Zweibrücken „Ich kann mich ja nicht mehr verbessern“

Als 17-Jährige gewann Nicole 1982 mit „Ein bisschen Frieden“ den Eurovision Song Contest im englischen Harrogate. Es war der erste deutsche Sieg in diesem Wettbewerb überhaupt. Und das Lied, von Ralph Siegel geschrieben, ist bis heute untrennbar mit seiner Interpretin verbunden. Es war ihr größter Erfolg, dem viele weitere folgten – bis heute, bis zu ihrem 26. Album mit dem Titel „Das ist mein Weg“. Mit dem ist sie gerade auf Tournee – mit Halt am morgigen Sonntag, 19 Uhr, in der Saarbrücker Congresshalle. Vor dem Start ihrer Tournee sprach Christian Hanelt mit Nicole.

Sind Sie als deutsch singende Künstlerin textlich nicht besonders gefordert, denn über englische Texte lässt es sich leicht hinweghören, weshalb auch nahezu jeder Unsinn akzeptiert wird?

Ja, wir können nicht einfach so blabla singen, sonst landen wir gleich irgendwo in dieser ganz schlimmen Schlagerecke. Deshalb müssen wir uns viel viel mehr Gedanken machen was die Wortwahl betrifft – aber das ist möglich, wie man hoffentlich an meinen neuen Liedern sieht. Es ist ja auch kein reines Schlageralbum im herkömmlichen Sinne. Würde ich Englisch singen, bekäme es bestimmt das Etikett Rock/Pop. Aber das ist wohl Ihr Schicksal, dass Sie einmal in diese Schlagerschublade gesteckt wurden und dort nun Ihr Leben lang ausharren müssen, während vieles von dem, was heute als deutschsprachiger Pop gepriesen wird, eigentlich reinrassiger Schlager ist? Genau. Ich wehre mich nun schon seit über 30 Jahren gegen dieses Schubladendenken, weil ich mich dadurch eingeengt fühle. Ich möchte gerne in verschiedene Richtungen Musik machen, möchte experimentieren – und wenn dann mal kein Schlager dabei herauskommt, läuft es trotzdem unter Schlager. Ich habe mal sechs richtig poppige Titel in Englisch aufgenommen, und Ralph Siegel ging dann mit diesen Songs zu einem bekannten Radioredakteur. Der war total begeistert – wollte wissen, wer denn diese tolle junge Frau ist. Doch als er hörte, dass ich da singe, sagte er, dass er die Songs unter diesen Umständen nicht spielen könne. Dann hätten Sie sich durch einen Künstlernamen eine zweite Identität verschaffen müssen. Daran habe ich auch schon gedacht. Haben Sie dennoch in den letzten Jahren davon profitiert, dass deutsche Texte so populär geworden sind? Natürlich. Wenn man sich die Charts vor 20 Jahren ansieht, wird man unter den Top 100 vielleicht zehn deutsche Titel finden. Heute sieht das ganz anders aus – da hat sich das Blatt gewendet. Und das ist eine Entwicklung, die mir sehr gefällt. Sehen Sie sich da auch als Opfer des Formatradios der letzten 30 Jahre? Davor wurden ja die Rolling Stones, Led Zeppelin, Udo Jürgens, Roy Black und Nicole vom gleichen Sender im gleichen Programm gespielt. Eigentlich schon. Und selbst Sender, die bis vor kurzem noch deutschsprachige Lieder gespielt haben, spielen jetzt mehr und mehr englische Oldies. Gerade weil heute Leute wie Helene Fischer, Andrea Berg oder Semino Rossi mit ihrer Musik in die Charts von Null auf Eins einsteigen, verstehe ich die Entscheidung der Sender nicht, stattdessen Oldies von Cliff Richard, Harpo oder den Carpenters zu spielen. Heino hat es ja anders versucht durch den Stilwechsel hin zu Neuer Deutscher Härte. Wäre ein Stilwechsel auch für Sie denkbar? Nein, denn das wäre einfach nicht glaubhaft. Ich kann ja nicht heute „Blau blüht der Enzian“ und morgen etwas von Rammstein mit Totenkopf auf der Brust singen. Das ist sehr gewollt und aufgesetzt. Aber es hat funktioniert, weil Heino ein Typ ist, der polarisiert – entweder man mag ihn oder man hasst ihn. Ich mag ihn – er ist ein ganz netter Mensch, der nichts zu verlieren hatte. Und damit es funktioniert, musste es so extrem sein. Ich könnte das nicht, das geht gegen meine Natur – ich muss das sein, was ich verkörpere und nach außen trage. Alles andere wäre unehrlich. Das würde ja auch nicht zu Ihrem Image des eher braven, skandalfreien Mädchens passen? Genau – ohne Skandale durchzukommen ist ja auch die Kunst. Es wäre ja ganz leicht, kurz vor der Veröffentlichung eines neuen Albums ein Skandälchen loszutreten. Aber das wäre wie ein Triumph ohne Glanz. Ich habe immer nach dem Motto gelebt, dass es auch in dieser Branche möglich sein muss, ohne Skandal durch eigene Leistung und qualitativ hochwertige Produktionen Erfolg zu haben. Du musst nicht immer als Erster anschlagen – es reicht, im Halbfinale zu sein. Heute kann ich in den Spiegel schauen und stolz darauf sein, was ich in über 30 Jahren geleistet habe. Würden Sie heute noch einmal bei dem Eurovision Song Contest mitmachen? Nein. Ich kann mich ja nicht mehr verbessern. „Ein bisschen Frieden“ ist so unangreifbar. Dieses Lied steht fest wie ein Monument, da kommt kein anderes Lied ran, das hat so eine riesige Botschaft gehabt in einer Zeit, in der die Leute sich im Kalten Krieg nichts sehnlicher gewünscht haben als Frieden. Zumal an dem Abend, an dem ich damit den ESC gewonnen habe, auch noch der Falkland-Krieg ausbrach. „Ein bisschen Frieden“ ist ein Jahrhundertlied. Aber hätten Sie mit dem Lied heute noch eine Chance, so wie der Wettbewerb inzwischen daherkommt? Jeder hat eine Chance. Es kommt einfach darauf an, dass man zum richtigen Zeitpunkt das richtige Lied bringt. Kritisch ist aber die Zahl der Länder. Früher waren es 18, heute sind es über 40. Man hat die ganzen Länder des ehemaligen Ostblocks hinzubekommen, die sich gegenseitig die Punkte zuschustern. Das ist ein Faktor, den man gar nicht berechnen kann. Außerdem fehlen mir in dem Wettbewerb mittlerweile die Persönlichkeiten – es ist alles so uniform geworden, alle sind blond und haben kurze Röckchen, an und dann fliegen irgendwelche Tücher durch die Gegend, oder aus langen Kleidern werden plötzlich kurze. Es wird also sehr viel mehr Wert auf Show-Effekte gelegt als auf das, um was es eigentlich gehen sollte, also um ein Lied, einen guten Text, eine Performance, eine Botschaft, die einen erreicht. Ich kann mir Sie auch nicht mit Bart vorstellen? Nein – das geht gar nicht. Stimmt es, dass Sie damals Angst vor dem Sieg hatten? Ja, denn ich hatte natürlich gemerkt, was da in der Luft lag. Wenn die Putzfrau bei der Probe den Eimer zur Seite stellt und sich hinsetzt, um andächtig zu lauschen, dann ist das schon so ein erstes Zeichen. Dann sind die Wetten plötzlich nach oben geschossen. Es war regelrecht zu spüren, dass da etwas in der Luft lag. So war ich auf dem Weg zur Bühne wohl sehr in mich gekehrt und habe gedacht, wenn ich jetzt alles versaue, dann würde alles so bleiben, wie es ist, dann würde ich nicht mehr hin und her geschubst werden, ich könnte wieder normal in die Schule gehen, hätte meine Freunde, meine gewohnte Umgebung. Alles Vertraute, was mir so angenehm war, würde bleiben. Bei einem Sieg würde alles anders. Mein ganzes Leben würde sich ändern – und ob ich das wollte, wusste ich in dem Moment nicht. Ralph Siegel hat mir dann zugesprochen, und so waren die letzten Meter bis zur Bühne eine gedankliche Umkehr – du hast jetzt die verdammte Pflicht, für dein Land das Beste zu geben, und du wirst sie weghauen. Können Sie es vor diesem Hintergrund nachvollziehen, dass Andreas Kümmert so kurz vor dem Ziel, dem ESC-Finale, alles hingeschmissen hat? Ich weiß nicht, was in dem Mann vorging, ich kenne ihn ja nicht. Ich finde es nur schade, dass er damit einem anderen den Startplatz weggenommen hat. Er hat ja damit rechnen müssen, zu gewinnen – die Chance war eins zu acht. Singen Sie auf Ihrer aktuellen Tournee die Lieder von „Das ist mein Weg“ und das Beste Ihrer langen Karriere? Ja. Das läuft ja unter dem Titel „Jubiläumstournee“ – 35 Jahre sind es mittlerweile – und da hat sich doch einiges angesammelt. Ich habe dazu auch ganz tief in der Wundertüte gegriffen und wirklich die alten Hits herausgeholt. Und damit habe ich ja schon fast ein Luxusproblem, so viele sind es. Bei der Planung waren wir schon bei dreieinhalb Stunden Programm, so dass wir uns überlegen mussten, was wir weglassen. Im Konzert werde ich die Leute musikalisch an der Hand nehmen auf einer Reise beginnend mit „Flieg nicht zu hoch, mein kleiner Freund“ und natürlich endend mit „Ein bisschen Frieden“, denn die Leute würden mich von der Bühne prügeln, wenn ich das nicht singen würde. Mit Recht, denn das Lied ist untrennbar mit mir verbunden, und es wird auch seine Aktualität nie verlieren, was ich noch nie so stark empfunden habe wie in den letzten Monaten.

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