Kultur Einblicke in das Allerheiligste

Das Atelier als Alchemistenlabor: Arbeitsplatz des Ludwigshafener Künstlers Günther Wilhelm.
Das Atelier als Alchemistenlabor: Arbeitsplatz des Ludwigshafener Künstlers Günther Wilhelm.

Dutzende Künstlerinnen und Künstler aus der Pfalz sind dabei. Tausende Besucher werden kommen: Dieses und nächstes Wochenende bei der Aktion „Offene Ateliers“ des Berufsverbands Bildender Künstler Rheinland-Pfalz. Malerinnen, Grafiker, Plastikerinnen, Videoartisten zeigen ihren besonderen, magischen Ort vor. Ihren Denkraum, Rückzugsort, ihr Kreativlabor. Den Arbeitsplatz. Die Arena.

Zum Beispiel der genialisch verpusselte Ludwigshafener Fotografietüftler Günther Wilhelm. Sein Atelier in Ludwigshafen sieht wie eine Alchemisten-Wunderkammer aus, die Werkstatt eines Handwerkers für Kunst. Hier laboriert Wilhelm an historischen Verfahren der Fotografie herum. Kopiert Bilder, einen Getreidespeicher im Ludwigshafener Hafen etwa, den Rohrlach-Bunker im surreal aufgeladenen Licht, mit einer Lochkamera aufgenommen, durch Methoden aus einer Pionierzeit. Mit Gummi- und Blaudruck (Cyantopie). Er hantiert mit einer Emulsion aus Ammoniumeisen (III)-Citrat und Kaliumhexacyanoferat. Manchmal nimmt der Fotograf mit Chemielaborantenhintergrund auch Tee. Ein Besuch bei ihm in der Hartmannstraße im Hemshof ist eine Erfahrung. Das Anwesen, in dem er lebt, konserviert ein künstlerisches Milieu, das in die 1980er-Jahre zurückreicht. Sein Energieraum bleibt das Atelier. Günther Wilhelm wird es an beiden Wochenenden vorzeigen, an denen die Aktion „Offene Ateliers“ über die Bühne geht, am 16./17. und 23./24. September. Gleichzeitig ist darin auch seine neueste Ausstellung zu sehen (bis 2. Oktober). „Lost in Space“, Relikte des Kalten Krieges, Aufnahmen von der Sembach Airbase und der Husterhöhe in Pirmasens und der Radarstation Langer Kopf im Pfälzer Wald, die von einem eigentümlichen Sentiment aufgeladen sind. Seine Künstlerbücher werden ausliegen, das neueste ist ein Werk, bei dem Wilhelm Texte des Lyrikers Udo Pagga mit sogenannten Edeldrucken „Phantastischer Collagen illustriert hat, „Untergang und weniger“ , lautet der Titel. Natürlich wird bei den „Offenen Ateliers“ präsentiert, was man kann. Es handelt sich dabei um eine, wenn man so will, Marketingmaßnahme des Berufsverbands Bildender Künstler Rheinland-Pfalz. Es gibt sie seit Jahren. Teilnehmen dürfen ausschließlich, darauf legt der Verband großen Wert, „professionelle Künstlerinnen und Künstler“ wie die Landauerin Susanne Wadle, die so herrliche Objektassemblagen auftürmt. Sie gewährt Zutritt in ihr metaphysisches Traumtheater. Genauso öffnen die Protagonisten der Waldschlösschen-Künstlerwerk-Gemeinschaft (Roland Albert, Klaus M. Hartmann, Reiner Mährlein, Silvia Rudolf, Angelica Steinmacher, Volker Tinti) in Kaiserslautern die Türen. In Pirmasens erlaubt das Künstlerpaar Irmgard Weber und Matthias Strugalla einen Einblick in den Umraum ihrer Arbeitsprozesse. Wo genau in Speyer Klaus Fresenius wirbelt – jetzt kann man sich da einfühlen. In Ludwigshafen schließen Armin Liebscher, Sonja Scherer und Ulrich Thul ihr Atelierhaus im Umspannwerk in der Raschigstraße auf. Ihr Allerheiligstes. Auch wenn die Künstler inzwischen überall arbeiten, bleibt der Nimbus dieses extraterrestrischen Gebiets, in dem sich schon Dürer auf seinem weltberühmten Selfie als verschatteter Denker aufführt. Als Urbild dieses Umraums kann Gustav Courbets Monumentalgemälde „Das Atelier des Malers“ gelten, 1855. Dreieinhalb mal sechs Meter. Ein Großwerk. Sieben Jahre Künstlerleben. Die gute Gesellschaft ist darauf versammelt. Angehimmelt von seinem Sohn, zart begleitet von einem Musen-Modell, sitzt der Maler an seiner Staffelei. Arbeit an der eigenen Legende. Das Atelier steht hier – typisch für das 19. Jahrhundert – stellvertretend für den Künstler. Ein Außenseiter, den es in den Mittelpunkt drängt. Als Inbegriff des Transzendenten lässt Courbet das Atelier aufscheinen. Alles Profane wird auf dieser Schöpfer-Bühne, um ganz kurz pathetisch zu werden, veredelt. Seither ist viel passiert. Vor drei Jahren war in der Staatsgalerie in Stuttgart eine Ausstellung zu sehen. Mit 200 Gemälden, Fotografien, Videos, Installationen. Mit Spitzwegs Poeten-Bruchbude, den Angeber-Immobilien des Hans Makart und Abbildern der Wohn- und Arbeits-Behausung von Alberto Giacometti mit den in die Wände geritzten Skizzen. Und wie der Künstlerdarsteller Jonathan Messe, Jahrgang 1970, Farbe an die Wand seines Ateliers klatscht und dabei „Ich bin der Märchenprinz“ singt. „Mythos Atelier“, hieß die Schau. Aber wer seinen Arbeitsplatz offenlegt und sich dem aussetzt, dass Besucher herumstöbern, begibt sich auch in Gefahr. Ein Einblick kann schließlich auch eine Entzauberung bedeuten. Und ein großspuriger Welterklärer sich plötzlich als ehrpusseliger Spießbürger erweisen. Das Atelier ist nun mal der Raum, in dem Magie passiert. Oder nicht. „Das Atelier“, schreibt der Fotograf Gautier Deblonde, der für einen seiner Bildbände einmal weltweit die Ateliers berühmter Künstler dokumentiert hat, „ist der privateste Ort eines Künstlers. Hier sieht man, wie sie arbeiten, aber man sieht auch noch viel mehr“. Na dann los.

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