Zweibrücken Eine Dorfoper in 214 Akten

Der Erzähler Andreas (Tobias Saatze) und sein Doppelgänger.
Der Erzähler Andreas (Tobias Saatze) und sein Doppelgänger.

Der Bus an der Alten Feuerwehr in Niederwürzbach mit den weiß verklebten Scheiben ist gut besucht, die Passagiere haben weiß umränderte Brillen aufgesetzt, eine Hostess erklärt die Regeln. Die Reise mit der Firma Xi-Zen Technologies aus dem Jahr 2068 zurück ins Jahr 2018 kann beginnen. Die Busexkursion ist der Abschluss des Projekts „Vereint Euch“, einer „Dorfoper in 214 Akten“, die das Leben der Vereine und die Kultur im ländlichen Raum im Auftrag der Kulturstiftung des Bundes untersucht.

Leiter des Projekts ist der holländische Wissenschaftler Ton Matton, zurzeit Gastprofessor für Raum und Designstrategie an der Kunstuniversität Linz (Österreich). „Im Bliesgau gibt es 214 Vereine. Das ist die höchste Vereinsdichte in Deutschland, 15-mal mehr als in Berlin,“ stellt Matton fest. Dabei gilt das Hauptaugenmerk seines Projekts der Frage, wie sich die Vereine weiter entwickeln sollen. „Wir wollen mit den Menschen ins Gespräch kommen. Die Frage der Zukunft müssen die Leute selber weiterdenken.“ Mit der Busexkursion bedienen sich Matton und sein Künstlerteam eines alten literarischen Stilmittels, des sogenannten fremden Blicks. Die Illusion entsteht bereits vor dem Start der Tour, Lautsprecherdurchsagen simulieren eine Aufführungssituation. „Das Vereinsfest ist die Oper. Und wir spielen jetzt das Backstage der Oper,“ meint Matton lächelnd. Die Bustour startet. Aus einem Lautsprecher dringt eine angenehme Frauenstimme, sie begrüßt die Gäste und übernimmt die virtuelle Reiseleitung. Während der Fahrt zu den ausgewählten Relikten der Vergangenheit erläutert sie in einer fiktiven wissenschaftlichen Fachsprache das Leben der Menschen im Jahr 2018, also vor 50 Jahren. Habitate gab es da in der Region HRQ77f – ehemals Bliesgau –, durch die die Tour führt, unterteilt in Ein- und Mehrfamilienhäuser. Und die Menschen waren zu Beginn des 21. Jahrhunderts Carnivore (Fleischfresser). Eine Kostprobe der damals üblichen Nahrungsmittel erhalten die Teilnehmer der Exkursion säuberlich verpackt in einem kleinen „Menüstreifen. Die Menschen des Jahres 2018 hatten eigenartige Gebräuche: Sie tauschten ihre Arbeitskraft gegen Geld, um Habitate zu erlangen und lebten in Sozialstrukturen wie Familie oder Verein, die Zugehörigkeit, Geborgenheit und Identität boten. Dann kommt der erste Stop. Das zu besichtigende Relikt ist ein Steingarten vor einem Reihenhaus, zu dem Schauspielerin Larissa Meyer als Fremdenführerin informiert. Mehr Pep hat die zweite Station: der Auftritt des Rappers Manu Meta ist der Höhepunkt eines Dorffestes, der sogenannten Wecklinger Kerb. Die Live-Situation führt auch zu authentischen Zwischenfällen: Durchfahrende Autos können zwischen der Besuchergruppe nur Schritt fahren. Die Einheimischen nehmen es nach kurzer Irritation mit Humor. Bei der dritten Station der Reise in die Vergangenheit trifft die Besuchergruppe den Rezitator Andreas vom Geranien-Bananen Verein und seinen Doppelgänger auf einer Wiese, er liest aus einem Theaterstück. Die Rückkehr von der Zeitreise, zu den Klängen des Schlagers „Mein Dorf, mein Lebenselixier, wo wir leben im Verein“, ist ein Festakt, feierlich werden die Reisenden empfangen und gehen über einen grünen Teppich zum Vereinshaus, vor dem bereits ein Vereinsorchester unter Leitung von Daniel Peters mit mehreren Solisten wartet. Die originelle Zeitreise begeistert die Teilnehmer beid er Busfahrt. „Wir sind alle Ureinwohner“, lacht Judith Enders. „Ich bin in Niederwürzbach auf die Welt gekommen, 1965, und lebe seitdem hier.“ Gefallen hat ihr die Bustour gut. „Es war, wie soll ich sagen, etwas überraschend. Mit so einer Zeitreise habe ich nicht gerechnet. Aber das war schon chlor.“ Vor allem die Station mit dem Rapper findet sie ansprechend. „Das hat aufgelockert, das andere war ein bisschen steif und trocken. Aber das Essen, das war schon originell. Das so zu rekonstruieren, mit Salzgeschmack und Kaugummi, in einem Zeitalter, in dem man sich nur noch von Pillen ernährt!“

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