Zweibrücken „Ich höre zu, was er sagt, und bin ganz verzückt“

„Als wir angefangen haben zu spielen, dachte ich, das klingt ganz gut. Als dann die ersten Anweisungen kamen, dachte man, da lie
»Als wir angefangen haben zu spielen, dachte ich, das klingt ganz gut. Als dann die ersten Anweisungen kamen, dachte man, da liegen Welten dazwischen«, erzählt Walter Rimbrecht – hier mit seiner Frau Maria vor der Philharmonie in Berlin am Sonntag, dem Tag der Generalprobe.

Walter Rimbrecht, der 66-jährige Zweibrücker Hobbymusiker, der im Zweibrücker Kammerorchester Trompete spielt, wurde ausgewählt, als einer von zwei Trompetern im Orchester Be Phil (ausgesprochen: Bi fill) unter Simon Rattle zu spielen (wir berichteten am 17. Februar).

Anfang Januar rief Rattle weltweit Amateurmusiker auf, sich für das Be Phil zu bewerben, das gestern, am Pfingstmontag, ein Konzert in der Berliner Philharmonie gab. Das sah Anita Biedermann, die in Brandenburg lebende 71-jährige Schwester, und sie machte den Bruder darauf aufmerksam. Er bewarb sich mit einem Video – und wurde genommen. Aufgeführt wurde das erste Sinfoniekonzert von Johannes Brahms c-Moll op. 68. Es war eins von über 40 kostenlosen Konzerten beim gestrigen Tag der offenen Tür der Berliner Philharmonie. Aber eins der wichtigsten. Es wurde per Videowand nach draußen übertragen, war live im Internet zu hören und kann auf der Webseite der Berliner Philharmoniker unter digitalconcerthall.com heruntergeladen werden. Vorgestern, nach der Generalprobe, sprach unsere Redakteurin Andrea Dittgen in Berlin mit Rimbrecht, der sie eingeladen hatte, mit seiner kleinen Delegation (Ehefrau Maria, die Schwester und vier Bekannte) bei der nichtöffentlichen Generalprobe dazu zu sein. Lieben Sie Brahms? Ja sehr. Haben Sie Brahms schon bei einem öffentlichen Konzert gespielt? Nein. Wie haben Sie sich vorbereitet? Ich habe mir die Sinfonie aus der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker runtergeladen, angeschaut und die Partitur studiert. Sie haben zu Hause geübt? Jeden Tag zwei, drei Stunden? So viel Zeit habe ich nicht, aber regelmäßig mehr als eine Stunde. Wir haben seit Donnerstag jeden Tag hier in Berlin geprobt, mindestens vier Stunden. Durch die Dirigenten ist einiges erst richtig klar geworden. Nach den Anweisungen des Dirigenten hat es ganz anders geklungen. Waren die anderen Proben auch mit Simon Rattle? Die letzte war schon mit Simon Rattle. Die Proben davor hat der Geiger Stanley Dodds geleitet. Es gab Satzproben – nur die Bläser, die hat der Klarinettist Michael Hasel geleitet. Am ersten Tag haben wir mit zwei Stunden angefangen, Bläser und Streicher getrennt. Dann gab es eine kurze Pause, da konnte man gerade einen Kaffee trinken, dann kam schon tutti, von 15 bis 18 Uhr. Das war der erste Tag. Als wir angefangen haben zu spielen, dachte ich, das klingt ganz gut. Als dann die ersten Anweisungen kamen, dachte man, da liegen Welten dazwischen. Da geht es um Phrasierungen, es reicht ja nicht aus, wenn man den Ton richtig intonier. Es gibt Akkorde und Bewegungen, da muss man den Ton vielleicht etwas höher spielen als normal. Oder vielleicht etwas tiefer. Da braucht man Zeit, um das herauszufinden. Das kann man nicht einfach vom Blatt spielen. Wenn man vom Blatt spielt, spielt man möglichst rein, aber nicht so wie es sein muss. Wie hat es Ihre Schwester geschafft, Sie zu überreden, sich zu bewerben? Sie musste mich nicht überreden. Sie hat gesagt, ich soll mich bewerben. Ich sagte: Das ist vielleicht eine Nummer zu hoch. Da meinte sie: „Mach doch!“ Ich hatte nicht viel Mühe für die Bewerbung, ich trug meinen Werdegang ein und hatte noch Aufnahmen aus einer Probe mit Gerhard Jentschke in der Heilig-Kreuz-Kirche, wo ich das Haydn-Konzert und das Hummel-Konzert gespielt habe. Das habe ich hochgeladen. Und dann bin ich zu meiner Überraschung schon beim ersten Durchgang angenommen worden. Die Mail kam im Februar. Da habe ich sofort ein Zimmer gebucht und die Bahn. Es ist eine Art Liebhaberorchester, das Rattle zusammengestellt hat … Für Rattle ist es so. Aber alle außer mir haben Musik studiert, manche auch mit Master. Es sind Jüngere dabei, die haben den Bachelor und bereiten sich auf den Master vor und benutzen dieses Orchester als Sprungbrett. Bei den Älteren ist es so, dass sie auch Musik studiert und dann etwas anderes gemacht haben. Ich hatte Unterricht beim Solotrompeter am Freiburger Theater, der auch Professor an der Musikhochschule war. Aber ich habe schnell gemerkt, dass das ein Wahnsinnsstress ist und dass es nicht viele Stellen gibt – und dann habe ich eben VWL und BWL studiert, das war mir etwas krisensicherer. Aber Sie haben nie aufgehört zu spielen? Das ist richtig. Selbst wenn ich keine Zeit hatte, habe ich wenigstens ein bisschen geübt, um den Stand zu halten. Als ich noch Unterricht hatte, hatte ich jeden Tag zwei bis drei Stunden geübt. Das ist lange her, etwa 40 Jahre. Sie kommen aus einer musikalischen Familie? Ja. Mein Bruder ist Musikschulleiter, mein Schwager ist Musikschulleiter. Und ich habe einen Neffen, der ist stellvertretender Solo-Hornist beim Beethoven-Orchester in Bonn, die Nichte ist Solo-Klarinettistin in Bochum. Beide haben bei den Berliner Philharmonikern die Ausbildung gemacht. Das sind die Kinder meiner jüngeren Schwester. Unsere Kinder haben auch ein Instrument gelernt. Was macht Simon Rattle bei den Proben anders als Bernd Wilms, der Leiter des Zweibrücker Kammerorchesters? Er spricht Englisch… Ja. Beide haben die Fähigkeit, durch plastische Bilder das auszudrücken, was sie hören wollen. Aber die Wertschätzung und die Aura sind bei Simon Rattle etwas größer. Das wäre auch schlimm, wenn es anders wäre. Es ist schon ein einmaliges Erlebnis, ihn zu erleben. Man muss aufpassen, ich höre zu, was er sagt, und bin ganz verzückt, aber ich muss auch an meinen Einsatz denken. Was denken Sie, wenn Simon Rattle bei der Probe Sätze sagt wie: „Das war perfekt. Aber es geht noch besser!“? Dann denke ich, das ist etwas, was jeder Lehrer auch machen müsste. Womit hat er Sie heute überrascht? Er hat Herbert von Karajan zitiert, was das Besondere an den Berliner Philharmonikern sei. Der hat gesagt: Nicht der Ton-Anfang, sondern das Ton-Ende ist wichtig. Dass der Ton nicht einfach endet, er muss im Raum schweben und verklingen. Dass die Instrumente nicht grell klingen dürfen, sondern weich. Man kann viel von Simon Rattle lernen. Haben Sie Kontakt zu den anderen Musikern? Zu der Trompeterin neben Ihnen… Die Trompeterin neben mir, Antonia Kapelari, kommt aus Österreich, hat in Wien Trompete studiert. Man hat schon viel Kontakt. Die Leute, die hier sind, sind etwas Besonderes. Sie sind alle extrem kommunikativ, nett und natürlich alle sehr froh, dass sie angenommen wurden. Die Stimmung hier ist ganz toll, man freut sich miteinander. Es sind über 20 Länder vertreten, alle Erdteile außer der Antarktis. Als ich ankam habe ich einen Koreaner mit Geigenkoffer getroffen, der sagte mir, er war acht Tage unterwegs. Für Simon Rattle wäre er auch um die Welt gereist. Es sind aber nicht allzu viele aus Deutschland dabei. Zwischendurch wollte er, dass man spielt wie ein Maschinengewehr? Ja, das ist eher für die Streicher, dass die den Rhythmus halten. Die Bläser sind im Allgemeinen auch erfahrener, was das Zusammenspiel angeht. Die Streicher spielen in einem kammermusikalischen Ensemble mit zwei, drei oder vieren, aber nicht im großen Ensemble. Die Bläser, die besonders viel zu tun hatten, das sind alles erfahrene Musiker. Wollen Sie sich nicht in einem Orchester bewerben, jetzt sind Sie wieder frei? Den Witz hat mein Neffe auch gemacht: Die Berliner Philharmoniker haben eine freie Trompeterstelle, ich könne mich doch bewerben. Haben Sie Lust bekommen, mehr in Orchestern zu spielen? Ich habe ein Angebot gekommen, in Zweibrücken in einem Schlaraffenorchester zu spielen. Werner von Blon, der frühere OB, hat einen Club, in dem man sich trifft und Reden schwingt und kalte Getränke zu sich nimmt, die haben auch ein Orchester. Jetzt, da Sie pensioniert sind, haben Sie im Prinzip mehr Zeit für die Musik. Aber ich habe gehört, Sie sind mehr Imker als Musiker… Das kann man so nicht sagen. Die Musik ist schon wichtiger. Es ist auch in der Musik viel schöner als im Stadtrat. Wer ist Ihr Lieblingskomponist? Früher war es Beethoven, aber seit ich mich jetzt mit Brahms beschäftigt habe, muss ich sagen: Der gefällt mir noch besser. Weil er noch feinere Nuancen hat und ganz toll die Instrumente miteinander verbindet. In dieser Sinfonie merken die wenigsten, dass die Trompeten überhaupt etwas zu spielen haben. Weil andere die Führung haben. Da muss als Trompeter eher im Hintergrund den Klang vervollständigen. Sie sind einer der Ältesten im Orchester? Ich bin nicht der Älteste, ein Geiger ist knapp über 70. Es ist schön, dass man das in meinem Alter noch kann. Das ist nicht selbstverständlich, die gehen früher in Pension. Das ist sehr anstrengend. Wenn man einen richtig hohen Ton spielt, ist der Luftdruck wie im Autoreifen. Dann braucht nicht nur tägliches Training, man muss das körperlich aushalten. Wie halten Sie sich fit? Ich habe ein Rudergerät. Das stärkt die Muskulatur im Schulterbereich, was wichtig ist für die Atemtechnik. Gehen Sie abends in Berlin auch in Konzerte? Ja. Am ersten Abend hat das Rundfunksinfonieorchester gespielt, am zweiten Abend war ich kaputt, am dritten Abend waren wir beim Konzert der Philharmoniker, am Samstagabend waren wir mit dem Freundeskreis, der mitgereist ist, im Friedrichstadtpalast bei der Show „The One“. Heute Abend wird gechillt. Morgen ist Abschlussabend, wenn wir uns mit den Musikern treffen, wird Abschied gefeiert. Ich denke, dass man in Kontakt bleibt. Eine Geigerin war schon mal in Zweibrücken, sie wohnt in Dresden, und war mit der Deutschen Streicherphilharmonie in der Festhalle. Wenn Simon Rattle noch einmal ruft, melden Sie sich wieder? Selbstverständlich!

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