Speyer Klimaforscher: Durchschnittstemperatur in Speyer steigt deutlich an

Pilotprojekt: Die neue Kita Regenbogen im Kastanienweg in Speyer-Nord wird aus Holz gebaut.
Pilotprojekt: Die neue Kita Regenbogen im Kastanienweg in Speyer-Nord wird aus Holz gebaut.

Er sehe die Domstadt in einer kritischen Situation, sagt Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber in der Speyerer Stadthalle. Den Verantwortlichen gibt er einen Rat.

Speyer sieht Hans Joachim Schellnhuber heiße Zeiten bevorstehen. Steige die globale Mitteltemperatur um zwei Grad Celsius, bedeute dies für die Landfläche der Erde einen durchschnittlichen Anstieg der Temperatur um drei bis vier Grad – und für Gebiete wie den ohnehin wärmeren Rheingraben „um vielleicht sechs bis acht Grad“. Was bedeuten würde, dass die sommerlichen Temperaturen in der Domstadt regelmäßig die 40-Grad-Marke deutlich reißen. „Dann müssen Sie aufpassen, dass die Stadt nicht unbewohnbar wird“, mahnt der Klimaforscher bei seinem Vortrag „Klimakrise und Bauwende“. Man laufe Gefahr, in naher Zukunft „keine lebenswerte Stadt mehr“ zu haben.

Ein Unkenruf? Panikmache? Schellnhubers Thesen werden von Skeptikern des Klimawandels immer wieder als solche hingestellt. Aber der 73-Jährige Physiker und Mathematiker beschäftigt sich seit rund 40 Jahren mit der Erforschung und Modellierung komplexer, dynamischer Systeme. Der frühere langjährige Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) ist einer der weltweit profiliertesten Klimaforscher und nimmt für sich in Anspruch, sich rein an die wissenschaftlichen Fakten zu halten. Was die Menschen mit seinen Erkenntnissen anstellten, liege nicht in seiner Macht, so Schellnhuber gegenüber der RHEINPFALZ. Er könne lediglich die Datenlage darstellen – und Ratschläge geben.

„Beunruhigende Entwicklung“

Speyer müsse sich auf die Herausforderungen vorbereiten, die der Klimawandel mit sich bringe, fordert er. Die globale Mitteltemperatur sei bereits um 1,2 Grad geklettert, in wenigen Jahren werde sie die 1,5-Grad-Marke erreichen. Das Jahr 2023 zeige deutliche Abweichungen vom langjährigen Trend der globalen Messwerte, und zwar zum Negativen hin: zu heiß, zu trocken, zu hohe Eisschmelze. „Die aktuelle Entwicklung beunruhigt mich.“ Speyer als dicht bebaute Stadt müsse daher um Kühlung bestrebt sein, also Fläche entsiegeln, mehr Grün ermöglichen, Wasser in die Stadt holen. Wo nachverdichtet werde, solle dies nicht in der Fläche geschehen, sondern allenfalls in die Höhe.

Die Anpassung sei im Falle Speyers natürlich nicht so einfach, räumt der Wissenschaftler ein, der des Kaiserdoms wegen häufiger hier weilte und daher die Situation vor Ort einigermaßen einschätzen kann. „Den historischen Bestand der Stadt gilt es zu bewahren. Sie ist ein Kulturdenkmal“, sagt der 73-Jährige: „Man kann im Bestand nicht beliebig herumhantieren. Dennoch muss man ihn ertüchtigen. Da steht der Denkmalschutz bisweilen der Ökologie im Weg. An diesen Stellen muss man Kompromisse finden.“

„Materialwende“ beim Bauen gefordert

Ein wichtiger, wenn nicht gar der wichtigste Schritt ist für Schellnhuber, „dass jede Kita und jedes öffentliche Gebäude, das die Stadt baut, in Holz errichtet wird.“ Eine Tonne Holz sei in der Lage, eine Tonne CO2 zu speichern, und das für viele, viele Jahre. Mit dem Verzicht auf Stahlbeton und andere Materialien würde Speyer einen Beitrag leisten, den Anteil der klimaschädigenden Treibhausgase in der Atmosphäre zu begrenzen. „Die Art des Bauens ist der entscheidende Hebel“, sagt er mit Blick darauf, dass weltweit rund 40 Prozent aller Treibhausemissionen und 55 Prozent aller Abfälle auf das Bauwesen zurückzuführen sei.

Daher müsse es darum gehen, Siedlungen allmählich „aus einer mineralischen in eine organische Masse“ umzuwandeln und wieder mehr auf traditionelle Materialien wie eben Holz oder Lehm zu setzen. Und es müsse darum gehen, in Abkehr von Beton, Glas und Aluminium wieder traditionelle, ans Klima angepasste Bauformen und Architekturen mehr zu pflegen. „Hier und da ein paar mehr Bäume“ seien zwar vorteilhaft fürs Stadtklima, aber ohne eine „Materialwende“ bringe dies im großen Maßstab leider nichts, so der Forscher. Dieser Punkt werde bei der aktuellen Diskussion zu wenig beachtet. Die öffentliche Hand müsse hier vorangehen und Ausschreibungen entsprechend gestalten: „Kosten dürfen nicht mehr das entscheidende Kriterium sein.“

Auch in der Art des Wohnens stünden Veränderungen an, sagt Schellnhuber. „Gemeinschaftliche Wohnformen“ müssten Vorrang erhalten vor etwa dem Einfamilienhaus. Dieses „passt nicht mehr ins 21. Jahrhundert“. Hierzulande müsse man sich auf architektonische Lösungen aus dem „globalen Süden“ besinnen, sagt der 73-Jährige. Dort habe man mit Windtürmen, Arkaden und Ähnlichem Lösungen gefunden, die ans wärmere Klima angepasst seien.

 Hans Joachim Schellnhuber.
Hans Joachim Schellnhuber.
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