Speyer Florian Hartleb: „Männer sind anfälliger für Populisten“

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Meinung am Montag: Besonders häufig sind es Männer, die populistische Parteien wählen. Dieser Auffassung ist Politikberater Florian Hartleb.

In Speyer hat er jüngst einen Vortrag zum Thema „Politik ohne Werte:   Der Vormarsch der Demagogen“ gehalten. Rebecca Ditt hat mit ihm über Ursachen und Gegenmaßnahmen gesprochen. Herr Hartleb, Sie haben in Ihrem Vortrag gesagt, Männer seien besonders anfällig für Populismus. Warum? Die Anhänger und Mitglieder von populistischen Parteien sind überwiegend Männer. Man spricht sogar von Männerparteien, wobei das sich mittlerweile abgeschliffen hat. Es ist nicht mehr so, dass man wie in den 1990er Jahren sagt, dass Männer eine solche Partei anführen müssen. Zum Beispiel gibt es bei der AfD ja Frauke Petry oder Beatrix von Storch. In Ungarns Fidesz-Regierung finden sich keine weiblichen Minister. Unter den 133 Fidesz-Abgeordneten im Parlament gibt es nur neun Frauen. Der Parlamentspräsident László Köver vertrat dann auch am Fidesz-Parteitag von 2015 in einer Rede die dazu passende Meinung, dass Frauen es als höchste Form der Selbstverwirklichung betrachten sollten, Kinder zu bekommen. Fühlen sich Männer besonders „abgehängt“? Suchen Sie besonders nach kultureller Identität? Die kulturelle Identitätsfrage spielt generell eine große Rolle. Männer fühlen sich mitunter abgehängt. Man kennt dieses Phänomen von Ost-Deutschland. Dort ist in den ländlichen Gegenden die Arbeitslosigkeit groß. Dort sind die Männer unzufrieden und offen für solche autoritären Verführungen. Durch die grundlegenden Umwälzungen, die im Zuge der Digitalisierung des Arbeitslebens bevorstehen, dürften die Sorgen nicht weniger werden. Menschen müssen mehrere Jobs annehmen und haben wenig Chancen auf beruflichen Aufstieg, wenn sie sich nicht schnell an die Automatisierungsprozesse gewöhnen. Sie sagten in Ihrem Vortrag, solche Menschen wünschten sich Macho-Typen wie Trump. Wie passt das zusammen, dass Frauen diese Parteien führen. Man denke an Frauke Petry oder in Frankreich Marine Le Pen? Auch diese Frauen agieren relativ tough. Sie übernehmen gewisse Männereigenschaften, sind sehr aggressiv im Auftreten mit Blick auf die EU, mit Blick auf die Situation des eigenen Landes und der Terrorismusbekämpfung. Diese klassischen Geschlechterrollen lösen sich dann irgendwo auf. Die populistische Partei hat die Anti-Establishment-Einstellung als Alleinstellungsmerkmal, gepaart mit Strategien wie „wir gegen die da draußen“, die zum Beispiel gerichtet sind gegen Muslime, gegen Flüchtlinge. Was kann man dem als Demokrat entgegensetzen? Es ist die Frage, ob man die analoge Demokratie in die virtuelle Welt übertragen kann – ob man die Zahl der Demonstrationsteilnehmer, die in den 1980er Jahren auf der Straße waren, übertragen kann auf Facebook-Likes oder -Fanpages. Um es überspitzt auszudrücken. Die Frage ist, ob ich die analoge Demokratie formen kann zu einer Mitmach-Demokratie im virtuellen Raum. Im arabischen Raum hatten wir diese Entwicklung vor einigen Jahren. Stichwort Arabischer Frühling. Oder auch die Maidan-Revolution in der Ukraine. Jetzt herrscht unter dem Eindruck des Twitter-Präsidenten Donald Trump eher die Angst vor Manipulation der sozialen Medien. Jetzt befinden sich die Medien mit in der Krise. Stichwort Lügenpresse. Wie bewerten Sie das? Die Medien haben an Glaubwürdigkeit verloren. Die traditionellen sind sehr stark in Auflagendruck geraten, auch dadurch, dass Finanzierungsmodelle auf der Kippe stehen. Auch dadurch, dass Artikel in den sozialen Medien breitgetreten werden und dass es eine Propagandamaschinerie gibt von Extremisten. Dadurch stehen die traditionellen Medien unter Druck und haben an Ansehen verloren. Insgesamt befinden sich die Demokratien im inflationären Sog von Meinungsauguren. Die jüngsten Ereignisse haben drastisch gezeigt, dass genauere Prognosen immer schwieriger werden. Der Brexit wurde ebenso wenig vorausgesagt wie die 2008 einsetzende Finanzkrise oder der Aufstieg von Donald Trump und der AfD. Wird es eine Rückbesinnung geben? Muss es. Die Frage ist, ob Qualitätsjournalismus nur noch Bezahljournalismus sein kann. Die Frage ist auch, ob es für die traditionellen Medien möglich sein wird, ein Geschäftsmodell zu entwickeln. Der Qualitätsjournalismus erfordert den Einsatz von Ressourcen, auch finanzieller Art. Wenn ich alles freigebe und jeder twittern und seine Meinung äußern kann, ist die Echtzeitdemokratie ein Problem für die traditionellen Medien. Eigentlich könnte man positiv vermelden, dass aus der Guckkastenwelt des Fernsehens eine virtuelle Mitmachgesellschaft entstanden ist. Die Flüchtlingskrise hat jedoch die Gefahren deutlich gemacht: In einer virtuellen Gerüchteküche verbreiten sich Berichte über angeblich vertuschte Vergewaltigungen, sexuelle Übergriffe und andere kriminelle Delikte rasant schnell. Was können die etablierten Parteien tun, um dem Populismus zu begegnen? Sie dürfen Probleme nicht ausklammern. Die Herausforderung Flüchtlingswelle war vor allen Dingen ein Kommunikationsproblem. Da können die etablierten Parteien – so ironisch das klingen mag – von den populistischen Parteien lernen. Wenn Probleme nicht angesprochen werden, stärkt das die Populisten. Die Herausforderung bei den populistischen Parteien ist letzten Endes, dass sie mitunter die richtigen Fragen stellen, aber demagogische Antworten liefern. Sie hatten das Phänomen Ost-Deutschland angesprochen: Kaum Ausländer, aber viele Gegner von Ausländern und haben gesagt, dass es auch an mangelndem Kontakt liegt. In Speyer-Nord haben wir die Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge und genau in diesem Bereich der Stadt hat die AfD bei der vergangenen Wahl 13 Prozent geholt. So viel wie in keinem anderen Stadtteil. Wie erklären Sie sich das? Es gibt oftmals eine Berührungsangst und es werden Ängste geschürt. Ich habe ja das Beispiel von Dresden genannt: 0,2 Prozent Flüchtlinge und trotzdem die Pegida-Bewegung. Das sind Fragen der kulturellen Identität, gepaart mit eigenen Frustrationen, die dann für die Feindlichkeit sorgen. Wie wird sich das Ganze noch entwickeln? Empörung und Hektik haben das Jahr 2016 geprägt. Man muss wieder zu einer Versachlichung der Debatte kommen. Man muss auch darauf schauen, was diese Populisten anbieten können und was sie für Luftblasen bieten. Vielleicht kann es auch auf diesem Weg zu einem besseren Fundament der Demokratie kommen. Wenn wir wirklich in einem postfaktischen Zeitalter leben, ist Aufklärung über politische Inhalte und Demokratievermittlung notwendig. Dabei muss es auch um grundlegende Aspekte gehen, etwa, was Demokratien von Diktaturen unterscheidet und wie das 20. Jahrhundert durch Totalitarismus heimgesucht wurde. In einer kleinteilig gewordenen Gesellschaft ist es schwierig, einen gesamtgesellschaftlichen „Ruck“ zu erzeugen. Auf den ersten Blick einfache Fragen stellen sich: Für was steht der Westen eigentlich? Aspekte wie Freiheit, Toleranz, Wohlstand oder Weltoffenheit müssen verteidigt werden – ebenso geht es aber auch um Wehrhaftigkeit oder Wachsamkeit gegenüber einer extremistischen, gar terroristischen Bedrohung. Zur Person Florian Hartleb wurde 1979 in Passau geborten und lebt in Tallin/Estland. Der Publizist und Politikberater hat unter anderem Strategievorträge im Bundespräsidialamt und dem Europäischen Parlament gehalten. Lesezeichen „Die Stunde der Populisten – Wie sich unsere Politik trumpetisiert und was wir dagegen tun können“, 240 Seiten, Wochenschauverlag, ISBN 978-3-7344-0464-1, 16,90 Euro.

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