Speyer Zeitreise ins Hier und Jetzt

Protestation, Reichstag und Speyers Geschichte sind keine alten Hüte: Das beweist das Interesse. 30 Frauen, Männer und Kinder bildeten am schwülwarmen Freitagabend das Gefolge, das beim Theaterspaziergang hinter dem Protokollarius des Kaisers und dem lutherischen Bruder Michael durch die Stadt zog.
„Zwischen altem und neuem Glauben: Die Speyerer Protestation zu 1529“ heißt die neue szenische Stadtführung, die auf den Spuren der Reformation beim berühmten Speyerer Reichstag wandelt und noch bis Oktober im Programm der Stadt steht. Pünktlich geht’s los, keine Minute wird verschenkt. Mit Glockenschlag 18 Uhr begrüßt Ralph Gölzer an der Tourist-Info die Zuschauer oder wie er sagt, „die Pfälzer und Badenser“. Er mimt den strengen Protokollarius – eine Rolle, in die er schon mehrfach beim Historienstück „Verraten und verkauft“ der Dreifaltigkeitskirchengemeinde geschlüpft war. Der evangelische Pfarrer in Neuhofen und Ehemann von Pfarrerin Christine Gölzer von der Dreifaltigkeitsgemeinde hat das Historienspiel geschrieben. Inszeniert hat es Matthias Folz, Leiter des Kinder- und Jugendtheaters Speyer. Beim Theaterspaziergang gibt Folz den Gegenpart zum Kaiser-Anhänger. Er tritt als Bruder Michael auf, „einer der ersten Pfaffen in Speyer, der mit den Thesen Luthers liebäugelt“. Mit donnernder Stimme, die keinen Widerspruch duldet, verkündet der Protokollarius vor der Alten Münze, was die Wirte den Reichstagsbesuchern auftischen sollten, zu welchem Preis und wie der Brandschutz in Speyer sichergestellt werden sollte. Stolz liest der Vertreter der Obrigkeit aus „seiner“ Feuerschutzverordnung vor. Die gab es so wirklich, „jedes Wort“ versichert Gölzer, der die historischen Fakten zum Reichstag recherchierte. Dieser Reichstag sollte mit dem lutherischen „Spuk“ Schluss machen und wieder klare Verhältnisse herstellen. Der Kaiser selbst kam nicht und schickte stattdessen seinen Bruder Ferdinand, über dessen Verhalten Bruder Michael und der Protokollarius ausgiebig vor der versammelten Gruppe streiten – zuerst an der Pilger-Figur, dann an der nächsten Station, dem Heidentürmchen. Hier kommt Bruder Michael mehr und mehr in Fahrt, pocht auf die Heilige Schrift, während der Protokollarius sich Kritik verbittet und Gehorsam gegenüber dem Kaiser fordert. „Was ist denn eine Proposition?“, fragt ein Teilnehmer nach einem Begriff, den die Zeitreisenden gerade ins Spiel gebracht haben. Gölzer bleibt in der Rolle und hat die Antwort parat: Agenda würde man heute sagen, „das, was man verhandeln solle auf dem Reichstag“, erklärt er – natürlich lautstark. Die Proposition des Kaisers hat Ferdinand gefälscht, wogegen die Lutherischen vorgehen wollten und ein Protestschreiben verfassten. Nach einem längeren Weg stehen die Teilnehmer in der Retscherruine, wo sich das Blatt langsam wendet. Der Reichstagsbeschluss ist mehrheitlich gefasst mit Brief und Siegel, frohlockt der namenlose Protokollarius. Gleichzeitig beginnt er in Frage zu stellen, ob König Ferdinands rigoroses Vorgehen wirklich so klug war. Hätte er vielleicht doch besser die Protestatio der Lutherischen lesen sollen? Nach einem Zwischenstopp am Altpörtel wandern alle zur Gedächtniskirche. Dort kommen auch die beiden Zeitreisenden im Hier und Jetzt an. Sie fragen Luther, wie man heute – 500 Jahre nach seinem Thesenanschlag – in der Bibel lesen soll. Das Denkmal schweigt sich aus. Die Antwort finden der katholische Protokollarius und der evangelische Michael selbst und geben gute Ratschläge.