Speyer Wochenchronik:
Was sollte und wollte man nicht noch alles tun vor Weihnachten! Ja, auch zum Schreiben müsste ein bisschen Zeit bleiben. Vom Brief ans Christkind über die Grußkarte zum Fest bis hin zur „Wochenchronik“. Dass bei der ehrwürdigen Deutschen Rentenversicherung (DRV), die gestern in Speyer ihr 125-jähriges Bestehen gefeiert hat, viel geschrieben wird, ist keine Frage. Untrüglicher Beweis dafür sind 1,5 Millionen Akten, die in Speyer entstanden sind und jetzt nach und nach digitalisiert werden. „Würde man sie aneinanderreihen, wäre das eine Entfernung von hier bis Germersheim auf der B 9“, hat DRV-Direktorin Saskia Wollny vorgerechnet. Ganz klar: Wer schreibt, der bleibt! Das habe die DRV nämlich vielen Krankenkassen, Arbeitgebern, Wohnorten oder auch Lebenspartnern voraus: „Die Menschen sind ja ein Leben lang bei uns.“ „Steueramt hier.“ Wie bitte, gibt’s das schriftlich? Dann müsste man nicht glauben, man hätte sich verhört. Ein Recherche-Anruf bei der städtischen Pressestelle ist in dieser Woche jedenfalls beim Steueramt im Rathaus gelandet. Vermutlich sollte gleich eine Auskunftsgebühr abgebucht werden. Natürlich nicht: Die städtische Telefonanlage und ihre freundlichen Bediener haben es sich anders überlegt und im zweiten Anlauf zur richtigen Stelle vermittelt. Den zweiten Anlauf nimmt die Stadt auch bei der Bahnbrücke in der Oberen Langgasse: War vor genau einem Jahr noch der Neubau des in die Jahre gekommenen Verbindungsstücks als richtige Wahl dargestellt worden, haben es sich die Verantwortlichen in dieser Woche anders überlegt. Eine Sanierung der Brücke sei auch gut, und vor allem viel günstiger! Mit Schreiben hat das auch was zu tun – mit Abschreiben vor allem: Der betriebswirtschaftlich abzubildende Werteverzehr des Bauwerks ist im Fall einer Sanierung regelmäßig viel geringer als beim Neubau … Wer könnte nicht alles ein Buch schreiben über seine Zeit in Speyer! Dem Trend zu immer jünger werdenden Verfassern von Biographien folgend, wäre Betül Mis so eine Kandidatin. Die scheidende Vorsitzende des Jugendstadtrats müsste das Buch-Verfassen allerdings zwischen das Klausur-Schreiben packen, denn für sie stehen die Abiturprüfungen an. Was auch zeigt, wie jung die umtriebige Nachwuchspolitikerin tatsächlich noch ist. Nun könnte man ganz ungalant sagen, die Anstrengungen des Amts hätten sie altern lassen. Die Redaktion würde das freilich nie behaupten, aber ein Dialog aus dieser Woche, aus der letzten Sitzung des Gremiums vor seiner Neuwahl, könnte derart gedeutet werden. Mis’ Stellvertreter Mika Wagner: „Ich kandidiere noch einmal, Betül ist ja zu alt.“ Die Angesprochene, erlöst-erschrocken: „Jetzt weiß ich auch, warum ich vor der Sitzung nach Anti-Aging-Cremes gefragt worden bin.“ Was sollen da die „richtigen“ Stadträte erst sagen? Sie sind allesamt älter als Mis, Wagner und Co, und überwiegend mit noch mehr Gremiensitzungen gestraft, ääh, gestählt. Diese Woche hat für sie wieder eine besondere Schreib-Aufgabe begonnen, müssen doch die Fraktionssprecher bis Dienstag ihre Haushaltsreden fertig haben. Bevor über den Stadt-Etat für 2016 abgestimmt wird, dürfen sie ihre Politikentwürfe ausbreiten und natürlich die wichtigsten Positionen im 900-seitigen Zahlenwerk einordnen. Da will jede Aussage überprüft, wohlgesetzt und vielleicht mit dem einen oder anderen Bonmot gewürzt sein. Wer sich die vierstündigen Debatten der vergangenen Jahre angehört hat, bekommt eine Vorstellung davon, was die Damen und Herren derzeit in ihren Entwürfen zu Papier bringen. Wagen wir also einen Blick hinein in die Arbeitszimmer, wo vielleicht leckerer Glühwein duftet und Plätzchenkrümel zwischen die Laptoptasten rieseln. Gottfried Jung etwa, der erfahrene CDU-Sprecher, feilt vielleicht gerade an Formulierungen, mit denen die SPD-geführte Landesregierung in Beschuss genommen, er selbst als hoher Ministerialbeamter in Mainz sich aber nicht angreifbar macht. Mit denen die Stadtregierung gelobt wird, die Landesspitze aber eben nicht. SPD-Kollege Walter Feiniler, mit den CDU-Leuten uneins in mehreren Fragen der Stadtentwicklung, bereitet sich auf das rhetorische Kunststück vor, Opposition zu betreiben, ohne dass es der Partner in der großen Kuschelkoalition merkt. Irmel Münch-Weinmann ist damit beschäftigt, ihre Redeinhalte gendergerecht aufzubereiten: Gilt es doch, den „Gender-Star“, das bei den Grünen so beliebte Sternchen innerhalb eines Wortes, mit dem sämtliche Geschlechter- und sonstigen Daseinsformen berücksichtigt werden sollen, in gesprochenes Wort „übersetzt“ werden: Was also sagen, wenn sie in ihrem Manuskript bei „Bürger*innen“ ankommt? Sandra Selg, neue SWG-Sprecherin, arbeitet an ihrem Erstlingswerk – und darf sich jetzt schon freuen, dass der OB ihre Sticheleien bei der Haushaltsrede einmal nicht direkt parieren darf. Stiche wird’s erfahrungsgemäß auch von Claus Ableiter von der BGS geben. Und das ohne vorab im Detail ausgearbeiteten Redetext: Ableiter kommt ohne genaue Vorgaben eher in Fahrt. So bleibt ihm zumindest der vielen schon aus der Schule bekannte Ärger erspart, die eigene Schrift nicht lesen zu können. Frei nach dem Motto: „Was heißt das, was Sie unter meinen Aufsatz geschrieben haben?“ Antwort vom Pult: „Du sollst deutlicher schreiben!“