Zweibrücken Paul ist jetzt lieb

Ausverkauft, nichts geht mehr. Sido kommt nach Saarbrücken, und zu viele wollen hin. Der Mann, der einst hinter einer Maske verborgen böse Texte sang, hat es geschafft. Während sich Volkes Zorn in Richtung Bushido entzündet, wurde Paul Helmut Würdig – so heißt Sido wirklich – zum Liebling der Massen. Wie konnte das geschehen?

Mit dem Titel „Wochen Ende“ war für Sido endlich mal Schluss mit lustig. Ein langwieriger Prozess mit der Bundesprüfstelle für Jugendgefährdende Schriften endete 2006 vor dem Verwaltungsgericht Köln, das die Gefährlichkeit des Drogen verherrlichenden Songs bestätigte. Das Lied kam auf den Index.

Immer noch kommt der Rapper mit Prügelattacken in die Schlagzeilen, so 2012, nachdem er seinem ORF-Co-Moderator Dominic Heinzl in der Sendung „Große Chance“ auf die Nase haut. Doch während Bushido nicht einmal durch einen Integrations-Bambi die Anerkennung der Öffentlichkeit gewinnt, wurden Sido-Skandale zuletzt nur noch ohne lautes Getöse zur Kenntnis genommen. Weil er viele derjenigen, die einst vor ihm lauthals warnten, mittlerweile von seiner künstlerischen Arbeit überzeugen konnte.

Endgültige Anerkennung gewann Sido ab 2010, durch einen intelligenten Schachzug. Adel Tawil, als Mitglied von Ich & Ich von den Massen geliebt, öffnete im Duett „Der Himmel soll warten“ die Ohren derjenigen, die eine musikalische Auseinandersetzung mit Sido bis dahin konsequent verweigerten, ohne sich jemals wirklich mit seinen Inhalten auseinandergesetzt zu haben. Die Single erschien im Rahmen eines MTV-Unplugged-Konzertes.

Die Instrumentierung der stromlos im Märkischen Viertel aufgenommenen Lieder – dort wuchs Sido auf – strotzten voller Fantasie und Kreativität. Als weitere Gäste gesellten sich der Komiker Kurt Krömer und Stephan Remmler von Trio hinzu. Zu „Augen auf“ sang ein Kinderchor. Mit harten Worten und klarem Blick auf Realitäten beklagt Sido dort, wie Kinder in den Abgrund rutschen. „Ficken auf dem Weiberklo“, heißt es dort unter anderem drastisch. Der Kinderchor fordert im Refrain: „Mama mach die Augen auf, treib mir meine Flausen aus.“ Und das noch zu einer schönen, flotten Melodie.

Dass Sido nun andere Botschaften in den Mittelpunkt seines Schaffens stellt, bestätigt er mit seiner aktuellen Single „Einer dieser Steine“, übrigens im Duett mit dem in Winnweiler geborenen Mark Forster. Es ist ein Liebeslied von starker Intensität, ganz ohne Ausraster. Doch Obacht: Es ist nun ganz und gar nicht so, dass Sido sich von seiner Vergangenheit abwendet und nur noch Lieder aus seiner braven Karrierephase vorträgt. Als Geläuterter will er sich nicht geben. Genau deshalb gewinnt er womöglich Anerkennung.

Mitte der 2000er Jahre hätte es wohl einen Proteststurm gegeben, wenn Sido ausgerechnet auf dem Schülerfestival das Saarländischen Rundfunks am Saarbrücker Halberg aufgetreten wäre. Doch 2010 ist der einstige Aggro-Rapper dort ein gern gesehener Gast. Der aber auch altes, zweifelhaftes Songmaterial vorträgt.

Das Gleiche könnte in der Garage passieren. Denn in einem RHEINPFALZ-Interview vom Halberg-Open-Air verneint Sido eine Abkehr von seinem alten Songmaterial. Weil es Teil seines Lebens ist, obwohl er nicht auf alles stolz sei, was er gesungen hat.

Sido allerdings auf sexistische Titel zu reduzieren, wie „Ficken“, 2007 im Duett mit der Sängerin Kitty Kat gesungen, wäre ein großer Fehler. Denn in seiner Prosa gelingt Sido mittlerweile etwas einzigartiges. Er verknüpft Demut und Zorn in der Sprache seines Ursprungs-Publikums, das heute längst nicht mehr nur aus dem Block kommt. Seine Ansprache an Gott in „Mein Testament“ ist die eines ehrfürchtigen Mannes. Doch Paul Helmut Würdig wäre nicht Sido, wenn er in diesem Lied nicht andere Töne fände. Mit „Wenn es Pisse regnet guckt nach oben, denn ich flieg da. Ich wünsch euch nichts gutes, ich hoffe ich seh’ euch nie wieder“, verpasst er seinen Widersachern ein ekelerregende goldgelbe Klatsche.

Ein Vergleich mit Eminem kann helfen, um das in Deutschland nun so populäre Phänomen Sido zu begreifen. Der einflussreichste US-Rapper schaffte es zu Beginn seiner Karriere, sich mit Sexismus, Mutter- und Schwulenhass viele zum Feind zu machen. Wie Sido aber läuterte er sich vom Saulus nahezu zum Paulus.

So, wie Sido sich in „Ein Teil von mir“ bei seinem unehelich geborenen Sohn entschuldigt, huldigt Eminem seiner Mutter auf „The Marshall Matters LP 2“. Weil Sido und Eminem ehrlich zu sich sind und zu den Fehlern ihrer Vergangenheit stehen, sind deren alte Eskapaden nicht mehr Teil einer Erfolgsstrategie.

Sido ist zum Spiegel unserer Gesellschaft geworden. Er fabuliert nicht mehr von Weib, Sex und Autos, sondern greift Themen der Sozialpolitik auf. Meist ist das Naturalismus pur. Es lohnt sich, ihm zuzuhören. Das geht auch, wenn man jetzt keine Karte bekommen hat. Denn Sido kommt schon am 22. Januar nach Saarbrücken zurück, dann in die Saarlandhalle unter mit dem Motto „Liebe live“.

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