Kultur Auf dem Boden der Despotie

Im Februar verurteilte ihn ein türkisches Gericht zu einer lebenslangen Haftstrafe. Nun hat der S. Fischer Verlag Ahmet Altans einzigen auf Deutsch erschienenen Roman „Wie ein Schwertstreich“ neu aufgelegt.

Der Roman von Ahmet Altan ist ein älteres Werk. Er stammt ursprünglich aus dem Jahr 1998. Vier Jahre später erschien er auf Deutsch im S. Fischer-Verlag, Titel „Der Duft des Paradieses“. Die Neuauflage, auf Wunsch des Autors in einer Eins-zu-Eins-Übersetzung des türkischen Originaltitels „Wie ein Schwertstreich“ (Kilic Yarasi Gibi), steht im Zusammenhang mit Altans Verurteilung am 16. Februar dieses Jahr. Der Tag im Übrigen, an dem der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel aus dem Gefängnis entlassen wurde. Die „unabhängige“ Justiz, wie die Justiz der Türkei seitens der Regierungs-Politiker der AKP gerne bezeichnet wird, hatte Altan verhaften lassen. Vorwurf, er habe in einer Fernsehsendung vor dem Putschversuch vom Juli 2016 „unterschwellige“ Botschaften gesendet – was das auch immer bedeuten mag. Zwar hatte das Verfassungsgericht im Januar seine Freilassung angeordnet, doch ein untergeordnetes Gericht befand – nachdem dieses Urteil von Politikern der Regierungspartei kritisiert worden war – dass das Verfassungsgericht sich geirrt haben müsse, und weigerte sich, ihn freizulassen. Dann folgte das Urteil auf lebenslange Haft. Der Roman spielt an der Wende zum 20. Jahrhundert. Auf der Mikroebene geht es insbesondere um Hikmet Bey, einen in Paris ausgebildeten Juristen und Sekretär im Palast des Sultans, um seine Heirat mit Mehpare Hanim. Aber im Großen entsteht ein Porträt der spätosmanischen Gesellschaft und ihrer Politik. Der Autor zeichnet dabei das Bild einer Klassengesellschaft in voraufgeklärtem Zustand, in der Intrigen, Korruption und Scheinheiligkeit regieren und die vordergründig durch den Islam bestimmt ist. Die Frauen tragen schwarze Schleier, Mädchen werden ab der Pubertät verheiratet, ein vorheriges Kennenlernen des Bräutigams ist dabei nicht unbedingt vorgesehen. In der Oberschicht nimmt man es mit den vorherrschenden religiösen Geboten nicht so ernst, trinkt Alkohol und gibt sich sexuellen Ausschweifungen hinter verschlossenen Türen hin. Die Strafen wegen Unzucht derweil treffen nur die unteren Schichten. Im Zentrum der Politik steht der absolutistisch regierende Sultan Abdülhamid II. (der namentlich aber nicht genannt wird). Sein Wort genügt, um missliebige Personen in den Tod oder in die Verbannung zu schicken. Das heißt aber nicht, dass er absolute Macht besitzt. Die muss er mit seinen Generälen, seinen Paschas, teilen, um vor deren Intrigen sicher zu sein. Das politische Klima ist von Angst und Misstrauen geprägt. Um seinen Thron zu sichern, hat der Sultan ein Spitzelsystem aufgebaut: Wer nicht denunziert, macht sich verdächtig. Der Sultan lebt in ständiger Angst, einem Attentat zum Opfer zu fallen. Selbst hinter den Mauern seines Palastes fühlt er sich nicht sicher. Seine Lieblingslektüre sind Kriminalromane – in denen er die menschlichen Abgründe studiert. Gefahr erwächst ihm aus den niederrangigen Militärkreisen, in denen sich die Gruppe „Komitee für Einheit und Fortschritt“ bildet. Sie schafft es schließlich doch, ihn im Jahr 1908 zu entmachten. Große Freude herrscht daraufhin in der Bevölkerung. Muslime und Nichtmuslime fallen sich in die Arme, Frauen weinen vor Freude. Also doch ein Happy End? Die Geschichte belehrt uns eines Besseren. Der Autor lässt einen Nachgeborenen sagen: „Osman dachte bei sich, dass dieses nun schon lange im Totenreich weilende Volk, das sich hier über das Ende der Zwangsherrschaft freute, ja nicht wissen konnte, dass auf diesem Boden die Despotie nie enden, dass jedes abdankende Unterdrückungssystem durch ein neues abgelöst würde; dass hier nur die Unterdrückung gedeihen konnte.“ Eine düstere Prognose. Lesezeichen Ahmet Altan: „Wie ein Schwertstreich“, Roman; aus dem Türkischen von Ute Birgi-Knellessen; Fischer Taschenbuch, Frankfurt/Main; 415 Seiten, 14 Euro.

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