Zweibrücken Chansons und blanke Nerven

„Der Sieg eines Norbert Hofer wäre ein schreckliches Szenario gewesen“, sagt Dietmar Grieser: „Und zwar innen- wie außenpolitisch.“ Der 82-jährige Journalist und Autor, in Zweibrücken aufgewachsen, lebt seit 1957 in Wien. Schon am Montagnachmittag, noch vor Bekanntgabe des neuen österreichischen Bundespräsidenten, war er sich sicher, dass Alexander van der Bellen das Rennen machen würde. Weil man ihn im Dritten Wiener Bezirk seit Jahrzehnten gut kennt, muss Grieser im Wahllokal weder Ausweis noch Meldezettel vorzeigen. Drei Stunden nach seiner Prophezeiung brachte die Auszählung der Briefwahl das haarscharfe Ergebnis: Van der Bellen, Österreicher mit baltischen, russischen und holländischen Wurzeln, gewinnt gegen Norbert Hofer von der rechtspopulistischen FPÖ mit 50,3 gegen 49,7 Prozent der Stimmen. Ganz knapp ist man an einem rechten Oberbefehlshaber der austriakischen Truppen vorbeigeschrammt, denn diese Aufgabe hat der Bundespräsident inne. „Wenn Hofer gewonnen hätte“, meint Grieser, „hätte er das Land völlig gespalten. Auch die Außenwirkung wäre katastrophal gewesen.“ So sicher wie am Montagnachmittag war sich der Zweibrücker nicht immer: „Als ich am Sonntagvormittag in mein Wahllokal kam, war alles ruhig und leer. Ich hoffte, das bedeutet nichts Schlimmes.“ Am Sonntagabend, als beide Kandidaten noch gleichauf lagen, besuchte der Kunstfreund Grieser ganz entspannt ein Chanson-Konzert im Zweiten Bezirk. In seinem Freundeskreis sei für den ehemaligen Wirtschaftsprofessor Van der Bellen tüchtig „Mundpropaganda“ gemacht worden. Nicht zuletzt wegen des „erheblichen intellektuellen Unterschieds“ zwischen Van der Bellen und seinem Kontrahenten Hofer habe er, Grieser, ein klareres Ergebnis für den Professor erwartet. Während Dietmar Grieser zuversichtlich den französischen Chansons lauscht, stehe ich mit meiner Tochter, die in Wien Psychologie studiert, im Palais Auersperg: Hier feiert van der Bellens Team seine Wahlparty. In jedem der Prunksäle, mit Lüstern bestrahlt, informieren Großbildfernseher über den Stand der Präsidentenwahl. „Nein, Österreich darf nicht braun werden“, denke ich jedes Mal, wenn der blaue FPÖ-Balken zu wachsen droht. Ich bin gerade dabei, hier ein Bildungszentrum für Jugendliche einzurichten, habe hier meinen Lebensmittelpunkt und meine Freunde. Gegen 19 Uhr liegt van der Bellen knapp obenauf, um kurz darauf wieder in den Gleichstand zu rutschen. Die Tochter und ich tigern von einem Saal in den anderen, raus in den Garten und wieder zurück. Wir sind zu nervös, um uns zu setzen oder Sacherwürstel zu genießen. Ich staune, wie viel Prominenz sich unter van der Bellens Unterstützer gemischt hat. Gerade kommt Katharina Stemberger: Die Schauspielerin war nach der Moderation eines Konzerts für van der Bellen von der FPÖ angezeigt worden, weil sie mit Wiener Charme verkündet hatte, man solle „alles dafür tun, damit die Rechten nicht ans Ruder“ kämen – auch wenn dies „a ganz kleines bisserl kriminell“ sei. Die Schauspielerin spürt meinen Blick, ich hebe den Daumen. Wir lächeln uns zu. Später am Abend lerne ich Peter Pilz kennen: Er ist Nationalrats-Abgeordneter der Grünen. Wir stehen mit einer Schorle im Garten. Dort sitzen Frauen, Männer, ältere Menschen, Kinder, Gäste aus anderen Nationen, vereint auf dem Rasen. Ein Gutes habe die rechte Bedrohung gehabt, sagt Pilz: In Österreich sei man enger zusammengewachsen, „das ist schon wie eine Familie“. Jedoch werde nach einem Sieg van der Bellens die Arbeit erst anfangen. Es ist schon dunkel, als der Mann der Stunde kommt – unter brandendem Applaus. Der Kandidat lächelt, wirkt aber angespannt. „Danke für Ihre Unterstützung“, sagt er. So sehen Präsidenten aus, finde ich. Und ich werde am Montag um 17 Uhr nicht enttäuscht: van der Bellen ist Bundespräsident von Österreich. Noch zögern meine Tochter und ich mit dem Anstoßen, aber dann gibt Innenminister Wolfgang Sobotka im Radio das Wahlergebnis bekannt. Die schwere Anspannung fällt ab. Bis zu den nächsten Nationalratswahlen könne sich Österreich erst einmal „entspannt zurücklehnen“, ist sich Dietmar Grieser sicher, der Pfälzer mit österreichischem Pass: „Doktor van der Bellen mit seiner ruhigen und souveränen Art wird für ein friedliches Miteinander sorgen.“ Für sehr viel bedenklicher als einen Sieg Norbert Hofers hätte Grieser aber „ähnliche Ergebnisse der AfD in Deutschland“ gehalten: „Die sind noch viel radikaler und gefährlicher.“ (Foto: Steinmetz) Zur Person —Dietmar Grieser, Autor und Journalist, ist 1934 in Hannover geboren und in Zweibrücken aufgewachsen. Seit 1957 lebt und arbeitet er in Wien. Gerade ist sein neues Buch „Geliebtes Geschöpf“ im Amalthea-Verlag erschienen. —Die Lehrerin und Autorin Astrid Dornbrach, geboren in Pirmasens, gut 20 Jahre lang für die RHEINPFALZ tätig, lebt seit vier Jahren mit Tochter Viviane in Wien.

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