Speyer Speyer: Schwere Vorwürfe gegen Lebenshilfe

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Caro Lobig vom Team Wallraff hat undercover in einer Wohngruppe von alten Schwerbehinderten gearbeitet und ihrer Ansicht nach Missstände aufgedeckt. Gestern Abend wurde ihre Recherche in der RTL-Sendung „Team Wallraff“ ausgestrahlt. Die Lebenshilfe weist die Vorwürfe zurück. Mittlerweile soll die Staatsanwaltschaft aktiv sein.

„Die Bewohner der Gruppe sind sich selbst überlassen. Das Personal steht die meiste Zeit draußen und raucht“, berichtet Lobig im Gespräch mit der RHEINPFALZ. Zudem habe sie beobachtet, wie Bewohner schikaniert würden. „Sie werden bestraft, wenn sie sich aufgrund ihrer Behinderung bekleckern oder im Bett einnässen. Dann bekommen sie keinen Kuchen. Ein Bewohner musste zudem beispielsweise die ganze Zeit auf dem Stuhl sitzen und durfte nicht ins Bett, obwohl er schlafen wollte“, berichtet die Reporterin. Die meisten der zehn Mitarbeiter würden die Bewohner anschreien. Auf einen hätten es die Angestellten besonders abgesehen, wie sie sagt. „Man hat mir wortwörtlich gesagt: ,Er ist halt ein Depp’ oder ,als Arschloch geboren, als Arschloch gestorben’.“ Als Stephanie Sott habe sie vom 1. August bis 14. August ein Praktikum in der Lebenshilfe Speyer-Schifferstadt gemacht. „Zuvor haben mir vier Informanten, darunter ehemalige und noch dort arbeitende Mitarbeiter, über die Zustände in den Abteilungen der Lebenshilfe Speyer-Schifferstadt berichtet. Es ist also nicht nur in dieser Wohngruppe so“, ist Lobig der Ansicht. Sie hat in insgesamt fünf Einrichtungen bundesweit gearbeitet: neben Speyer auch im bayerischen Erding und in dreien in Nordrhein-Westfalen. „In Speyer war es besonders schlimm“, berichtet Lobig. Nach ihren Informationen sei die Staatsanwaltschaft Frankenthal wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen aktiv geworden. Die Staatsanwaltschaft war gestern auf RHEINPFALZ-Anfrage nicht mehr erreichbar. Die Lebenshilfe Speyer-Schifferstadt hatte sich gestern Nachmittag mit einer Erklärung an die Presse gewandt, in der sie vor Ausstrahlung der RTL-Sendung Stellung bezog. Sie wirft darin dem Infonetwork RTL vor, die Privatsphäre der Bewohner bewusst verletzt zu haben. Am 18. Januar habe sich die Mediengruppe RTL Deutschland in einem fünfseitigen Schreiben an die Lebenshilfe gewandt. „Das Schreiben überrascht uns. Dennoch nehmen wir jeden einzelnen der benannten Vorwürfe sehr ernst“, heißt es seitens der Lebenshilfe. Man habe sofort alle intern gebotenen Schritte eingeleitet. Auf RHEINPFALZ-Anfrage berichtete der Lebenshilfe-Geschäftsführer Michael Thorn: „Wir haben sofort nach dem Erhalt des Schreibens die Beratungs- und Prüfbehörde eingeschaltet. Mittlerweile lassen wir uns von der Kanzlei Schertz Bergmann vertreten, wie die übrigen Einrichtungen auch. Die Mitarbeiter haben zudem Anzeige erstattet.“ Schertz Bergmann ist vor allem jüngst dadurch bekannt geworden, dass die Kanzlei Jan Böhmermann im Rechtsstreit gegen den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan vertritt. Die Lebenshilfe habe in den vergangenen drei bis vier Wochen Punkt für Punkt der Vorwürfe mit der Prüfbehörde abgearbeitet. „Wir haben jeden von RTL angesprochenen Punkt mit den Mitarbeitern geklärt“, sagt Thorn. So sei beispielsweise den rund zehn Mitarbeitern vorgeworfen worden, die zwölf Bewohner nicht ordnungsgemäß zu betreuen. „Das konnte geklärt werden: Die Mitarbeiter haben uns erklärt, warum sie aus medizinischen oder anderen Gründen so handeln“, berichtet Thorn. RTL habe er eingeladen, sich ohne Kamera und Interview vor Ort nochmals ein Bild zu machen. „Eine Mitarbeiterin von RTL hatte hier in der Geschäftsstelle angerufen. Ich konnte nicht dran gehen, habe ihr aber später per E-Mail noch einmal das Angebot gemacht und nie wieder etwas davon gehört“, berichtet Thorn. Die zuständige Beratungs- und Prüfbehörde nach dem Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe in Landau sei auch vor Ort gewesen, habe zudem die Unterlagen eingesehen, berichtet der Geschäftsführer. Die Sprecherin des Landesamts für Soziales, Jugend und Versorgung bestätigte gestern auf RHEINPFALZ-Anfrage, dass es am 20. Januar erste Gespräche zwischen der Prüfbehörde und der Lebenshilfe gegeben habe. „Die Einrichtung hatte bei uns angefragt und war sehr offen. Uns waren die geschilderten Umstände nicht bekannt. Wir nehmen sie sehr ernst“, so die Sprecherin. Man sei auf jeden einzelnen Vorwurf eingegangen. „Zu diesem Zeitpunkt sahen wir keinen der Vorwürfe bestätigt. Es gab noch eine unangemeldete Begehung. Das Ergebnis dessen, ist mir allerdings nicht bekannt“, sagte die Sprecherin. In Landau seien gestern Nachmittag die dafür Zuständigen nicht mehr erreichbar gewesen. Thorn nimmt heute Morgen an einer Telefonkonferenz mit der Bundesvereinigung und den betroffenen Einrichtungen teil, um das weitere Vorgehen zu besprechen. Lobig kündigte gestern gegenüber der RHEINPFALZ an, mit der Geschäftsführung der Lebenshilfe Speyer-Schifferstadt noch einmal das Gespräch zu suchen. „Wir haben noch viel mehr Material, als wir im Fernsehen zeigen konnten. Es muss sich dort etwas ändern. Ich bleibe dran“, betonte sie.

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