Kultur Die Gewalt von Bildern

Gejagt und in die Enge getrieben: „3 Tage in Quiberon“ erzählt, wieso Romy Schneider (Marie Bäumer) dem „Stern“ 1981 ein offenes
Gejagt und in die Enge getrieben: »3 Tage in Quiberon« erzählt, wieso Romy Schneider (Marie Bäumer) dem »Stern« 1981 ein offenes Interview gab, begleitet von sehr persönlichen Bildern.

Zwei Spielfilme, die realem Leid nachspüren – oder es ausstellen? Der deutsche Beitrag „3 Tage in Quiberon“, der Romy Schneiders Krise des Jahres 1981 nachempfindet, und der norwegische Film „Utøya 22. Juli“, der das Attentat auf der Insel nahezu in Echtzeit rekonstruiert, sorgten gestern im Berlinale-Wettbewerb für Diskussionen.

Braucht es diese Filme? Welchen Erkenntnisgewinn bringen sie? Und spielt nicht eine ungute voyeuristische Note mit? Regisseur Erik Poppe hat sich zuletzt mit dem Kassenerfolg „The King’s Choice“ dem deutschen Einmarsch in Norwegen anno 1940 gewidmet. Mit „Utøya. 21. Juli“ möchte er nun den Opfern des rechtsextremistischen Attentats von 2011 ein Denkmal setzen: 69 meist sehr junge Menschen starben an diesem Tag im Ferienlager auf der Insel, 33 wurden angeschossen, hunderte traumatisiert. Sein Ziel, erklärte Poppe gestern vor der Presse: „dafür sorgen, dass die Opfer nicht vergessen werden“. Und Worte reichten nicht aus, um zu verdeutlichen, was sie erleiden mussten. Auch solle nicht mehr nur über den Täter gesprochen werden. Bewusst wird sein Name nie genannt. Die Zuschauer sollen „spüren, welche grauenvollen Folgen dieses rechtsextreme Gedankengut, das mehr und mehr um sich greift, haben kann“, sagt Erik Poppe. Der Film wählt konsequent die Perspektive der Jugendlichen, die zu Gejagten werden, der Täter ist nur kurz schemenhaft zu sehen. Mit Handkamera gedreht, in einer einzigen Einstellung lässt Erik Poppe die 72 langen Minuten nachspielen, die das Attentat dauerte. Eine Zeit, in der die Opfer erst hofften, die Schüsse seien eine Übung, sich dann fragten, warum keine Hilfe kommt. Der Film zeigt Jugendliche in Todesangst, die um ihr Leben rennen, niedergeschossen werden, andere sterben sehen. Identifikationsfigur ist Kaja (Andrea Berntzen), die davon träumt, einmal Ministerin zu werden, und vor allem ihre jüngere Schwester retten möchte. Der Film erspart dem Zuschauer nichts, ist bewusst grausam, stets nah an den Gesichtern. „Ich wollte diese Zeit, diese schrecklich langen 72 Minuten erfahrbar machen“, sagt Poppe. Doch trotz seines ehrenwerten Ansatzes: Der Film kann auch als Thriller verstanden werden, er nutzt aus Kriegs- und Horrorfilmen bekannte Muster. Unwillkürlich wird der Betrachter in ein Spannungsszenario geworfen, will innerlich Tipps geben wie „Versteck dich doch im Zelt, geht nicht ans Wasser, da sieht er euch doch…“ Poppe geht sehr weit: Er zeigt klaffende Wunden, emotionalisiert mittels Dialogen über letzte Wünsche, lässt Kaja „True Colors“ singen: Verletzt dies nicht die Würde? Poppe und sein Drehbuchteam sagen: nein. Sie haben die Szenen aus Gesprächen mit Überlebenden rekonstruiert und verfremdet, aus dem Gehörten fiktionalisierte Figuren destilliert, damit keine Überlebenden sich und keine Hinterbliebenen ihre Nächsten wiedererkennen. Man hat ihnen den Film vorab gezeigt und nur mit ihrer Zustimmung spät die Einladung in den Berlinale-Wettbewerb akzeptiert. Dennoch bleibt das ungute Gefühl, dass der Attentäter diesen Film großartig finden könnte, um sich am Leid der Jugendlichen noch einmal zu weiden. Sensibler, taktvoller ist die Dokumentation „Zur falschen Zeit am falschen Ort“, in der Regisseur John Appel 2012 fünf Überlebende zu Wort kommen ließ, ohne das Grauen noch einmal zu bebildern. Eine Doku ist ein passenderer Rahmen für einen Utøya-Film. Ein ungutes Gefühl löst bisweilen auch „3 Tage in Quiberon“ aus, Emily Atefs Film über ein legendär offenes Interview, das Romy Schneider 1981 dem „Stern“-Journalisten Michael Jürgs (doppelbödig gespielt von Robert Gwisdek) gab. Fotograf Robert Lebeck (Charly Hübner), ein alter Freund der Schauspielerin, sorgte für die sehr privat wirkenden Fotos. In der Bretagne ist Romy Schneider (Marie Bäumer) eigentlich zur Kur, will dem Alkohol abschwören. Doch Interviewer Jürgs (Selbsterkenntnis: „Manipulation – das ist unser Job“) nutzt ihre Schwäche aus, löst mit Alkohol ihre Zunge. Und so spricht sie nach einer Partynacht über Selbstzweifel, über ihre Familie und über ihr Verhältnis zur Klatschpresse („verbale Vergewaltigung ist leider straffrei“). Und sagt Sätze wie „Ich bin eine unglückliche Frau von 42 Jahren“ und „Ich will mein Leben zurück“. Sie sehne sich nach Normalität und Zeit mit den Kindern, die ihr entgleiten. Aber sie müsse doch arbeiten, da sie kein Geld mehr habe... Der durchweg gut gespielte und schön im Stil der Schwarzweißfotos von 1981 bebilderte Film wird so zu einer Momentaufnahme aus dem Leben einer manisch Depressiven. Und zeigt, wie das Umfeld Schneiders Status und ihre Labilität für eigene Zwecke nutzt. Und dies gilt auch für die Filmemacher. „Jetzt kann man sie in Ruhe lassen“, sagt Regisseurin Emily Atef vielsagend im Pressegespräch zum Film. „3 Tage in Quiberon“ war nicht ihre eigene Idee, vielmehr hat Marie Bäumers langjähriger französischer Produzent Denis Poncet das Projekt angestoßen. Sie habe „durch die Ikone durchdringen wollen“, sagt Marie Bäumer, die sich nun auch dem ewigen Vergleich mit Romy Schneider stellt. So wie Schneider im Film „ich bin nicht Sisi“ nahezu in Dauerschleife sagt, muss die 48-Jährige weiter beteuern: „Ich bin nicht Romy.“ Die Rolle ist also vielleicht eine Katharsis für Bäumer. Dem Zuschauer aber eröffnet „3 Tage in Quiberon“ zumindest wenig neue Erkenntnisse über Romy Schneider. Emily Atef dreht gern Filme über Frauen, die sich selbst aus Krisen befreien. Und so sieht sie in ihren finalen Bildern einen „Schimmer von Hoffnung“. Das wäre glaubwürdiger, hätte sie einen Spielfilm ohne Basis in der Realität gedreht und das wichtige Thema Depression allgemeingültiger angepackt.

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