Speyer Wochenchronik:

Manchmal traut der Redakteur seinen Ohren nicht, wenn er hört, was eine Berichterstattung auslöst. Aktuelles Beispiel: der „Fall“ Siedlungsrealschule. Da gibt die Stadtverwaltung mit breiter politischer Unterstützung einen Schulentwicklungsplan in Auftrag, und wenn dann die Ergebnisse da sind, will sie keiner hören. Zumindest wirkte es so: Die RHEINPFALZ hatte kaum über den Inhalt des wissenschaftlichen Gutachtens berichtet, da wurde parteiübergreifend und seitens der Schulleitung die Frage aufgeworfen, wie sie das wagen könne. Kommen die Forscher doch zur geradezu ungeheuerlichen Empfehlung, die Realschule in eine Integrierte Gesamtschule umzuwandeln, weil dann ihr Bestand langfristig gesichert sei. Die Stadt hat völlig richtigerweise das Dokument zur Vorbereitung auf die öffentliche Sitzung des Schulträgerausschusses ins Internet gestellt: Wie sonst soll sich die Bevölkerung fachkundig über ein solch wichtiges Thema wie die Entwicklung der Speyerer Schullandschaft in den kommenden 25 Jahren informieren? Wie sonst soll sie den politischen Diskussionen folgen können? Im Fall Siedlungsrealschule geht die Debatte jetzt erst so richtig los. Hoffentlich erfolgt sie offen und ehrlich und scheut keine unbequemen Wahrheiten, denn das ist die größte Chance für gute Entscheidungen. Nicht nur aus der Tier- und Geschäftswelt ist bekannt: Wer sich nicht anpasst, stirbt aus. Manchmal traut man auch seinen Augen nicht. Im Amtsblatt der Stadt ist die Rechtsverordnung über den morgigen verkaufsoffenen Sonntag abgedruckt, die zum Beispiel regelt, dass an diesem Tag werdende und stillende Mütter in den Einzelhandelsstätten nicht beschäftigt werden dürfen. Gezeichnet: Frank Scheid, Beigeordneter. Allerdings ist der SWG-Mann seit September nicht mehr im Amt. Heute müsste eigentlich Stefanie Seiler signieren. Wobei das Datum bei Scheid, „15.1.2015“, darauf hindeutet, dass entweder falsch kopiert wurde oder Scheid noch in seiner Amtszeit das Dokument verfasst hatte. So oder so: Zwar hat sich der Ex-Dezernent öffentlich rar gemacht im Ruhestand, aber weg von der Bildfläche ist er nicht. Im Stadtrat hat ihn vorige Woche sogar CDU-OB Hansjörg Eger ins Spiel gebracht – freilich ohne den Namen seines einstigen Lieblingsfeindes in den Mund zu nehmen: Der frühere Beigeordnete solle doch die neue SWG-Fraktionschefin Sandra Selg näher über die Verhältnisse im Rathaus aufklären. Die hatte im Rat nämlich ein bisschen zu viel nachgefragt … Mit Augen und Ohren ist das so eine Sache. Nicht immer passen die Wahrnehmungen der beiden Sinnesorgane perfekt zusammen. Unter dem Einfluss von gleich zwei CDU-Versammlungen in dieser Woche – Kür des Landtagskandidaten sowie Wahl des Kreisvorstands – kann einem dieser Gedanke kommen. Da gehen die stets korrekt gekleideten Christdemokraten ans Mikrofon, und was dann zu hören ist, ist oft eher lustig als korrekt. „Es ist fraglich, ob er gekommen ist, um uns zu unterstützen oder um Frau Merkel aus dem Weg zu gehen“, schmetterte etwa Speyers CDU-Chef Michael Wagner dem Bundestagsabgeordneten Norbert Schindler entgegen. „Irgendwann gehören wir alle zusammen, dann sind wir Umland“, ordnete er Speyers Status gegenüber dem Dudenhofener Ortsbürgermeister ein. Und dann war da noch Reinhard Oelbermann, der Stadt und Umland vereinende neue Landtagskandidat: „Ich bin nicht ganz jung und entspreche nicht in allen Punkten dem Idealbild.“ Lässt die Augen über seinen stattlichen Bauch wandern: „Das sieht man ganz deutlich.“ Der Wahlkampfslogan, den Oelbermann noch dringend sucht, wird das wohl nicht werden. Sonst würden wiederum einige ihren Augen nicht trauen. Kaum zu glauben: Immer mehr Speyerer haben inzwischen Flüchtlinge mit eigenen Augen gesehen. Ja, es gibt sie in der Domstadt. Und man kann sogar mit ihnen reden. Zum Glück wird diese Chance längst rege genutzt. Es gibt immer mehr Angebote für die Neubürger. Das ist eine wichtige Sache und wird hier jetzt nur deshalb mit einem Schmunzeln erwähnt, weil die Koalition, die dieser Tage fast zeitgleich zu – jeweils eigenen – Willkommensveranstaltungen einlädt, so bunt ist: Die Vineyard-Kirche, zwei CDU-Gliederungen und das K.e.k.s.-Familienzentrum gehören ihr an. Bei K.e.k.s. etwa ist ein „Lichterfest“ am 5. Dezember geplant. „In Anbetracht der verschiedenen Kulturen und Religionen“ werde bewusst auf die christlichen Begriffe „Weihnachtsfest“ oder „Nikolaus“ verzichtet, so die Ankündigung. Darüber kann man diskutieren, und das ist bundesweit in solchen Fällen schon ausgiebig gemacht worden. Im Speyerer Fall ist die Namenswahl angesichts der internationalen Zielgruppe einfach eine nette Geste. Eindeutig was fürs Ohr ist die Himmelstelefon-Aktion des Schaustellerverbands Speyer und der RHEINPFALZ auf dem Weihnachtsmarkt mit der blauen Telefonzelle beim Jakobspilger: Kinder geben dem Christkind-Sekretariat ihre Weihnachtswünsche durch. Ein Junge hat sich zum Auftakt etwa eine Batman-Figur gewünscht. Der Superheld im Fledermauskostüm, Sie wissen schon. Weil auf dem Weg vom Ohr über den Tastaturfinger zum Auge irgendwas schief lief, stand da aber plötzlich „Badman“. Und fast wäre es auch in der Zeitung gelandet, das für das Ohr so ähnlich klingende, aber doch etwas ganz anderes als den edlen Helfer und Retter bezeichnende Wort. „Bad“ heißt schließlich böse. Zum Glück gab’s noch die Endkorrektur. Gut für die Redaktion, den Leser – und gut für das Kind vom Himmelstelefon: Man will sich die von Tränen geröteten Augen unter dem Christbaum definitiv nicht vorstellen …

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