Speyer Lesung mit Peter Schunck

Der 95-jährige Autor hat mit dem Buch „Davongekommen“ ein bewegendes Zeitdokument aufgelegt. Daraus hat er im Speyerer Haus Trinitatis erzählt.
Bernhard Sperrfechter, Leiter der städtischen Musikschule, ist an diesem Abend für die musikalische Begleitung des Literaturgesprächs zuständig. Sorgsam hat er Stücke ausgewählt, die zur Odyssee des jugendlichen Flakhelfers passen. „Travelling The Blues“ nimmt das Publikum mit auf eine Zeitreise ins 20. Jahrhundert zu den Weiten, Sehnsüchten und Einsamkeiten amerikanischen Heimatgefühls.
Die Buchdeckel von „Davongekommen“ bleiben geschlossen. Schunck erzählt von seiner Jugend im Zweiten Weltkrieg, von fünf kalten Kriegswintern und seiner Einberufung zum Flakhelfer Ende 1943. Lediglich unterstützt von kleinen Notizzetteln berichtet er vom Merseburger Stabsarzt, der ihn und seine gleichaltrigen Kameraden auf Hämorrhoiden. „Nicht gerade eine typische Krankheit für 15-Jährige“, meint der Autor, zum damaligen Zeitpunkt 1,54 Meter groß, in Merseburg zu Hause, Schüler. Stahlhelm, Gasmaske und Uniform war fortan die Ausstattung des Jungen, sein Alltag in einer Baracke mit meist zugefrorener Waschschüssel die Telefonvermittlung, später dann wurde er Gefechtsschreiber in Leuna.
Präzise im Detail
Jedes Detail beschreibt Schunck präzise, auch nicht die Angina, die ihn vor dem verordneten gemeinschaftlichen „Glühwürmchen“-Tanz gerettet hat. Manche Namen der Kommandeure und Orte sucht er in seinem Gedächtnis. Dafür lässt Schunck sich viel Zeit. Er erzählt anschaulich von Todesangst und erstem Verliebtsein, Kameradschaft und der sicheren Erkenntnis, dass der Krieg längst verloren ist.
Eine Waffe habe er nie getragen, betont Schunck.
„Leuna war völlig zerstört“, beschreibt der Autor regelmäßig Bomben-Angriffe auf die Stadt in Sachsen-Anhalt. Dennoch wollte er nach seiner Entlassung aus der Flak am 9. Februar 1945 zunächst nicht zurück ins zehn Minuten entfernte Merseburg. „Leuna hatte einen Bunker“, erklärt Schunck dazu.
„The Bat, The Moon And The Mistress“ spielt Sperrfechter, bevor der 95-Jährige am 18. März 1945 zum Arbeitsdienst in Erfurt aufbricht. „Das waren die schönsten drei Wochen“, erinnert er sich, aber auch an das Zyankali-Päckchen, das er für den finalen Notfall stets bei sich getragen hat.
Er erzählt vom Fußmarsch durch Sachsen links und rechts von der Elbe nach Dresden und Pirna, wo er der Wehrmacht überstellt wurde. „Jetzt waren wir Soldaten“, sagt Schunck.
Von Frankreich geehrt
„Er lebte, kämpfte, starb für uns“: Inschrift und Plakat mit dem Abbild des Führers Adolf Hitler hat er seit den letzten Kriegstagen nicht mehr vergessen. Für den 95-Jährigen ist der 8. Mai 1945 der höchste Feiertag geblieben. Damals gab es um 12 Uhr mittags in der Küche in Pirna Schokolade, Zigaretten und Coca Cola in Hülle und Fülle. Sachsen sind für ihn „wunderbare Leute“, die ihm viel zu große, aber überlebenswichtige Zivilkleidung gegeben hätten, erzählt Schunck.
Die „Hitler kaputt“-Rufe von Russen und Deutschen auf den Straßen in Chemnitz hat er noch heute im Ohr, die rote Fahne ohne Hakenkreuz sieht er vor sich, als sei es gestern gewesen. In der amerikanischen Zone wurde er vor den „Negern“ gewarnt, der Weg zurück nach Hause war beschwerlich.
Aber Schunck war wieder im Schoß seiner Familie. Viel später leitete er die französisch-italienische Abteilung der Uni Mainz in Germersheim. Für seine Charles-de-Gaulle-Biografie und sein Buch „Die Geschichte Frankreichs“ zeichnete ihn die französische Republik mit dem Légion d’honneur aus. Vom Krieg sind ihm die Erinnerungen und ein Flak-Abzeichen geblieben. Seit 1980 lebt Schunck in Speyer.