Speyer „Ich war nicht zu verhindern“

Ein Mann geht seinen Weg: Lutz Lindemann.
Ein Mann geht seinen Weg: Lutz Lindemann.

Frühjahr 1981, ein zwölfjähriger Fußballfan aus Speyer verfolgt vor dem Fernsehgerät im heimischen Wohnzimmer das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger. Carl Zeiss Jena trifft auf Dynamo Tiflis aus der damaligen Sowjetunion. Auf dem Platz: Lindemann unter all den Stars wie Dawit Kipiani, Ramaz Schengelija, Tengiz Sulakwelidse, Alexandre Tschiwadse auf der einen, Eberhard Vogel, Lothar Kurbjuweit, Rüdiger Schnuphase, Hans-Ulrich Grapenthin, Trainerlegende Hans Meyer auf der anderen. 38 Jahre später hat Martin Erbacher mit Lindemann telefoniert. Warum ist’s gegen Tiflis schiefgegangen? Die Georgier waren ein Spitzenteam, haben grandiosen Fußball gespielt. Sie waren sehr gut mit dem Ball. Wir hatten zuvor Valencia und Benfica Lissabon ausgeschaltet. Wir haben 1:0 geführt. Dann machen sie ein Tor, ein zweites. Sie waren einfach effektiver an diesem Tag. 20 Jahre später haben wir noch mal in Tiflis gespielt vor 30.000 Zuschauern. In Düsseldorf beim Finale waren ja nicht so viele. Wären Sie lieber heute Profi? Alles zu seiner Zeit, in der DDR gab es nicht viele Wechselmöglichkeiten. Die besten Spieler aus den besten Klubs und dem Europapokal kamen in die Nationalmannschaft. Heute frage ich mich, wo das mit dem vielen Geld hinführen soll. Das ist kein Neid. Aber die Relation ist nicht mehr da. Auch in anderen Berufen wird viel geleistet. Ein Ingenieur zum Beispiel bringt eine großartige Leistung und tut was für die Menschen. Heute wird der Ball oft hin- und hergeschoben, und ich gehe dann enttäuscht heim. Wie war`s bei Ihrem Engagement im Kosovo? Das kam völlig überraschend über meine Kontakte in der Zweiten Bundesliga. Ich sollte in Pristina helfen, die Abläufe aufzubauen, wie man Verträge richtig schreibt und so. Es war interessant, wie die Leute dort leben, wie sie ticken und was man als Fremder beachten muss. Ist der Ost-Fußball wieder im Kommen? Der Weg ist noch weit. Die materiellen Voraussetzungen im Westen sind ganz andere. RB Leipzig lassen wir mal außen vor. Union Berlin hat jetzt etwas ganz Großes geleistet, dieses Fanverhalten, das Miteinander. Fakt ist, dass viele Jugendliche abwandern. Viele in der U17- und U-18-Nationalmannschaft kommen ursprünglich aus dem Osten. Wann spielt Jena wieder Zweite Liga? Das ist so traurig. Ich war ja auch Präsident. Jena ist doch eine Boomtown mit vielen innovativen Unternehmen neben Carl Zeiss. Es interessieren sich aber nur wenige aus der Industrie für Fußball. Jetzt hält ein belgischer Unternehmer das Ganze am Leben. Andere haben neue Stadien. Aue, für die auch gearbeitet habe, ist ein leuchtendes Beispiel mit seinen 16.000 Einwohnern. Wie kam der Kontakt nach Waldsee zustande? Paul Platz, Leiter des Kulturbüros des Rhein-Pfalz-Kreises, hat mich direkt angesprochen. Sie hatten wohl ein Exemplar meines Buches. ASV Waldsee ist gerade Letzter der B-Klasse geworden. Haben Sie einen Tipp? Das ist natürlich nicht berauschend, so lange es aber engagierte Leute und genug Jugend gibt. Man sollte nicht versuchen, unrealistische Gedanken zu hegen. Der Sinn des Fußballs ist ja, dass man gerne spielt. Es kann nicht jeder in der Ersten oder Zweiten Liga spielen. Fußball ist Breitensport. Wissen Sie, in welche fußballerische Region Sie kommen? Kaiserslautern, da sind mit Timmy Thiele und Jan Löhmannsröben zwei von uns, aus Jena. Die Situation in Kaiserslautern ist genauso traurig wie in Jena. Mit Lutz Eigendorf, der sich nach einem Spiel von Dynamo Berlin beim 1. FC Kaiserslautern abgesetzt hat, lag ich bei der Nationalmannschaft noch auf einem Zimmer. Auch gegen Ronnie Hellström habe ich gespielt. Kaiserslautern gehört mindestens in die Zweite Liga. Warum soll ich mir Ihre Lesung anhören? In Waldsee ist es, glaub ich, meine 21 Lesung. Es ist eine ganz ehrliche Biografie. Wir beschreiben alle Tiefs und Hochs eines jüngeren und eines reiferen Mannes. Ich wollte meine Umgebung verlassen, was den Genossen nicht gefallen hat. So war ich erst mal weg, durfte nur noch ganz unten spielen. Allen, die mir absichtlich schaden wollten, habe ich verziehen. Es war schwer, mich zu verhindern. Warum sind Sie ein Optimist aus Leidenschaft, so der Titel Ihres Buches? Der erste Titel lautete Aufgeben ist keine Option. Das wollte der Verlag aber nicht. Ich habe mich eben nie unterkriegen lassen, auch nicht nach der Wende 1989. Bleibt in Waldsee noch Zeit für weitere Unternehmungen? Meine Monika und ich kommen am Mittwoch mit der Bahn und reisen am Donnerstag wieder ab. Wir waren schon einmal hier, in Germersheim und Bellheim.

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