Kultur Aus Frau mach Mann

Verbotene Liebe: Greta Fernández (links) und Natalia de Molina.
Verbotene Liebe: Greta Fernández (links) und Natalia de Molina.

Die größte Kontroverse der diesjährigen Berlinale hat ein in betörende Bilder getauchter Liebesfilm aus Spanien ausgelöst. Denn Regisseurin Isabel Coixet konnte ihn nur durch Netflix finanzieren. In Spanien wird „Elisa y Marcela“ ins Kino kommen – darum hat ihn Berlinale-Chef Dieter Kosslick für den Wettbewerb zugelassen. Dafür erntete er reichlich Protest.

160 Kinobetreiber haben in einem Brief an Kulturstaatsministerin Monika Grütters gefordert, „Elisa y Marcela“ solle nur außerhalb des Wettbewerbs laufen dürfen. Der Vorstoß hat Regisseurin Isabel Coixet verletzt: „Das ist nicht fair gegenüber dem Film. Zu sagen, der Film verdient es nicht, im Wettbewerb gezeigt zu werden, hat nichts mit dem Schutz von Kinokultur zu tun, es ist respektlos gegenüber dem Autor“, sagte sie im Pressegespräch. Zehn Jahre lang habe sie versucht, den Film auf gängigem Weg zu finanzieren. Niemand wollte das Thema einer verbotenen Liebe aber anpacken: „Elisa y Marcela“ erzählt – basierend auf realen Ereignissen – von einer lesbischen Liebe im Jahr 1901 in Galizien. Elisa und Marcela leben als Lehrerinnen in einem Dorf – glücklich, bis der Dorfgemeinschaft klar wird, dass sie lesbisch sind. Steine fliegen. Und so kommen die Liebenden auf die Idee, Elisa verschwinden und als Mann verkleidet wiederkehren zu lassen. Marcela heiratet dann Elisas vermeintlichen Cousin Mario. Doch der Schwindel fliegt auf (wobei Originalfotos am Filmende zeigen, dass Elisa die Hosenrolle glaubhaft verkörperte), es drohen 20 Jahre Gefängnis wegen „Transvestismus, Blasphemie und Urkundenfälschung“. Coixet, zuletzt mit der Philip-Roth-Verfilmung „Elegy“ im Berlinale-Wettbewerb, bestand darauf, in Schwarzweiß zu drehen. Das habe interessierte Geldgeber endgültig abgeschreckt. Dann habe eine kleine katalonische Produktionsfirma den Kontakt zu Netflix vorgeschlagen. Coixet beteuert aber: „Ich habe fürs Kino gedreht und ließ mir daher eine Kinoauswertung vertraglich zusichern.“ Der Streamingdienst habe sich darauf eingelassen und ihr freie Hand gegeben. Der spanische Kinoverleih habe auch lange vor der Berlinale-Einladung festgestanden. Keine Regeln gebrochen also – im Wettbewerb zeigt Kosslick nur fürs Kino produzierte Stoffe. Allerdings hat er die Wettbewerbsnebenreihe „Special“ schon vor Jahren für serielle Produktionen geöffnet, auch für solche, die für Streamingplattformen entstanden. Ein Höhepunkt dieses Jahr: „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ mit Stars wie Moritz Bleibtreu als Verleger und Ärzte-Musiker Bela B. als Medium, produziert für die zuletzt recht brach liegende RTL-Streamingplattform TV Now, die neue Impulse bekommen soll: Die ersten Folgen sind stark, atmosphärisch dicht, mit einem Hauch David Lynch. Die Belebung durch Streaming-Produzenten wie Netflix kann gerade dem künstlerischen Film gut tun, wie die Oscarnominierungen für den Netflixfilm „Roma“ von Alfonso Cuarón zeigen: Der Film kann über den Dienst ein breiteres Publikum als ihm Kino erreichen. „Ich glaube nicht, dass das Kino stirbt“, sagt wiederum Berlinale-Jurymitglied und Bärensieger Sebastián Lelio aus Chile („Gloria“). Er ist Netflix gegenüber aufgeschlossen, betont aber: „Das gemeinsame Erleben von Film auf großer Leinwand ist durch nichts zu ersetzen.“ Bei Coixets „Elisa y Marcela“ allerdings war das Publikum doch etwas enttäuscht: Der Film, der nach Romeo & Julia-Tragik strebt, fällt doch eine Spur zu schwülstig aus, vor allem in den irritierend voyeuristischen Erotikszenen.

x