Kultur Der fränkische Rebell: Kabarettist Matthias Egersdörfer mit Romandebüt

Auch im „Tatort“ aktiv: Matthias Egersdörfer. Foto:: DPA/Nicolas Armer
Auch im »Tatort« aktiv: Matthias Egersdörfer.

Auch wenn die meisten Menschen irgendwann im Leben einmal über ihre Herkunft sinnieren mögen, dürften sich die wenigsten konkret den Akt ihrer Zeugung vorstellen wollen. Nicht so Matthias Egersdörfer. Er beschreibt die Initialzündung für sein Menschwerden als kosmisches Ereignis, das sich allerdings ganz banal nur „einer Mischung aus schlechtem Wetter, Langeweile und Unachtsamkeit“ an einem Skiurlaubstag verdankt.

Egersdörfer soielt auch im „Tatort“ aus Franken mit

Der fränkische Kabarettist Matthias Egersdörfer feierte 2007 seinen Durchbruch mit dem mehrfach ausgezeichneten Soloprogramm „Falten und Kleben“ , steht aber schon seit 25 jahren auf der Bühne und ist auch im Fernsehen zu sehen – als Leiter der Spurensicherung im Franken-„Tatort“. Vor diesem Hintergrund wird niemand von seinem Erstlingsbuch „Vorstadtprinz“ einen hoch literarischen Entwicklungsroman erwarten. Szenisch gebaut führt der autobiografisch gefärbte Stoff ins beschauliche Vorstadt-Milieu einer kleinbürgerlichen Familie in den 1970ern. Jeder kennt jeden, und die redselige Mutter des Ich-Erzählers dominiert mit ihrem rustikalen Temperament und ihrer barocken Körperfülle das häusliche Leben. Während der Vater als Vertreter auf Reisen ist, bietet allein die kleine Wohnung der Großmutter im Erdgeschoss ein Rückzugsgebiet für den heranwachsenden Matthias. Hier schauen die beiden Tierfilme, essen dabei – gerührt oder schichtweise – den legendären Dany, seinerzeit der erste Schokopudding mit Sahnehaube, oder greifen als Nervennahrung auf den sorgsam gestapelten Schokoladenvorrat zu. Die alte Dame auf ihrem blumengemusterten Kanapee scheint aus der Zeit gefallen. Im Gegensatz zu den heutigen agilen und jugendlichen Omas verströmt sie eine ruhige Würde und unerschütterliche, etwas skurrile Weltsicht, aber auch liebevoll geschilderte Herzenswärme. Ihre Wortwahl – „echauffieren“ oder „Kommerzienrat“ – kann der kleine Matthias noch nicht, können junge Leser heute nicht mehr verstehen.

Die Figur der Oma ist das Gegenteil von politisch korrekt

Matthias Egersdörfer karikiert seine Figuren, ohne sie der Lächerlichkeit preiszugeben. So lässt er sie mit ihren Stärken, Schwächen und Marotten auf sympathische Weise lebendig werden, schafft in Alltagsausschnitten erzähltechnisch ein Gesellschaftsbild in authentischem Zeitkolorit. So tut es der Sympathie des Lesers für die Großmutter keinen Abbruch, wenn sie politischer Korrektheit abhold ist und eine recht eigene Sicht der Dinge hat, ohne dass man ihr eine boshafte Diskriminierung unterstellen wollte. Mit dieser Figur hat sich der Kabarettist als Autor ein Sprachrohr geschaffen, das ihn ungestraft mit Klischees spielen und über Volkes Wort ebenso witzeln wie doktrinäre Moralisten provozieren lässt.

Der deftige Humor Matthias Egersdörfers mag nicht jedem liegen, doch die Impressionen seiner Kindheit und Jugend fangen die 1970er gekonnt ein. Wer erinnert sich nicht an so typische Situationen wie das Überreichen eines Wurstkringels durch die Metzgersfrau in vergeblicher Erwartung eines Dankeschöns seitens des Sprösslings; oder an die alljährlichen strengen Prüfungen, denen der Weihnachtsbaum unterzogen wurde; an einen Lehrertypus, der seinen Schülern noch ungeniert Erfolg oder Scheitern prognostizierte und die Liaison von Dummheit und Faulheit beim Namen nannte. „Auch ich gehörte zu denjenigen, deren Anwesenheit in der gymnasialen Walhalla nach Ansicht des Oberstudienrates einem grundsätzlichen Irrtum geschuldet war.“ Der Wechsel an ein städtisches Gymnasium, der Sprung von der christlichen Jugendgruppe in die Nürnberger Disko sind die ersten Befreiungsschläge aus dem Vorstadtmief. Ihr Finale bildet dann der Vollrausch nach dem Abitur und der Entschluss, in eine norddeutsche Hafenstadt zu ziehen. Man würde den fränkischen Rebellen auf seinem Weg gern ein Stück weiter begleiten.

Lesezeichen

  • Matthias Egersdörfer: Vorstadtprinz. Roman meiner Kindheit. 319 S., Rowohlt, Berlin. Preis: 20,-€.

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