Zweibrücken Was den Untergang beschleunigt

Norman (links) und Wolfgang Ohler in der Himmelsbergkapelle. Foto: thof
Norman (links) und Wolfgang Ohler in der Himmelsbergkapelle.

Er wollte nach zwei Jahren Abstinenz wieder in seiner Geburtsstadt lesen. Da, wo er noch nie war: in der Himmelsbergkapelle. Er mochte sie, war gut gelaunt, las und erzählte ganz locker ohne Mikro: Norman Ohler, der Zweibrücker Bestseller-Autor des Hitler-Drogen-Sachbuchs „Der totale Rausch“.

Natürlich hätte Papa Ohler, auch Autor, seinen berühmten Sohn nicht vorzustellen brauchen, jeder kannte ihn. Aber zusammen auf der Bühne sieht man die beiden, die sich immer ähnlicher werden, je älter sie werden, und auch beide im grauen Hemd da saßen, doch recht selten. Wolfgang Ohler stellte Norman Ohler auf liebenswürdige Art vor, von der Schule bis heute und führte als Moderator durch den recht kurzen Abend: „,Der totale Rausch’ ist in 30 Sprachen erschienen, aber er erscheint ständig wieder, weil es ihn in neuen Übersetzungen gibt – weltweit. Deshalb haben wir die Veranstaltung auch genannt: Peking, Tokio und als Höhepunkt Zweibrücken“, scherzte Wolfgang Ohler. Die Zuhörer lachten.

Trotz des Marathons durch die ganze Welt mit dem „Rausch“, der vor vier Jahren herauskam, habe Norman noch Zeit gehabt, zwei weitere Bücher zu schreiben, den historischen Oder-Krimi „Die Gleichung des Lebens“ und sein neues Buch „Harro & Libertas - eine Liebe im Widerstand“, das erst bei der Frankfurter Buchmesse vorgestellt wird, informierte der Moderator.

Frage-Antwort-Spiel

Das neue Buch wurde denn auch nicht vorab präsentiert, die etwa 80 Zuhörer erlebten noch einmal den „totalen Rausch“ – erst im Gespräch der beiden Ohlers, dann durch das kurze Kapitel, das Norman Ohler vorlas und in dem Zweibrücken vorkam. „Hat man als Autor, die Möglichkeit, nein zu sagen, wenn einem das Cover der Ausgabe im Ausland nicht gefällt?“ fragt Wolfgang Ohler, nun im Part des Interviewers. Er hielt die kroatische Ausgabe hoch, die einen Hitler zeigt, der wie ein Waschmaschinenvertreter aussieht, so der Interviewer. Und die italienische, wo Hitler als Held auf dem Titel prangt. Und eine englischsprachige, wo er wie ein gestörter Psychiatrie-Patient abgebildet ist.

Cover von Douglas Gordon

„Ich finde das deutsche Cover am allerbesten“, antwortete Norman Ohler. “Das ist eine Pille, und in die Pille ist ein Hakenkreuz eingestanzt und wirft einen Schatten. Ein Freund von ihm habe es gestaltet, der weltbekannte britische Künstler Douglas Gordon, der in Berlin wohnt. Die Verlage in jedem Land wollten jedoch ein neues Cover, weil sie meinten, am besten zu wissen, was in ihrem Land funktioniert. Er habe in seinem Vertrag ein Vetorecht, was das Cover angehe. „Das Vetorecht habe ich ein paarmal in Anspruch genommen. Die Italiener zum Beispiel wollten zuerst Göring darauf haben, ein unglaublich abschreckendes Bild, das habe ich abgelehnt. Wenn es nicht ganz schrecklich ist, stimme ich dem Cover zu, ich will den ausländischen Verlagen auch nicht reinreden.“

Hitler-Fans in Indien

Wie das Publikum bei den Lesungen im Ausland das Buch aufnimmt, wollte Wolfgang Ohler auch wissen: „Erwartet man, von dem, der das Buch vorstellt, eine Art Aufklärung, Erklärung, vielleicht auch eine Art Schuld?“ „Mich interessiert auch immer, wie die Leute reagieren. In Indien gibt es viele Hitler-Fans, weil er der große Gegner von Großbritannien war, das Indien kolonialisiert hat. Bei der Lesung kamen all, die gegen die indische Regierung waren. Für die war es merkwürdig, Hitler als das große Drogenopfer dargestellt zu sehen. Da war es fast eine antifaschistische Veranstaltung.“

Subversive Lesung in China

In China wollten die Leute wissen, ob man das Vorwort des Buches auch auf China anwenden könne, so Norman Ohler. Als Vorworte hatte er einen Satz des Philosophen Jean-Paul Sartre gewählt: „Ein politisches System, das dem Untergang geweiht ist, tut instinktiv alles, was diesen Untergang beschleunigt.“ In China sei die Lesung eine subversive Veranstaltung gewesen. Der Verleger habe ihn vorher informiert, was er in der Öffentlichkeit nicht sagen dürfe. „Man darf nicht sagen, die chinesische Regierung ist total schlecht. Dass es eine Diktatur ist, darf man auch nicht sagen, man kann aber drumherum reden, so dass jeder versteht, was gemeint ist.“

Rotwein für Franzosen, Pervitin für Deutsche

In Mexiko wollten die Leute mehr wissen über den Krieg gegen Drogen, ob der in der Nazizeit schon angefangen hat. In Frankreich wollten alle wissen, wieso im Frühling 1940 die Wehrmacht die etwa gleich starke französische Armee überrennen konnte. Während die Deutschen die Aufputschdroge Pervitin nahmen, bekam jeder französische Soldat ein Dreiviertelliter Rotwein pro Tag, was die Moral hob, aber nicht den Kampfgeist und sie selig schlummerten, als die Deutschen nachts einrückten, informierte Norman Ohler.

Friedfertige Zweibrücker Landser

Dass auch Zweibrücken in einem Dornröschenschlaf lag, erfuhr man, als Norman Ohler aus seinem Buch vorlas: „Als Ranke (Oberstabsarzt Otto F. Ranke) im Oktober 1939 die barocke Kleinstadt Zweibrücken in der Pfalz besuchte, nahe der Grenze zu Lothringen gelesen, ragten zwar Panzersperren in den Himmel, doch die meiste Zeit spielten die Landser Skat, Schafs- und Doppelkopf, rauchten gemäß ihrer Zuteilung Zigaretten – sieben Stück am Tag–, kickten Fußball, halfen bei der Kartoffelernte und lullten durch ihre Friedfertigkeit die nur wenige Kilometer entfernt liegenden Franzosen geradezu ein. Doch das hieß nicht, das die Deutschen nicht jederzeit darauf vorbereitet waren, in einen anderen Modus zu wechseln. In der Hosentasche hielten sie nämlich das Wachhaltemittel stets griffbereit“.

Er selbst habe Pervitin, heute bekannt als Crystal Meth, nie probiert, sagte Norman Ohler, aber im Publikum konnten sich noch einige Zuhörer daran erinnern, dass es die damals nicht mal verschreibungspflichtigen Pillen in der Familie gab oder zumindest bekannt waren. Und so wurde die Diskussion in der Himmelbergskapelle lebhafter als die vor vier Jahren, als er erstmals in Zweibrücken aus seinem Buch las.

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