Zweibrücken „Emotional und wahnsinnig durchdacht“

Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald leitet den evangelischen Oratorienchor der Pfalz, der am Samstag in der Zweibrücker
Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald leitet den evangelischen Oratorienchor der Pfalz, der am Samstag in der Zweibrücker Alexanderskirche zwei 40-minütige Werke des 73-jährigen britischen Komponisten John Rutter singt.

Zwei Werke von John Rutter, das „Requiem“ und „The Gift of Life“, stellen der Evangelische Oratorienchor der Pfalz und die Kammerphilharmonie Karlsruhe am übermorgen, Samstag, 17 Uhr, in der Zweibrücker Alexanderskirche vor. Warum Rutter? Warum fliegen fast alle Chöre seit ein paar Jahren ausgerechnet auf diesen zeitgenössischen britischen Komponisten? Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald, der die beiden Rutter-Werke aussuchte und den Oratorienchor auch leitet, weiß es.

Herr Steuerwald, warum führen jetzt so viele Chöre Werke von John Rutter auf? Ist er durch seinen 70. Geburtstag 2015 verstärkt in den Fokus der Wahrnehmung gerückt?

Den 70. Geburtstag hatten wir nicht so im Blick, als wir die Werke ausgesucht haben. Rutters Musik hat einfach eine ungeheure Qualität: Sie ist handwerklich perfekt gemacht und hat immer den Hörer im Blick. Es ist eine niederschwellige Musik, die aber niemals platt ist. Was sind für Sie handwerkliche Qualitätskriterien, die Rutters Musik auszeichnen? Komponieren heißt eine Idee entwickeln und die dann auch ausarbeiten. Ideen entwickeln ist etwas sehr Individuelles. Und da hat Rutter ein Händchen für die spannende Gratwanderung zwischen Vorhersehbarkeit und Überraschung. Wenn man seine Melodien hört, denkt man spontan: Das kenne ich doch. Dann aber geht es ganz anders weiter als erwartet. Klangsinn und Akribie, Instrumentation, Tonsatz, Klangfarbe – wie man die Musik in ein Gewand bringt, das beherrscht Rutter perfekt. Seine Musik ist sehr farbenreich und plastisch. Das „Requiem“ ist im Orchester sehr differenziert besetzt, wie ein volles Orchester, es hat nur nicht so viele Bläser. Sogar in der Kammerversion, in der nur die Orgel und einige Instrumente für bestimmte Farben vorgesehen sind, ist die Instrumentation so gekonnt eingesetzt, zaubert so unglaublich viele Farben. Und wie ist das bei „The Gift of Life“? Das ist für ein volles romantisches Sinfonieorchester geschrieben. Es hat acht Holzbläser und nicht nur zwei, sondern vier Hörner, so dass man den Hornklang auch akkordisch führen kann. Die Sachen von Rutter sprechen emotional an. Diese Musik ist wahnsinnig durchdacht, aber nicht verkopft. Das hat das „Requiem“ wohl zu einem Klassiker gemacht, es wird landauf und landab gespielt. „The Gift of Life“ dagegen ist noch relativ neu. Warum bringen Sie die beiden Rutter-Stücke zusammen in einem Konzert? Diese Kombination geht auf Rutter selbst zurück. Wir wollten das Programm sogar „Vom Werden und Vergehen“ nennen, aber wir spielen die Werke ja in der umgekehrten Reihenfolge. Die Verbindung der Stücke zeigt zwei Facetten des Lebens. Da wird deutlich: Die Vergänglichkeit ist in der Welt, es gibt immer Sorgen und Probleme. Wir können sie tabuisieren, aber wir können sie nicht beseitigen. Aber was wir um uns herum haben und erleben, dieses Geschenk, das wird oft als selbstverständlich betrachtet und deshalb übersehen. Davon handelt „The Gift of Life“. Rutter bezeichnet das Werk als „a celebration of the living earth, of creation and of life itself“, ein Feiern der lebendigen Erde, der Schöpfung und des Lebens selbst. Das tröstet nicht nur, das baut auf und macht glücklich. Da gibt die Musik eine Möglichkeit, Tabus aufzubrechen. Tabus zur Sprache zu bringen, das ist eine gesellschaftliche Aufgabe der Musik. Außerdem ist uns nicht bekannt, dass „The Gift of Life“ in unserem Raum schon mal aufgeführt worden wäre. Ich habe beim Googeln jedenfalls keine Aufführung finden können. „The Gift of Life“ ist 2015 erschienen, als Rutter seinen 70. Geburtstag feierte. Wollte er damit ein Zeichen setzen, an der Reifeschwelle des Lebens? Bestimmt. Das Werk ist zwar eine Auftragsarbeit aus den USA, aber er setzt damit auch ein Zeichen: Es geht weiter. Er hat nicht nur Texte aus dem anglikanischen „Book of Common Prayer“ und der Bibel vertont, sondern auch Texte dazu gedichtet. Die handeln von Trost, aber auch von der Freude, die die Schönheiten der Natur schenken. So will er seinen Glauben mitteilen. Rutters Musik ist eine Musik, die unglaublich nah ist. Sie führen das Konzert am Sonntag in Speyer nochmals auf. Warum spielen Sie eigentlich immer zwei Konzerte? Der Evangelische Oratorienchor der Pfalz ist schon in seinem Auftrag und im Einzugsgebiet seiner Mitglieder überregional aufgestellt. Das könnten wir mit nur einer Aufführung nur unvollkommen abbilden. Hat das nicht auch finanzielle Hintergründe? Bei so einem großen Konzert muss der Veranstalter selbst bei gutem Besuch zuschießen. Durch eine weitere Aufführung reduziert sich der Zuschuss natürlich. Aber die Evangelische Kirche der Pfalz unterstützt diese Konzerte guten Gewissens und vollen Herzens. Warum haben Sie den Chor umbenannt von Pfälzische Singgemeinde in Evangelischer Oratorienchor der Pfalz? Der frühere Name war immer wieder erklärungsbedürftig. Wenn man das Wort Gemeinde hört, denken viele Leute spontan an politisch-kommunale Körperschaften. Singgemeinde, was ist denn das? Der Name wirkte irgendwie hausbacken und löste oft Befremden aus. Pfälzisch steht für die Alltagskultur, und wir singen eben keine Volkslieder. Und warum Oratorienchor? Sie singen ja auch andere Werke. Wir sind ein großer Chor und verstehen Oratorien als Aufführungen mit Orchester und Vokalsolisten. Wir dachten dabei allerdings weniger an Barockoratorien, sondern an alles, was ein großer Chor von der Wiener Klassik bis heute machen kann. | Interview: Konstanze Führlbeck

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