Zweibrücken „Mit 90 beim Windsurfen auf Hawaii sterben“

„Wir sehen uns als Spezialisten für Lebensqualität“, sagt Sven Gottschling.
»Wir sehen uns als Spezialisten für Lebensqualität«, sagt Sven Gottschling.

Sven Gottschling leitet das Zentrum für Palliativmedizin und Kinderschmerztherapie am Universitätsklinikum in Homburg. Sein Buch über das Sterben „Leben bis zuletzt“ führt derzeit die Bestsellerlisten an. Der Professor kommt am heutigen Dienstag um 15 Uhr zu einer Autorenlesung ins Wattweiler Sportheim. Unsere Mitarbeiterin Barbara Sittinger hat vorab mit ihm gesprochen.

Herr Gottschling, wie wollen Sie einmal sterben?

Mit einem seligen Lächeln im Gesicht und dem guten Gefühl, sowohl mein Erbgut breit gestreut zu haben als auch vielleicht dem ein oder anderen Menschen im Rahmen meiner beruflichen Profession hilfreich gewesen zu sein; am liebsten quietschgesund im Alter von 90 Jahren beim Windsurfen auf Hawaii, von einer 20 Meter hohen Welle an die Klippen gebatscht zu werden – das wäre zumindest stilvoll. Was ist für Sie ein gutes Lebensende? Was kann der Sterbende, was können die Angehörigen dafür tun? Ein gutes Lebensende kann natürlich jeder Mensch nur für sich selbst definieren. Ich denke, was unbedingt dazu gehört, ist ein höchstmögliches Maß an Kontrolle körperlicher Beschwerden (Schmerz, Luftnot und Übelkeit), das Gefühl von geborgen sein, Zuwendung erfahren und einfach auch das sichere Gefühl zu haben, man ist nicht alleine und wird bestmöglich ver- und umsorgt. Neben einer wirklich exzellenten medizinisch pflegerischen Begleitung gehört hierzu für mich ein hohes Maß an Offenheit und Wahrhaftigkeit. Ich denke, wenn es gelingt, offen über das Sterben zu reden, verliert es auch ein Stück weit seinen Schrecken. Stirbt ein alter Mensch, findet man sich irgendwie damit ab. Doch wie geht man mit dem Tod von Kindern und Jugendlichen um? Es ist in der Tat so, dass jedes Sterben und jeder Tod immer eine Zäsur bedeutet. Das Sterben von Kindern und Jugendlichen fühlt sich jedoch darüber hinaus noch absolut falsch an, weil es sich hier um Menschen handelt, die einfach noch nicht dran sind. Auf die Frage nach dem Warum wird man jedoch keine Antwort bekommen, und ich glaube, dass es total wichtig ist, auch mit dieser Wut und Verzweiflung der Betroffenen, aber auch der Angehörigen, insbesondere der Eltern, ganz offen umzugehen. Oft gibt es hier keinen echten Trost. Schon Herbert Grönemeyer hat in einer Liedzeile besungen, dass das Leben nicht fair ist. Ich glaube, unsere größte Aufgabe als Profis ist, dieses unendliche Leid, die Wut und Verzweiflung einfach mit auszuhalten und den Familien zu vermitteln, dass man nicht weglaufen wird, auch als Profi, egal wie schlimm die Situation ist. Was genau macht der Palliativmediziner? Wir sehen uns als Spezialisten für Lebensqualität, das heißt, wir kümmern uns um körperliche Beschwerden wie Schmerzen, Luftnot, Ängste, Übelkeit und vieles mehr. Wir sind aber auch Familienmediziner, das heißt, wir kümmern uns um die Sorgen und Bedürfnisse der Angehörigen gleichermaßen. Es geht um eine vorausschauende Versorgungsplanung am und für das Lebensende, um eine Netzwerkknüpfung für eine bestmögliche Versorgung von sterbenskranken Menschen an dem von ihnen gewünschten Ort. Und mir ist persönlich ganz wichtig, dass es keine Medizin am Lebensende ist, sondern für das Lebensende. Und dazu sollten wir möglichst frühzeitig Kontakt mit lebensbegrenzend erkrankten Menschen bekommen, um eine Beziehung aufbauen zu können. Die ganz klare Botschaft: Wir versorgen nicht Sterbende, sondern wir versorgen Lebende, die bald sterben werden. Ersetzen Drogen wie Morphium und Cannabis den Seelsorger, der Trost spendete, den Sterbenden aufbaute? Ganz klares Nein! Medikamente wie Morphium oder auch Cannabis können helfen, gravierende körperliche Beschwerden zu lindern oder auch zum Teil Ängste ein klein wenig zu minimieren. Mir ist ganz wesentlich, dass wir diese Medikamente nicht einsetzen, um das Bewusstsein zu dämpfen und die Kommunikationsfähigkeit einzuschränken, sondern dass wir diese Medikamente ganz behutsam so dosieren, dass Menschen noch klar im Kopf bleiben. Der Seelsorger, der Psychologe, der Arzt und die Krankenschwester sind weiterhin die elementaren Säulen neben vielen anderen Professionen, um Trost zu spenden und zu unterstützen. Das kann kein Medikament auf diesem Planeten leisten. Warum haben Sie sich ausgerechnet diesen Bereich der Medizin ausgesucht? Wie kommen Sie mit dem täglichen Tod zurecht? Ich denke, dass sterbenskranke Menschen in besonderem Maße medizinische und menschliche Zuwendung benötigen, und ich habe für mich festgestellt, dass ich das ganz gut kann und dass ich vielen Menschen auch über einen langen Zeitraum – ich mache das mittlerweile schon fast 20 Jahre – helfen kann, ohne selbst an den vielen zum Teil extrem leidvollen Schicksalen zu zerbrechen. Wie kann das gelingen? Indem man täglich spürt, dass das, was man einbringt, und mehr von den Patienten und Angehörigen wieder zurückkommt. Das heißt, es ist das gute Gefühl, einen schwerst schmerzgeplagten Menschen wieder lächeln zu sehen, weil die Schmerzen unter Kontrolle sind, einer Familie die Sicherheit zu geben, dass sie die Begleitung bis zum Tod eines Kindes hinbekommen. Und so gibt es in meiner Arbeit, und das mag etwas merkwürdig klingen, viel mehr schöne und sehr besondere Momente als Belastendes, so dass ich jeden Tag das Gefühl habe, eher gestärkt als ausgelaugt von der Arbeit wieder nach Hause zu kommen. Darüber hinaus bin ich, glaube ich, eine absolute Frohnatur, habe selbst ein gutes und stabiles soziales Netz, bin gut zu mir selbst und habe ein wunderbares Team, in dem wir uns auch gegenseitig stützen und in schweren Momenten wieder aufbauen.

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