film, der die Beschwernis und Mühe, sicher übers Meer zu kommen, fühlbar macht. Zu seinen Protagonisten aber lässt er eine Distanz zu, will die Zuschauer nicht manipulieren, sondern ihre eigenen Schlüsse ziehen lassen. Was würde ich tun?, ist die Grundfrage, die Wolfgang Fischer stellt – wie auch Ulrich Köhler in seinem ebenfalls eher beobachtenden, denn emotionalisierenden oder psychologisierenden Film „In My Room“. Beide Regisseure sind dem eher sperrigen Stil der Berliner Schule nah, der vom Publikum Mitarbeit erfordert. Köhler, der mit seinem Vorgängerfilm „Schlafkrankheit“ wie nun Fischer einen Europäer Richtung Afrika schickte, geht in „In My Room“ noch weiter: Sein Antiheld Armin (Hans Löw), ein in Berlin lebender Kameramann ohne allzu viel Talent, landet nach dem Tod der geliebten Großmutter in einer vollkommen veränderten Welt. Außer ihm lebt offenbar niemand mehr. Und so richtet er sich ein in dieser Einsamkeit, geht zurück dahin, wo er ursprünglich herkommt: aufs Land, baut Kartoffeln an, hält Vieh, jagt, näht, errichtet am Fluss mit einem Mühlrad sein eigenes kleines Wasserkraftwerk. „Ich möchte unabhängig sein“, erklärt er sich einmal. Da hat der moderne Adam bereits seine Eva (Elena Radonicich) getroffen: eine zweite Überlebende, die bei ihm einzieht. Aber nicht bleiben will. „In My Room“ ist ein sehr bedächtiger Film, der es den Zuschauern nicht einfach macht, auch wegen seiner ebenfalls sehr verschlossen wirkenden, nicht auf Anhieb sympathischen Hauptfigur. Ein Film aber, der ganz universell danach fragt, was das Leben ausmacht und ob es sich nicht doch lohnen könnte, auf so manches zu verzichten. Interview Termine —„Styx“: 1. September, 14 Uhr —„In My Room“: heute, 20 Uhr, Freitag, 14.30 Uhr.

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