Speyer Umzug undenkbar

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Mehr als 400 Menschen waren am Dienstagabend zur Philippsburger Gemeinderatssitzung gekommen. Einziger Tagesordnungspunkt war die vor zwei Wochen angekündigte Schließung des ortsansässigen Goodyear-Werks.

Deutlicher hätten die Unterschiede nicht zutage treten können: auf der einen Seite ein weltweit agierendes Unternehmen, den Fokus auf Kostenminimierung und Wettbewerbsfähigkeit gerichtet, auf der anderen Seite 890 Menschen für die der Verlust des Arbeitsplatzes weitreichende Folgen nach sich zieht. Die Diskussion in verlief entsprechend emotional. Von den 890 direkten Mitarbeitern von Goodyear stammen 55 aus Germersheim, 22 aus Bellheim, jeweils 17 aus Lingenfeld und Speyer. Dazu kommen 200 Mitarbeiter aus Philippsburg und weiteren badischen Umlandgemeinden. „Die Schließung betrifft die ganze Region im Umkreis von 50 Kilometern“, stellte Philippsburgs Bürgermeister Stefan Martus fest. Jürgen Titz, Vorsitzender der Geschäftsführung von Goodyear Germany, erläuterte den Zuhörern die Lage am weltweiten Reifenmarkt. Demnach haben sich die Bedingungen für die Reifenproduktion dramatisch verändert. Die Kosten für die Produktion von Reifengrößen kleiner 17 Zoll seien nicht mehr wettbewerbsfähig, so Titz und verweist auf die günstigere Konkurrenz vor allem aus Asien. Zusammen mit den anderen Branchenführern Bridgestone und Michelin habe man in den vergangenen Jahren Marktanteile von rund 20 Prozent in diesem Segment eingebüßt. Im Bereich der kleinen Reifen sei Europa ein gesättigter Markt, der Trend weise in Richtung größere Reifen. Die Folge für das Unternehmen ist eine Überkapazität von rund fünf Millionen kleinen Reifen, die auch im Hinblick auf die Verantwortung für andere Standorte und den europäischen Produktionsverbund abgebaut werden müsse. Im Wissen um die Auswirkungen sehe er trotzdem keine Zukunft und keine Alternative zur Schließung von Philippsburg. Gemeinsam mit dem Betriebsrat, den Mitarbeitern sowie den Vertretern der betroffenen Gemeinden wolle man nach Lösungen suchen, um die Folgen möglichst sozialverträglich zu gestalten. Etwa 450 Stellen an anderen Standorten in Deutschland könnten mit Mitarbeitern aus Philippsburg besetzt werden. Dies sei durch die Besetzung offener Stellen und die Kündigung von Zeitverträgen möglich. Auch der rechtlichen Verpflichtung gegenüber den Auszubildenden wolle man nachkommen und dafür Sorge tragen, dass sie ihre Ausbildung abschließen können. Im Anschluss an diese Ausführungen stellte Betriebsrat Horst Haag ernüchtert fest: „Für mich hört sich die Schließung jetzt nicht mehr nach einer Absichtserklärung, sondern nach einem Fakt an“. Trotzdem solle der Kampf um die Arbeitsplätze weiter geführt werden. In einer „Agenda 2030“ werden dem Management gravierende Fehler vorgeworfen und Möglichkeiten für den Erhalt des Standortes aufgezeigt. Seit Jahren habe man von der Geschäftsführung einen neuen Produktmix hin zu mehr großen Reifen gefordert, passiert sei nichts, kritisierte Haag. Und Joachim Weberskirch, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates aus dem Werk Wittlich ergänzte: „Philippsburg soll geschlossen werden, in China investiert man 500.000 Millionen – da sieht man schon wo’s hingeht.“ Auch in „seinem“ Werk in Wittlich soll die Autoreifen-Produktion bis Ende des Jahres eingestellt werden – betroffen rund 120 Arbeitsplätze. Die Autoreifen-Herstellung wird an andere Standorte in der sogenannten Region EMEA (Europa, Mittlerer Osten, Afrika) verlagert, hieß es in Wittlich im Juni 2015. Der Unmut und das Unverständnis bei Betriebsrat und den Mitarbeitern in Philippsburg sind groß. Ein Umzug an andere Standorte ist für viele undenkbar. „Was ist mit unseren Familien, unseren Kindern? Die gehen hier in die Schule, haben Freunde, sind in Vereinen – das alles geht bei einem Umzug verloren“, geben die Mitarbeiter zu bedenken. Andere fragen, was denn der Mensch, der hinter einem Arbeitsplatz stehe, noch wert sei?

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